Dtsch Med Wochenschr 2000; 125(38): 1103-1105
DOI: 10.1055/s-2000-7573
Medizinisches Publizieren
Medinisches Publizieren
© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Die Zukunft der deutschen medizinischen Journale

H. S.  Füeßl
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Publication Date:
31 December 2000 (online)

Ohne jeden Zweifel ist heute Englisch die Sprache der Wissenschaft und auch der wissenschaftlichen Medizin. Wer als Autor von der Scientific Community beachtet werden möchte, muss in englischer Sprache publizieren. Durch die Globalisierung auch der Wissenschaft und die Möglichkeiten der elektronischen Publikation im Internet hat sich dieser Prozess noch beschleunigt. Zwar wirkte sich die wissenschaftliche Isolation während der Zeit des Nationalsozialismus und der »Brain-drain« durch die Vertreibung der jüdischen Wissenschaftler besonders auf die Forschung und die Publikationstätigkeit in Deutschland negativ aus, doch auch die übrigen europäischen Sprachen führen im Hinblick auf die wissenschaftlichen Publikationen längst ein Mauerblümchendasein. Da Deutschland aber bis in die 30-er Jahre des letzten Jahrhunderts eine Spitzenstellung in der Wissenschaft einnahm, empfand man diesen Wandel hier zu Lande besonders schmerzlich.

Wie sehr englischsprachige Fachliteratur deutsche medizinische Publikationen durchdrungen und beeinflusst hat, zeigt exemplarisch eine Analyse der Literaturzitate der Deutschen Medizinischen Wochenschrift von Navarro [5]. Er untersuchte die Häufigkeit der verschiedenen Sprachen in den Literaturangaben dieser traditionsreichen deutschsprachigen Zeitschrift im Verlauf der letzten 75 Jahre. Dabei zeigte sich, dass entgegen einer weitverbreiteten Ansicht Englisch nicht bereits kurz nach dem 2. Weltkrieg, sondern erst wesentlich später Deutsch als dominierende Sprache medizinischer Publikationen verdrängt hat (Abb. [1]). Wahrscheinlich ist dies auf die Tatsache zurückzuführen, dass die medizinische Wissenschaft der Nachkriegszeit noch weitgehend von der an humanistischen Gymnasien erzogenen Generation geprägt wurde, die ihre wissenschaftliche Laufbahn fast ausschließlich in Deutschland begonnen und nach dem Krieg hier mühevoll fortgesetzt hatte. Spätestens ab Mitte der 60-er Jahre gehörte es dagegen für einen aufstrebenden Jungforscher zur Conditio sine qua non, mindestens einen längeren Forschungsaufenthalt in den USA verbracht zu haben. Die Lebensläufe der in den letzten 10 Jahren emeritierten Ordinarien zeugen davon.

Für die wissenschaftliche Karriere eines medizinischen Forschers spielen Publikationen in Fachzeitschriften nach wie vor die wichtigste Rolle. Die Dominanz des Englischen in der Wissenschaft konnte daher an den deutschsprachigen Zeitschriften nicht spurlos vorübergehen. Zunächst wechselten alle in Deutsch publizierenden Zeitschriften, die nicht in den drei deutschsprachigen Ländern herausgegeben wurden, ihre Publikationssprache, z.B. Acta medica Scandinavica [4]. Auf der Suche nach guten Autoren und mit Einführung einer allgemein akzeptierten Rangfolge der Bedeutung durch den Impact-Faktor anglisierte auch der Großteil der in den deutschsprachigen Ländern erscheinenden Fachzeitschriften Titel und Inhalt und veröffentlichte zunächst Kurzfassungen, später auch ganze Arbeiten in englischer Sprache. Nicht immer mit Erfolg, wie das Beispiel der Klinischen Wochenschrift zeigt. Sie gehörte bis Anfang der 90-er Jahre zu den wenigen, auch international beachteten forschungsorientierten Zeitschriften deutscher Sprache mit allgemeinmedizinisch-internistischer Ausrichtung. 1992 entschlossen sich die Herausgeber, die Zeitschrift nur noch in Englisch unter dem Titel Clinical Investigator erscheinen zu lassen. 3 Jahre später änderte man Titel und Inhalt erneut. Seitdem erscheint das Blatt als Journal of Molecular Medicine, womit es sich auf ein zwar wichtiges, aber schmales Spezialgebiet begeben, jedoch von der klinischen Forschung weitgehend verabschiedet hat. Diese Entwicklung ist symptomatisch für die Entwicklung forschungsorientierter deutschsprachiger Fachzeitschriften.

Im Grunde ist die Kombination deutsche Sprache und medizinische Forschung heute ein Widerspruch in sich, da jeder publizierende Autor ein möglichst hohes Maß an Öffentlichkeit und Beachtung sucht, sich mit der Publikationssprache Deutsch aber genau davon weitgehend ausschließt. Englisch hat sich als Lingua franca der Wissenschaft durchgesetzt und wird von Wissenschaftlern als gemeinsames selbstverständliches Mittel der Verständigung benutzt. Für junge Wissenschaftler in der Medizin ist der Umgang mit angelsächsischer Literatur eine Selbstverständlichkeit, fast alle verfügen über einschlägige Auslandserfahrungen im Lauf ihrer Ausbildung. Es ist daher nur folgerichtig, dass auch in deutschsprachigen Zeitschriften der Anteil von Arbeiten in Englisch zunimmt, nicht zuletzt auf Wunsch der Autoren. Selbst ursprünglich deutschsprachige Arbeiten werden immer häufiger in der englischen Übersetzung zitiert.

Literatur

  • 1 Egger M T, Zellweger-Zähner T, Schneider M, Junker C, Cengeler L, Antes G. Language bias in randomised controlled trials published in English and German.  Lancet. 1997;  350 326-329
  • 2 Füeßl H S, Einecke D. Zertifizierte Fortbildung.  MMW-Fortschr. Med. 1999;  141 1
  • 3 Lehrl S. Autorenschaft, Co-Autoren und ihre Reihenfolge, Auswirkungen auf citation index und impact index. Creutzfeldt W, Gerok W Medizinische Publizistik New York; Georg Thieme Verlag Stuttgart 1997
  • 4 Lippert H. Rückzug der deutschen Sprache aus der Medizin?.  Med. Klin. 1978;  73 487-496
  • 5 Navarro F A. Englisch oder Deutsch? Die Sprache der Medizin aufgrund der in der Deutschen Medizinischen Wochenschrift erschienenen Literaturangaben (1920 bis 1995).  Dtsch Med Wschr. 1996;  121 1561-1566

Prof. Dr. med. Hermann Sebastian Füeßl

Geschäftsführender Schriftleiter der »MMW - Fortschritte der Medizin«

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