Pneumologie 2000; 54(10): 434-439
DOI: 10.1055/s-2000-7689
ÜBERSICHT
Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Ursache und „Therapie” der Hyperkapnie[1]

D. Köhler, B. Schönhofer, P. Haidl, P. Kemper
  • Krankenhaus Kloster Grafschaft, Zentrum für Pneumologie, Beatmungs- und Schlafmedizin, Schmallenberg
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Publikationsverlauf

Publikationsdatum:
31. Dezember 2000 (online)

Bei manchen Erkrankungen ist ein pathologischer Messwert der Erkrankungsursache in etwa gleichzusetzen. So führt z. B. ein dauerhaft erhöhter Blutdruck zur Myocardhypertrophie mit Sekundärveränderungen, wenn er lange genug besteht. Nach Behandlung der arteriellen Hypertonie bilden sich die Vorgänge teilweise zurück. Niemand käme aber auf die Idee z. B. einen erhöhten CK-Wert im Blut, wie er beim akuten Herzinfarkt auftritt, mit Antikörpern gegen CK zu behandeln, um damit den Infarkt zu bessern. Wie ist es hier aber mit der Hyperkapnie? Da sie in der Regel mit zahlreichen anderen pathologischen Veränderungen wie Cor pulmonale, Hypoxämie, verminderter Leistungsfähigkeit, Polyglobulie usw. einhergeht, ist der Gedanke naheliegend, die Hyperkapnie als eigenes pathogenetisches Prinzip anzunehmen und damit auch direkt zu behandeln. Diese Sichtweise wird scheinbar gestützt durch die Tatsache, dass die Hyperkapnie gut mit dem Pulmonalismitteldruck korreliert [[1], [2]] und dieser wiederum einer der besten Prädiktoren für die Lebenserwartung bei COPD ist [[3] [4] [5] [6] [7]].

Dementsprechend hat es in der Vergangenheit nicht an Versuchen gefehlt, die Hyperkapnie selbst durch Atemstimulanzien bzw. das damit verbundene Cor pulmonale mit Vasodilatantien zu behandeln. Das letzte aus dieser Reihe, das Almitrin, war ein „Flop”, denn es hat zwar die Hyperkapnie etwas reduziert (und damit konsekutiv die Hypoxämie etwas verbessert), aber gleichzeitig den Pulmonalisdruck und die Atemarbeit erhöht [[8] [9] [10]]. Es überrascht daher nicht, dass in der Behandlungsgruppe mit Almitrin etwas mehr Komplikationen und sogar mehr Todesfälle vorkamen [[11]]. Auch die Vasodilatantien enttäuschten, denn sie verloren ihren Wirkung nach einigen Wochen [[12] [13] [14] [15] [16] [17] [18] [19]] und erhöhten ebenfalls nur die Nebenwirkungen [[12], [15]].

Aktuell geworden ist die Diskussion über die Bedeutung der Hyperkapnie durch die Ergebnisse der multizentrischen Studien zur Sauerstofflangzeittherapie. Ganz unterschiedliche Arbeitsgruppen in der Welt haben in den letzten Jahren mit unterschiedlichen Ansätzen zeigen können, dass die Verlängerung der Lebenserwartung unter der Sauerstofflangzeittherapie weder - wie erwartet - zusammenhängt mit dem Grad der Hypoxämie am Beginn der Studie [[3], [20] [21] [22] [23]], noch der Korrektur der Hypoxämie durch Sauerstoff [[24], [25]]. Des weiteren zeigten sie, dass insbesondere nach einer Behandlungszeit mit Sauerstoff von etwa einem Jahr die Verlängerung der Lebenserwartung eindeutig mit einer Zunahme der Hyperkapnie positiv korreliert war [[20], [3]]. Dies überrascht um so mehr, da natürlich der Schweregrad der Hyperkapnie die Schwere der Grunderkrankung (z. B. COPD, Skoliose, posttuberkulöses Syndrom) widerspiegelt.

Wir wollen im folgenden eine pathophysiologische Hypothese vorstellen, die diese Befundkonstellation erklärt und zwanglos Wege zu einer effizienten Therapie aufzeigt. Des weiteren kann gezeigt werden, dass diese Therapie der Grunderkrankung in der Praxis ausgezeichnet funktioniert, was eine weitere Erhärtung dieser Hypothese darstellt.

In nahezu allen Fällen ist die Ursache der Hyperkapnie (Ausnahmen sind sehr seltene primäre Regulationsstörungen wie Undines Fluchsyndrom) Ausdruck einer chronisch überlasteten inspiratorischen Atemmuskulatur, zusammengefasst auch als Atempumpe. Diese Überlastung wird durch ganz unterschiedliche Erkrankungen ausgelöst, die entweder einen unverhältnismäßigen Energieverbrauch oder eine verminderte Muskelmasse (Muskelschwäche) verursachen. So kommt es z. B. bei der COPD infolge der Atemwegsobstruktion zur Druckbelastung der Atempumpe. Ähnliches gilt für restriktive Erkrankungen wie Skoliose, posttuberkulöses Syndrom usw. Alle Druckbelastungen der Atempumpe zeichnen sich durch einen erhöhten Arbeitsaufwand bzw. Energieverbrauch im Verhältnis zur bewegten Strecke der Muskulatur aus. Volumenbelastungen kommen in der Praxis ebenfalls vor, sind jedoch seltener. Diese beobachtet man z. B. im Endstadium eines Emphysems oder einer Lungenfibrose. Hier kommt es infolge der reduzierten Gasaustauschfläche oder erhöhten Diffusionsstrecke zu einer dauerhaften Zunahme des Atemminutenvolumens, was dann ebenfalls zu einer chron. Überlastung führt. Aber auch eine normale Last der Atemmuskulatur kann bei reduzierter Muskelmasse eine Überlastung verursachen. Dies ist typisch für Erkrankungen aus dem neuromuskulären Formenkreis.

Der Organismus richtet seine Kompensationsmechanismen immer nach der lebensbedrohlichen Störgröße aus. Im Falle der Hyperkapnie ist diese Störgröße immer die Belastung der Atemmuskulatur, die sich in einem erhöhten Energieverbrauch widerspiegelt. In Abb. [1] ist dieses schematisch für den Langzeitverlauf am Beispiel einer Skoliose dargestellt. Im Laufe der Jahre kommt es durch die zunehmende Drehung der Wirbelsäule zu einer ungünstigen Atemmechanik. Eigentliche Meßgröße für den Regler ist der Energieverbrauch der Atempumpe, die in ca. 90 % aus dem Zwerchfell besteht. Anfangs reagiert das Zwerchfell mit einer Hypertrophie wie jede quergestreifte Muskulatur [[26], [27]]. Wird die Schwelle der maximal möglichen Hypertrophie überschritten, so zeigt sich zuerst eine Reduzierung der körperlichen Aktivität; mit anderen Worten, der Patient bekommt vor Erreichen seiner Soll-Ausbelastung schon Luftnot; ein sinnvolles Warnsignal vor Überlastung. Nimmt der Energieverbrauch durch Fortschreiten der Erkrankung zu, so setzen die ersten Kompensationsmechanismen ein. Der Energieverbrauch wird durch eine kontrollierte Hypoventilation reduziert. Dies zeigt sich klinisch immer an einer Hyperkapnie, denn die Normoventilation ist an der Einstellung eines normalen pCO2 definiert. Mit der Hypoventilation folgt natürlich konsekutiv eine, sozusagen in kauf genommene Hypoxämie, deren Folgen wiederum durch eigene Mechanismen kompensiert werden. An erster Stelle steht eine Zunahme des Erythrozytenvolumens, sichtbar als Polyglobulie [[28], [29]]. Des Weiteren kommt es zu einer Verschiebung der Sauerstoffbindungskurve durch Erniedrigung des 2-3-Diphosphorglycerats [[30], [31]] sowie später der Exprimierung von Isoenzymen der Atmungskette, die mit weniger Sauerstoffmolekülen die gleiche ATP-Menge produzieren können [[32] [33] [34]]. Es gibt noch weitere Kompensationsmechanismen, von denen nicht alle bekannt sind. So führt z. B. eine chron. Hypoxämie zur Beschleunigung des Glucosetransports in die Zelle [[35], [36]].

