Dtsch Med Wochenschr 2000; 125(46): 1384
DOI: 10.1055/s-2000-8320
Editorial
© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Antihypertensive Therapie im Jahr 2000: Standort

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Publication Date:
31 December 2000 (online)

Eine moderne antihypertensive Therapie geht heutzutage weniger von einem Stufenschema aus, sondern wählt die Medikation nach individuellen Begleitumständen, wie hypertoniebedingten Folgeerkrankungen, Begleiterkrankungen (die möglicherweise eine Kontraindikation darstellen), anderen kardiovaskulären Risikofaktoren, persönlicher Medikamentenanamnese (Unverträglichkeiten) und der Kosten-Nutzen-Relation. Eine um so aggressivere Therapie ist indiziert, je mehr kardiovaskuläre Begleiterkrankungen vorliegen bzw. bereits Endorgankomplikationen nachweisbar sind. So wird als Behandlungsziel bei Patienten mit Niereninsuffizienz ein Blutdruck von 130/85 mmHg, bei denen mit einer Proteinurie von >1 g/d von 120/75 mmHg angestrebt [3].

Trotz intensivster Bemühungen kann die Blutdrucksenkung beim einzelnen Patienten nach Beginn einer Therapie nicht vorhergesagt werden. Früher postulierte Prädiktoren einer Blutdrucksenkung, wie Alter, Geschlecht oder Adipositas, haben keinen praktischen Stellenwert erlangt, da die individuelle Ansprechrate zu variabel ist. Die Responderrate aller in der Monotherapie eingesetzten antihypertensiven Medikamente (Diuretika, Betablocker, Kalziumantagonisten, ACE-Hemmer und Angiotensin-Rezeptor-Blocker) liegt gleichermaßen bei 50-60 %. Intensiv wird daran gearbeitet, ob möglicherweise genetische Marker, die dank der Chip-Technologie zukünftig breit eingesetzt werden können, in der Vorhersage der blutdrucksenkenden Wirkung bzw. dem Auftreten von Nebenwirkungen helfen können.

Welche antihypertensiven Medikamente sind nun Mittel der ersten und zweiten Wahl? Hierzu sprechen die Leitlinien der Deutschen Hypertoniegesellschaft klare Empfehlungen aus [2] [7]. Regionale, unter Einbeziehung der niedergelassenen praktischen Ärzte entstandene Leitlinien können jedoch durchaus Abweichungen aufweisen. Entscheidend ist, dass neue Studienergebnisse zur antihypertensiven Therapie berücksichtigt werden. So wurde in der ALLHAT-Studie der Studienarm mit dem langwirksamen Alphablocker abgebrochen, da die kardiovaskuläre Ereignisrate um 25 % höher und die des Risikos einer Herzinsuffizienz um 100 % höher war als in der Gruppe, die mit einem Diuretikum behandelt wurde. Aufgrund dieser Ergebnisse ist die Therapie mit Alphablockern in den Hintergrund (Mittel der dritten oder vierten Wahl) gerückt.

Weiterhin wurde in zwei großen Studien bei unkomplizierter arterieller Hypertonie die Sicherheit von Kalziumantagonisten belegt (NORDISC, INSIGHT-Studie) [1]. Dennoch gilt für die antihypertensive Therapie mit Kalziumantagonisten weiterhin, dass sie bei Patienten mit eingeschränkter linksventrikulärer Funktion die Entwicklung einer Herzinsuffizienz beschleunigen und bei Patienten mit instabiler und schwerer koronarer Herzerkrankung die kardiovaskuläre Mortalität erhöhen. Erstaunlich war ferner eine Meta-Analyse von bereits publizierten Studien, in der bei älteren Hypertonikern die Wirksamkeit der Betablocker bezüglich der Reduktion der kardiovaskulären Mortalität nicht erkennbar war, bei Diuretika dagegen sehr wohl [5]. Die antihypertensive Therapie mit Betablockern scheint auch das Risiko für das (frühe) Auftreten eines Typ-2-Diabetes zu erhöhen, während ACE-Hemmer dies erniedrigen [4].

