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DOI: 10.1055/s-2000-7083
Notfallmedizin - Kernkompetenz des Anästhesisten
Publication History
Publication Date:
31 December 2000 (online)
Gegenstand der Notfallmedizin ist die Sicherung und Wiederherstellung der Vitalfunktionen sowie die Verhinderung von Folgeschäden bei Notfällen aller Fachgebiete. Dazu bedient sie sich der Mittel der Intensivmedizin auch außerhalb von Kliniken. Notfallmedizin ist mehr als eine schnell zu leistende präklinische Medizin; sie berührt selbstverständlich auch innerklinische Aspekte, z. B. die Versorgung klinikinterner Notfälle und die Zusammenarbeit im „Schockraum” mit den dazu erforderlichen Organisationsstrukturen usw.
Die Notfallmedizin befasst sich zwar mit den Notfällen aller Fachgebiete, jedoch tragen nicht alle Fachgebiete gleichmäßig zu dieser Spezialdisziplin bei. Prozentual dominiert die Innere Medizin, jedoch sind alle Fachgebiete mit ihren stark unterschiedlichen Anteilen an vital bedrohten Notfallpatienten vertreten. Der Notarzt als in der Notfallmedizin tätiger Arzt muss den vielfältigen Anforderungen der Notfallpatienten aller Fachgebiete möglichst gleichmäßig gerecht werden. Im präklinischen Einsatz ist es seine Aufgabe, den Patienten unter Umsetzung eines kurzfristig-zielorientierten Behandlungskonzepts mit erhaltenen Vitalfunktionen und geschützt vor Folgeschäden in eine geeignete medizinische Einrichtung zu bringen.
Im Vordergrund steht stets die Sicherung oder Wiederherstellung der Vitalfunktionen, ohne die alle anderen und fachspezifisch noch so sehr begründeten Forderungen gegenstandslos werden. Hier nimmt der Anästhesist eine besondere und herausragende Stellung ein. Die Sicherung der Vitalfunktionen ist Kernkompetenz des Anästhesisten und Bestandteil seiner täglichen Arbeit (Gefäßzugang, Intubation, Beatmung, Kontrolle der Kreislauffunktion) in der klinischen Anästhesie sowie in der Intensivmedizin. Er unterscheidet sich darin wesentlich von den Ärzten aller anderen Fachdisziplinen, bei denen die Sicherung der Vitalfunktionen durchaus auch zum Berufsbild gehört, aber nicht im Vordergrund des täglichen Handelns steht.
Mit dieser Kernkompetenz des Anästhesisten ist kein Ausschließlichkeitsanspruch des Fachgebiets Anästhesiologie verbunden; Notfallmedizin und notärztliche Tätigkeit sind Bestandteile aller klinischen Fachgebiete. Deren genuiner Anteil an diesem interdisziplinären Spezialfach ist allerdings wechselnd und stets geringer als der des Anästhesisten. Der Anästhesist ist wie kein anderer Arzt der
Generalist mit speziellen Fähigkeiten.
Generalist, weil er durch tägliches Handeln mit den Patienten und den Anforderungen vieler (wenn nicht aller) klinischen Fachgebiete konfrontiert ist; mit speziellen Fähigkeiten, weil er wie kein anderer Arzt mit der Sicherung und Wiederherstellung der Vitalfunktionen vertraut ist. Es sei daran erinnert, dass sich dies auch im Titel von Abteilungen und Fachgesellschaften niedergeschlagen hat („Abteilung für Anästhesie und Wiederbelebung; „Österreichische Gesellschaft für Anaesthesiologie, Reanimation und Intensivmedizin”); Benennungen, die von anderen Fachgebieten nicht bekannt sind.
Die Grenzen der Notfallmedizin liegen dort, wo die weitere oder definitive Versorgung des Notfallpatienten spezielle organisatorische, personelle und materielle Anforderungen stellt, die nicht mehr von allen Ärzten und Fachgebieten querschnittlich zu leisten sind. Diese Grenzen sind im Sinne der Arbeitsteilung und des Vertrauensgrundsatzes gewissenhaft zu beachten.
Die Notfallmedizin kann in die klinische Notfallmedizin, die Rettungsmedizin und die Katastrophenmedizin gegliedert werden. Die Rettungsmedizin ist über die Anforderungen der klinischen Notfallmedizin hinaus durch spezielle einsatztaktische und persönliche Anforderungen in Ausbildung und Belastbarkeit usw. gekennzeichnet, die sich im Bereich der Katastrophenmedizin noch verschärfen und zu denen der besondere und kennzeichnende logistische Aspekt hinzutritt.
Dem am 7. Mai 2000 beim Deutschen Anästhesiekongress - International in München gegründeten Wissenschaftlichen Arbeitskreis Notfallmedizin der Deutschen Gesellschaft für Anästhesiologie und Intensivmedizin (DGAI) stellt sich die Aufgabe, den besonderen Anspruch unseres Fachgebiets im gesamten Bereich der Notfallmedizin unter Einschluss der Rettungs- und Katastrophenmedizin in der Öffentlichkeit und gegenüber den anderen Fachgebieten zu vertreten - ohne Überbetonung, aber profiliert und offensiv. Auch innerhalb des Fachgebiets bleibt viel zu tun. Nicht allen Kolleginnen und Kollegen ist die Bedeutung dieser Säule der Anästhesiologie ausreichend bewußt; nicht überall wird eingesehen, dass wichtige und zukunftsträchtige Aufgaben unseres Fachgebiets auch außerhalb von Operationssaal und Intensivstation „auf der Straße” liegen. Hier gilt es, einen Sinneswandel zu schaffen und gerade die Rettungsmedizin vom Stigma der minderen Tätigkeit für jüngere Kolleginnen und Kollegen zu befreien, die dort wie an sonst keiner anderen Stelle auf sich allein gestellt und in aller Öffentlichkeit anspruchsvollsten Aufgaben gerecht werden müssen. Darüber hinaus ist es erforderlich, auch die notfallmedizinische Fortbildung und Forschung zu fördern und vom Fallbericht weg zu immer besser gesicherten Erkenntnissen zu gelangen. Hierzu leistet die in diesem Heft enthaltene Übersicht von P. Sefrin und A. Weißmann einen wichtigen Beitrag, in der die aktuellen deutschen Reanimationsrichtlinien den internationalen Empfehlungen gegenübergestellt werden.
Ich bitte alle notfallmedizinisch interessierten Kolleginnen und Kollegen, sich aktiv an der Arbeit des Wissenschaftlichen Arbeitskreises zu beteiligen und sich dazu bei der DGAI-Geschäftsstelle (Roritzer Str. 27, 90 419 Nürnberg) schriftlich anzumelden.
Prof. Dr. med. H. A. Adams
Erster Sprecher des wissenschaftlichen Arbeitskreises Notfallmedizin der DGAI
Abteilung Anästhesiologie I Medizinische Hochschule Hannover
Carl-Neuberg-Str. 1
30625 Hannover
Email: adams.ha@mh-hannover.de