Teleologisch betrachtet kommt es durch die Hypoventilation zu einer Verminderung des Energieverbrauchs der Atempumpe unter die Erschöpfungsschwelle. Natürlich hat der Muskel die Möglichkeit durch Variation der Energieträger kurzfristig gewisse Reserven zu mobilisieren. So wird die Grundenergieversorgung des Zwerchfells durch die aerobe Glykolyse gewährleistet. Dies erlaubt jedoch nur eine geringe Dauerlast von etwa 20 - 25 % der Maximallast [[37] [38] [39]]. Für höhere Leistungen muss auf die im Muskel vorhandenen Glykogenreserven zurückgegriffen werden. Damit kann im Bereich von etwa 24 - 36 Stunden höhere Arbeit geleistet werden [[40], [41]]. Allerdings müssen dann die anschließenden Erholungspausen wieder länger sein, um die Glykogenspeicher aufzufüllen. Hier nutzt die Natur die Zeit des Schlafs. Im Schlaf ist die Hypoventilation - sprich Hyperkapnie - bei chron. belasteter Atempumpe immer verstärkt (Köhler Apnoe). Dieses macht Sinn, denn während des Schlafes ist keine zusätzliche körperliche Arbeit zu leisten, so dass keine zusätzlichen Energieträger für die übrige quergestreifte Muskulatur und das Herz bereitgestellt werden müssen.

Übrigens passt sich die übrige Muskulatur des Körpers in etwa der maximal möglichen Leistung der Atempumpe an, da sie das limitierende Organ darstellt. Es würde teleologisch wenig Sinn machen, eine größere periphere Muskelmasse vorzuhalten, wenn diese nicht von einer adäquaten Ventilation bedient werden kann. Deswegen kommt es zur konsekutiven Reduktion der peripheren Muskulatur [[27], [42], [43]].

Wie verhält sich nun der Energieverbrauch der Atemmuskulatur bzw. der CO2-Partialdruck bei einer Verschlechterung der Grunderkrankung, wie es z. B. bei einer Exazerbation einer COPD vorkommt? In Abb. [2] ist dies schematisch dargestellt. Durch die Zunahme der Obstruktion kommt es zum weiteren Energieverbrauch der Atemmuskulatur. Dieses führt zu einer stärkeren Kompensation i. S. eines Sparmechanismus mit Hypoventilation, was sich in einer relativ stärkeren Hyperkapnie widerspiegelt. Die übliche Therapie mit Antibiotika und Steroiden führt meist zur Besserung, so dass bei leichter Exazerbation diese therapeutische Maßnahme ausreicht, um ein lebensbedrohliches Versagen der Atemmuskulatur zu vermeiden. (Der Einfluss des Sauerstoffs wurde hier aus Gründen der Vereinfachung weggelassen; er ist in Abb. [5] behandelt.)

Ein schwererer Verlauf einer Exazerbation einer COPD ist in Abb. [3] wiedergegeben. Hier kommt es zum lebensbedrohlichen Energieverbrauch der Atemmuskulatur mit schwerer Hyperkapnie, so dass der Patient beatmet werden muss. Dargestellt ist hier die assistierte Beatmungsform, wie sie üblicherweise heute eingesetzt wird (zunehmend nicht invasiv via Nasen- oder Nasenmundmaske). Diese führt zwar durch die Zwangsventilation zu einem Abrauchen des CO2 mit Normalisierung der Blutgase; die Entlastung der Atemmuskulatur ist jedoch unvollständig, da beim Triggern des Beatmungsgerätes durch die beginnende Eigenatmung bereits etwa 40 % des Sauerstoffs der Atempumpe verbraucht wird, der für einen Atmungszyklus erforderlich ist [[44]]. Messungen mit Ösophaguskatheter zeigen auch, dass unter assistierter Beatmung die Eigenatmung mitläuft, wenn auch in geringerem Umfange [[45], [46]]. Dennoch reicht diese Beatmungsform in vielen Fällen als Akutintervention aus, um eine Exazerbation zu überwinden [[47] [48] [49] [50]].