Bei Patienten mit Herzinsuffizienz konnte die Überlegenheit der Angiotensin-Rezeptor-Blocker gegenüber den ACE-Hemmern nicht bewiesen werden (ELITE II-Studie) [6]. Die Angiotensin-Rezeptor-Blocker stellen jedoch eine Alternative bei der Herzinsuffizienz-Behandlung dar, wenn ACE-Hemmer unverträglich sind. In der Hochdruckbehandlung bestechen die Angiotensin-Rezeptor-Blocker durch ihr Placebo-ähnliches Nebenwirkungsprofil. Der Einsatz der Diuretika, die unbestritten den Blutdruck senken und preiswert sind, bleibt überschattet von den Fall-Kontroll-Studien und Kohortenanalysen, in denen nach jahrzehntelanger Einnahme von Diuretika ein erhöhtes Risiko des Nierenzellkrebses insbesondere bei weiblichen Hypertonikern zu beobachten war [8].

Trotz der Vielzahl der antihypertensiven Medikamente, trotz der Vielzahl der therapeutischen prospektiven Studien, trotz der Milliarden, die in die pharmakologische Forschung investiert werden, ist die Güte der Hochdruckbehandlung in den westlichen Zivilisationsländern beschämend. Der Prozentsatz der effektiv behandelten Hypertoniker bewegt sich je nach Untersuchung zwischen 10 und 20 %. Diese Daten orientieren sich ausschließlich an dem Kriterium, ob der Zielblutdruck von < 140/90 mmHg erreicht wurde, ohne auch noch die Richtigkeit in der Auswahl der antihypertensiven Medikation zu überprüfen. Leitlinien zur antihypertensiven Therapie durch die Fachgesellschaft und regional entstandene Leitlinien, die sich die Implementierung derer als Ziel gesetzt haben, könnten hier einen Impetus zur einer effektiveren Hochdruckbehandlung bringen. Die Etablierung des »Hypertonie-Spezialisten« und Hypertonieschulungen für betroffene Patienten sind weitere wichtige Instrumente, um die Qualität der Hochdruckbehandlung in Deutschland zu verbessern. In der Umsetzung der Evidence-Based-Medicine-Leitlinien liegt meines Erachtens die Herausforderung der nächsten Jahre.

Literatur

  • 1 Brown M J, Castaigne A, DeLeeuw P W, Mancia G, Palmer C R, Rosenthal T, Ruilope L M. Influence of diabetes and type of hypertension on response to antihypertensive treatment.  Hypertension. 2000;  35 1038-1042
  • 2 Deutsche Liga zur Bekämpfung des hohen Blutdruckes .Empfehlungen zur Hochdruckbehandlung. V. Deutsche Hypertonie Gesellschaft 14. Auflage, Heidelberg 1998: 1-21
  • 3 Guidelines Subcommittee . 1999 World Health Organization-International Society of Hypertension guidelines for the management of hypertension.  J Hypertens. 1999;  17 151-183
  • 4 Gress T W, Nieteo F J, Shahar E, Wofford M R, Brancati F L. for the Atherosclerosis Risk in Communities Study . Hypertension and antihypertensive therapy as risk factors for type 2 diabetes mellitus.  N Engl J Med. 2000;  342 905-912
  • 5 Messerli F H, Grossman E. β-blockers and diuretics: To use or not to use.  Am J Hypertens. 1999;  12 157S-163S
  • 6 Pitt B, Poole-Wilson P A, Segal R, Martinez F A, Dickstein K, Camm A J, Konstam M A, Riegger G, Klinger G H, Neaton J, Sharma D, Thiyagarajan B. on behalf of the ELITE II investigators . Effect of losartan compared with captopril on mortality in patients with symptomatic heart failure: randomized trial - the Losartan Heart Failure Survival Study ELITE II.  Lancet. 2000;  255 1582-1587
  • 7 Schäfers R F, