Anästhesiol Intensivmed Notfallmed Schmerzther 2000; 35(9): 603-605
DOI: 10.1055/s-2000-7094-9
MINI-SYMPOSIUM
© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Autoradiographischer Nachweis von DNS Einzelstrangbrüchen im Hirngewebe. Ein früher Marker für zerebrale Ischämie und Hypoxie.

T.  Krause, P.  H.  Tonner, J.  Scholz, A.  Paris, G.  von Knobelsdorff, S.  Tuszynski, J.  Schulte am Esch
  • Klinik und Poliklinik für Anästhesiologie, Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf
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Publication Date:
28 April 2004 (online)

Zerebrale Hypoxien und Ischämien führen in der Regel zu schweren neurologischen Funktionsstörungen. Die Ursachen der zellulären Schäden und die zugrundeliegenden Mechanismen sind Gegenstand intensiver Forschung. Neben dem primären Schadensereignis tritt ein Großteil der resultierenden Schäden als sogenannter Sekundärschaden erst im Rahmen der Reperfusion Stunden bis Tage nach dem eigentlich auslösenden Ereignis in Erscheinung [1] [2]. Der Tod einer Zelle kann über apoptotische und nicht-apoptotische Mechanismen wie Nekrose ausgelöst werden [3]. Wenig Aufmerksamkeit wurde bislang auf den Nachweis von Schädigungen des Erbmaterials als Marker für hypoxische oder ischämische Episoden gelegt, obwohl Modifikationen von DNS Bausteinen und DNS Brüche regelhaft auch in frühen Phasen der zellulären Schädigung auftreten, noch bevor histologisch nachweisbare Zellschäden sichtbar werden [4].

DNS Einzelstrangbrüche (DNS ESB) lassen sich sensitiv durch die Nick Translations Reaktion (NT Reaktion) nachweisen [5]. Unter einem „nick” versteht man eine Unterbrechung eines DNS Einzelstranges, also eine geöffnete Phosphodiesterbrücke. mit einem freien 3'-OH Terminal in einem doppelsträngigen DNS Moleküls. Kernstück der NT Reaktion ist ein bakterielles DNS Reparaturenzym aus Escherichia Coli, die DNS Polymerase I. Neben der 3'-Polymerasefunktion verfügt dieses Enzym über eine 5'-Exonukleasefunktion. Nach Einschleusung des Enzyms in eukaryontische Einzelzellen, bzw. Zellen eines Gewebes, laufen bei Vorhandensein von DNS ESB mit freien 3'-OH Enden mehrere Reaktionen gleichzeitig ab. Durch die Polymerasefunktion erfolgt der Einbau neuer Nukleotide aus dem umgebenden Milieu unter Ankopplung an das freie 3'-OH Terminal. Gleichzeitig erfolgt der kontinuierliche Abbau des DNS Stranges durch die 5'-Exonuklease Funktion in Richtung auf das 3'-OH Terminal des DNS Stranges. Der synthetisierende Enzymkomplex bewegt damit den „nick” vor sich her in Richtung auf das 3'-OH Terminal des DNS Einzelstranges unter Verwendung der Komplementärsequenz des korrespondierenden DNS Stranges zur „de novo” Synthese. Durch Hinzugabe von radioaktiv markierten oder biotinylierten Nukleotiden in die Reaktionslösung erhält man eine, in bestimmten Grenzen, der Einzelstrangbruchrate proportionale Markierung der zellulären DNS [5] [6]. In mehreren Untersuchungen konnte in der Zwischenzeit gezeigt werden, dass die Methode geeignet ist, DNS Schäden im neuronalen Gewebe nach Ischämie und Hypoxie nachzuweisen [7].

Wir haben eine autoradiographische Variante der Nick Translations Technik entwickelt und ihre Eignung zum Nachweis posthypoxischer bzw. postischämischer ZNS Schädigungen im Kaninchenmodell überprüft. Nach Zustimmung der zuständigen Tierschutzkomission wurden weiße Neuseeland Kaninchen für die Versuchsdurchführung verwendet. Da eine Reperfusionsphase zur Entstehung von DNS Schäden nach Hypoxie- oder Ischämieepisoden notwendig ist, wurden die untersuchten Kaninchen an eine extrakorporale Zirkulation angeschlossen. Die Anwendung der extrakorporalen Zirkulation am narkotisierten Kaninchen ist ein etabliertes und standardisiertes Verfahren [8]. Nach Einleitung der Narkose mit Isofluran erfolgte eine Tracheotomie und kontrollierte Beatmung. Die Anästhesie wurde intravenös mit Fentanyl, Dormicum und Pancuronium fortgeführt. Es wurden insgesamt 3 Versuchsgruppen gebildet, eine Kontrollgruppe, eine Ischämie- und eine Hypoxiegruppe, bestehend aus jeweils 2 Tieren. Die Kontrolltiere wurden lediglich anästhesiert und für 2 h stabil in Narkose gehalten, die Tiere der Hypoxie- und Ischämiegruppe wurden für die Versuchsdurchführung an eine extrakorporale Zirkulation (ECC) angeschlossen, um eine kontrollierte Reperfusionsphase zu gewährleisten. Der venöse Abfluss erfolgte dabei direkt über den rechten Vorhof, der Rückfluss über die Aorta abdominalis. Eine 10 min Hypoxie wurde durch 10 min Beatmung mit 100 % Stickstoff, eine 10 min Ischämie durch Induktion eines Kammerflimmerns erzeugt. Im Anschluss daran wurde über 60 min mittels ECC unter kontrollierten Bedingungen reperfundiert, wobei ein besonderes Augenmerk auf eine stabile Hirntemperatur von 37° C gerichtet wurde. Nach vorsichtiger Präparation wurden die Hirne am Versuchsende entnommen und auf -72° C abgekühlt. Mittels Kryotom wurden ZNS Schnitte von 15 µm Schichtdicke bei -22° C in parasagittaler Richtung angefertigt und auf Objektträger übertragen. Nach dem Auftauen wurden die ZNS Schnitte gewaschen, für 20 min bei 4° C in Methanol/Eisessig fixiert, emeut gewaschen und im Anschluss für 60 min mit dem NT Reaktionscocktail bei 20° C inkubiert (jeweils 50 µM dATP, dGTP, dCTP; 5 mM MgCI2; 10 mM β-mercaptoethanol, 5 % Dimethylsulfoxid, 20 U/ml DNS Polymerase I, 3 µCi/ml (methyl-3H)-TTP (51 Ci/mmol) in 50 mM Tris HCl (pH 7,4)). Die Reaktion wurde durch sorgfältiges Auswaschen der überschüssigen Radioaktivität, sowie Blockierung der DNS Polymerase I Aktivität mit 1 % Natriumpyrophosphat in physiologischer Kochsalzlösung beendet. Nach Trocknen der ZNS Schnitte wurde für ca. 24 h ein hochempfindlicher Autoradiographiefilm aufgelegt und belichtet. Die resultierenden Autoradiogramme wurden dann densitometrisch semiquantitativ für verschiedene Hirnareale separat ausgewertet. Jeder Messwert ist jeweils Ausdruck einer 3-fach Bestimmung.

Abb. [1 a] zeigt die konzentrationsabhängige Induktion von DNS ESB in vitro, nach Inkubation von ZNS Gefrierschnitten mit verschiedenen Konzentrationen von DNAse I (0,001 - 0,1 mU/ml), einem Restriktionsenzym, welches freie 3'-OH Endigungen in einem DNS Strang erzeugt. Während der Etablierung dieses Verfahrens wurden weitere Einflussgrößen wie Reaktionstemperatur, DNS Polymerase I Konzentrationen, Fixierungsarten und -zeiten variiert und optimiert. Die unspezifische Bindung wurde durch eine parallele Inkubation von ZNS Schnitten ohne Zusatz von DNS Polymerase I ermittelt.

Sowohl eine 10 minütige Hypoxie-, als auch eine 10 minütige Ischämieperiode gefolgt von einer 60 minütigen Reperfusionsphase, führt zu einer signifikanten Zunahme von autoradiographisch nachgewiesenen DNS ESB im neuronalen Gewebe [9] [10]. In Abb. [1 b] sind die resultierenden DNS ESB nach Hypoxie im Vergleich zu den basalen DNS ESB in einem unbelasteten Kontrollhirn aufgetragen. Die größten Zunahmen von DNS Schädigungen wurden in Cortex (3,9-fach) und Hippocampus (3,5-fach) nachgewiesen, Arealen mit einer bekannt hohen Suszeptibilität gegenüber hypoxischen oder ischämischen Episoden [11]. Es fanden sich jedoch keine signifikanten Unterschiede zwischen Kontrollen und belasteten Tieren, wenn im Anschluss an die Hypoxie-/Ischämiezeit keine Reperfusionsphase durchgeführt wurde. Dieser Befund unterstützt die Ergebnisse anderer Autoren, dass ein Großteil der resultierenden Zellschäden erst sekundär im Rahmen der Reperfusion auftritt [1] [2].

Da bei Auftreten eines Einzelstrangbruches die Komplementärsequenz von zelleigenen DNS Polymerasen und anderen DNS Reparaturenzymen als Matrize verwendet werden kann, sind Einzelstrangbrüche in bestimmten Grenzen reversible Läsionen [6]. DNS ESB oder DNS Basenmodifikationen können als Auslöser für Apoptose wirken, bzw. während der Apoptose auftreten, so dass der Nachweis von DNS ESB allein keine sichere Differenzierung zwischen Nekrose und Apoptose ermöglicht. Allerdings treten DNS ESB zeitlich vor den DNS Doppelstrangbrüchen auf, die als charakteristisches Merkmal für Apoptose gelten [3].

Mittels der vorgestellten autoradiographischen Variante der NT Technik lassen sich DNS Einzelstrangbrüche in vitro, sowie nach Hypoxie und Ischämie in vivo sensitiv und frühzeitig nachweisen. Der methodische und zeitliche Aufwand ist gering, so dass sich eine Vielzahl von Proben innerhalb kurzer Zeit aufarbeiten lässt. Die Verwendung von ZNS Gefrierschnitten ermöglicht zudem eine differenzierte Betrachtung verschiedener Hirnareale. Die Anwendungsmöglichkeiten für dieses Verfahren erscheinen breit gefächert und beinhalten die Überprüfung möglicher neuroprotektiver Therapieansätze nach Hypoxie oder Ischämie.

Literatur

  • 1 Macaya A, Munell F, Reventos J, Ferrer I. Molecular factors of cerebral hypoxia-ischemia.  Rev. Neurol.. 1996;  24 855-864
  • 2 Murakami K, Kondo T, Chan P H. Reperfusion following focal cerebral ischemia alters distribution of neuronal cells with DNA fragmentation in mice.  Brain Research. 1997;  751 160-164
  • 3 Granville D J, Carthy C M, Hunt D WC, McManus M. Apoptosis: Molecular aspects of cell death and disease.  Laboratory Investigation. 1998;  78 893-911
  • 4 Chen J, Jin K, Chen M, Pei W, Kawaguchi K, Greenberg D A, Simon R P. Early detection of DNA strand breaks in the brain after transient focal ischemia: Imlications for the role of DNA damage in apoptosis and neuronal cell death.  J. Neurochem.. 1997;  69 232-245
  • 5 Iseki S. DNA strand breaks in rat tissues as detected by in situ nick translation.  Exp. Cell Res.. 1986;  167 311-326
  • 6 Krause T, Einhaus M, Holz O, Meißner R, Rüdiger H W. A novel technique for the detection of single strand breaks in human white blood cells and its combination with the UDS synthesis.  Int Arch Occup Environ Health.. 1993;  65 77-82
  • 7 Tagaya T, Liu K-F, Copeland B, Seiffert D, Engler R, Garcia J H, Zoppo G J. DNA scission after focal brain ischemia. Temporal differences in two species.  Stroke. 1997;  28 1245-1254
  • 8 Herczeg L, Gorombey S, Vaszily M. Morphological damage to the central nervous system (CNS) following open heart surgery.  Forensic Sci. Int.. 1996;  79 103-111
  • 9 Krause T, Scholz J, Tonner P H, Tuszynski S, von Knobeklsdorff G, Paris A, Schulte am Esch J. DNA single strand breaks as a sensitive marker for neuronal injury following a transient cerebral hypoxemia.  Anesthesiology. 1998;  89 A765
  • 10 Krause T, Scholz J, Paris A, von Knobeklsdorff G, Schulte am Esch J. Evaluation of ischemia-reperfusion injury by autoradiographic detection of DNA single strand breaks in rabbit brain.  Anesthesiology. 1999;  91 A821
  • 11 Tobita M, Nagano I, Nakamura S, Itoyama Y, Kogure K. DNA single-strand breaks in postischemic gerbil brain detected by in situ nick translation procedure.  Neuroscience Letters. 1995;  200 129-132

Dr. med. T. Krause

Klinik für Anästhesiologie

Universitäts-Krankenhaus

Martinistr. 52

20246 Hamburg

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