Noch günstiger für die Atempumpe ist eine kontrollierte Beatmung (Abb. [4]). Diese erfolgt entweder am sedierten Patienten mittels Intubation oder heute vorteilhafter mittels Maskenbeatmung bei chronisch ventilatorischer Insuffizienz (intermittierende Heimbeatmung), wobei es allerdings relativ viel Übung erfordert, am wachen oder nur gering sedierten Patienten eine kontrollierte Beatmung so durchzuführen, dass das Atmungszentrum die Aktivität ganz einstellt. In einem solchen Fall kommt es durch Sistieren der Eigenatmung zur starken Reduktion des Energieverbrauchs der Atempumpe. Nahezu die gesamte aufgenommene Glucose kann in Glykogen umgewandelt werden. Entsprechend der höheren Energiereserven ist nach Beendigung der Beatmung ein höheres Atemminutenvolumen möglich, so dass die Hyperkapnie nach der kontrollierten Beatmung geringer ausgeprägt ist als nach assistierter Beatmung.

Die Beispiele in Abb. [3] und Abb. [4] zeigen Fälle, bei denen durch therapeutische Maßnahmen die Atemmuskulatur durch Beatmung direkt entlastet wird und hierdurch der pCO2 im Blut fällt. Spannend wird es aber, wenn durch therapeutische Maßnahmen der pCO2 steigt und der Patient dadurch aber trotzdem seine Erkrankung schneller überwindet. Ein solches Beispiel ist in Abb. [5] dargestellt. Es lehnt sich an das Beispiel aus Abb. [2] an. Hier wurde zuerst zusätzlich Sauerstoff gegeben. Sauerstoff reduziert innerhalb von kurzer Zeit um ca. 15 % das Atemminutenvolumen, erzeugt also eine Hypoventilation [[51], [52]]. Dies zeigt sich in den Blutgasen als Hyperkapnie. Wiederum kommt es hier zur Reduktion des Energieverbrauchs der Atemmuskulatur, was die Erschöpfungsschwelle hinausschiebt. Deswegen ist hier die durch Sauerstoff induzierte Hyperkapnie ein Zeichen der Entlastung der Atemmuskulatur und drückt damit einen therapeutischen Erfolg aus. Hier dürfte übrigens auch die Ursache des besonders günstigen Effektes der Sauerstofflangzeittherapie auf die Lebenserwartung liegen. Überschießende Hyperkapnien (ohne Hypoxämien) kommen eigentlich nur bei gesundem Lungenparenchym vor (neuromuskuläre Erkrankungen), da bei diesen Fällen eine ganz geringe Ventilation ausreichend ist; die Gabe von 0,5 - 1 l/min Sauerstoff reicht hier aus.

Manche Patienten steigen unter Sauerstoff nur gering oder fast gar nicht mit dem pCO2 an. Dies gilt insbesondere für Patienten mit „pink puffer”-Emphysem im Endstadium. Diese Patienten haben trotz niedrigem FEV1 oft einen kaum erhöhten Atemwegswiderstand. Da der Atemwegswiderstand die Belastung der Atemmuskulatur in Ruhe bestimmt, kommt es bei diesen Patienten selten zu einer Überlastung [[53] [54] [55]]. Lediglich bei Exazerbationen kann es vorwiegend durch das erhöhte Atemminutenvolumen (und die dann zunehmende bronchiale Obstruktion) zu einer raschen Erschöpfung kommen. Bei solchen Patienten kann eine zusätzliche pharmakologisch induzierte Atemdepression hilfreich sein. Dieses funktioniert am besten mit Morphium, welches gut steuerbar ist (Abb. [5]). Auf der Intensivstation kann deswegen mitunter durch Gabe von Sauerstoff und Morphium erst eine Hyperkapnie induziert werden. Manchmal reicht diese Maßnahme aus, um den Energieverbrauch der Atemmuskulatur so lange unter dem kritischen Bereich der Erschöpfungsschwelle zu halten, bis die therapeutischen Maßnahmen (Antibiotika und Steroide) greifen und der Patient wieder rekompensiert. Mitunter kann damit eine Beatmung vermieden werden. Natürlich sind solche Maßnahmen immer nur erlaubt, wenn eine Intensivmannschaft zur Verfügung steht, die in nicht-invasiver Beatmung und/oder Intubation erfahren ist.

Man sieht also an diesen Beispielen, dass je nach therapeutischer Maßnahme eine Erhöhung oder eine Erniedrigung des pCO2 im Blut günstig sein kann. Gestützt wird diese Hypothese eindrucksvoll durch die Ergebnisse der intermittierenden Selbstbeatmung [[56] [57] [58] [59]]. Diese Patienten - alle mit Hyperkapnie - zeigen nach einer Beatmungszeit von ca. 3 Monaten eine Reduktion, häufig sogar eine Normalisierung des pCO2 auch außerhalb der Beatmung [[58], [59]]. Damit einher geht eine erhebliche Zunahme der Leistungsfähigkeit. So konnte eine Studie aus unserem Hause zeigen, dass die häusliche Aktivität (gemessen mittels elektronischem Schrittzähler) nach 3 Monaten intermittierender Selbstbeatmung um ca. 150 % zunimmt; und das ohne zusätzliches Training [[60]]. Letzteres dürfte den Effekt noch verstärken. Eine intermittierende Selbstbeatmung führt während dieser Zeit zum Auffüllen der Energiespeicher der Atempumpe, die im nicht beatmeten Intervall einen erhöhten Energieverbrauch zulassen. Dieser erhöhte Energieverbrauch erlaubt dann wieder eine Mehrventilation, die sich klinisch in einer Reduktion des erhöhtem PCO2 widerspiegelt.

Hypothesen, die annehmen, die Reduktion der Hyperkapnie infolge Beatmung hätte primär etwas mit Wiedereinsetzen der Atmungsregulation, d. h. vermehrte Empfindlichkeit des Atmungszentrums auf pCO2 zu tun („resetting hypothese”), sind aus der grundsätzlichen Sicht einer Energiebilanz naiv und durch keine wirklich seriöse experimentelle Studie gestützt. Patienten mit chron. Hyperkapnie zeigen unabhängig von der Ursache primär (Undines Fluchsyndrom) oder sekundär (belastete Atempumpe) immer eine reduzierte Atmungsantwort auf inspiratorisches pCO2. Patienten mit chron. belasteter Atempumpe müssen sogar eine verminderte CO2-Empfindlichkeit des Atmungszentrums haben, denn sonst würden sie sich sofort in die Erschöpfung hineinventilieren. Die Durchführung eines MMV-Manövers (Maximal Minute Ventilation) bei Patienten mit Hyperkapnie separiert diese Erkrankungstypen eindrucksvoll. Führt man ein MMV-Manöver durch, so können die Patienten mit Undine-Fluchsyndrom ohne wesentliche Dyspnoe ihr pCO2 herunterventilieren und es über einen längeren Zeitraum halten. Patienten mit erhöhtem Energieverbrauch der Atemmuskulatur sind sofort maximal erschöpft und benötigen anschließend eine längere Erholungspause. Es ist vergleichbar mit dem Füllzustand des Benzintanks im Auto. Bei den Patienten mit erhöhtem Energieverbrauch der Atemmuskulatur wird eine schwere Last gezogen und es muss Vollgas gegeben werden, damit das Auto überhaupt fährt. Patienten mit primärer Atemregulationsstörung vom Typ des Undine-Fluchsyndroms haben keine Last, bewegen aber das Gaspedal kaum. Entsprechend unterschiedlich hoch ist dann der Tankinhalt nach einer längeren Fahrstrecke.

Die Hypoventilation im Schlaf (meist gemessen als Abfall der Sauerstoffsättigung) führt primär nicht zu einer gestörten Schlafarchitektur, wenn nicht gleichzeitig ein rezidivierender Verschluss der oberen Atemwege (obstruktive Schlafapnoe) hinzukommt, der Arousuals verursacht [[61], [62]]. Die Rekompensation der chron. erschöpften Atempumpe infolge Beatmung funktioniert auch außerhalb des Schlafs am Tage in gleicher Weise [[58]]. Diese Beobachtung spricht ebenfalls eindrucksvoll gegen die „resetting Hypothese”. Der Organismus benutzt einfach die Zeit des Schlafs, um besonders effektiv seine Atemmuskulatur zu erholen. Natürlich ist es für nahezu alle Patienten bequemer, quasi die Zeit der Entlastung der Atempumpe infolge Selbstbeatmung „zu verschlafen”.

Die vorgestellte Hypothese zeigt, dass die Behandlung der Grunderkrankung bei Hyperkapnie ein solides pathophysiologisches Grundwissen erfordert. Einfache Flussschemata reichen hier zur Diagnostik und Therapie nicht aus. Gerade die Komplexität dieser Fälle zeigt aber auch die besondere Schönheit des Faches Pneumologie, das auch in der praktischen Klinik solide Kenntnisse von Gasaustausch über Atemmechanik bis hin zum Energiestoffwechsel benötigt.

Abb. 1Energieverbrauch der Atemmuskulatur im Langzeitverlauf bei Erkrankung mit erhöhter ventilatorischer Last (z. B. Skoliose). Im Laufe der Jahre kommt es durch Verschlechterung der Grunderkrankung zu einer langsamen Steigerung des Energieverbrauchs mit entsprechenden Kompensationsmechanismen; zuerst Reduktion der körperlichen Aktivität, dann Einsetzen einer Hypoventilation, sichtbar an der Hyperkapnie. Damit einher geht eine Hypoxämie, die ihrerseits wieder Kompensationsmechanismen hervorruft.

Abb. 2Beispiel einer Exazerbation einer COPD auf den Energieverbrauch der Atemmuskulatur mit daraus resultierender Hyperkapnie als Zeichen des Kompensationsmechanismus. Bei erfolgreicher Therapie mit Antibiotika und Steroiden kommt es zur Rückbildung.

Abb. 3Gleiche Situation wie Abb. [2], jedoch mit schwererem Verlauf und drohender totaler Erschöpfung der Atemmuskulatur, die eine Beatmung erfordert. Hier dargestellt ist der assistierte Modus mit Triggerung des Ventilators durch den Patienten. Infolge der Beatmung kommt es zur Normalisierung der Blutgase unter Beatmung, jedoch nur zu einer inkompletten Restitution des Energieverbrauchs der Atemmuskulatur, da der Atemzyklus unterschwellig weiterläuft und durch die Maschinenatmung nicht sichtbar wird. Der Energieverbrauch der Atemmuskulatur reduziert sich nur um etwa 40 %.

Abb. 4Gleiche Situation wie Abb. [3], jedoch mit kontrollierter Beatmung. Hier kommt es bei völligem Sistieren der Atemmuskulatur zu einer deutlichen Abnahme des Energieverbrauchs der Atemmuskulatur mit einer besseren Rekompensation nach Beatmung. Die Blutgase sind in Abb. [3] und Abb. [4] identisch.

Abb. 5Exazerbation einer COPD, die ohne Beatmung auf der Intensivstation unter Gabe von Sauerstoff und Morphium behandelt wird. Durch Sauerstoff kommt es zu einer Reduktion des Atemminutenvolumens bzw. des Energieverbrauchs der Atemmuskulatur mit konsekutiver Hyperkapnie. Morphium verstärkt diesen Effekt noch. Der Rückgang des Energieverbrauchs der Atemmuskulatur reicht mitunter aus, um eine lebensbedrohliche Erschöpfung zu vermeiden, bis die Exazerbation durch Antibiotika- und Steroidtherapie abgeklungen ist. Eine solche Maßnahme ist nur möglich, wenn sich aus anderen Gründen eine nicht invasive oder invasive Beatmung verbietet.

Abb. 6.

1 Herrn Prof. Dr. med. Heinrich Matthys zum 65. Geburtstag gewidmet.

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1 Herrn Prof. Dr. med. Heinrich Matthys zum 65. Geburtstag gewidmet.

Prof. Dr D Köhler

Krankenhaus Kloster Grafschaft Zentrum für Pneumologie, Beatmungs- und Schlafmedizin

57392 Schmallenberg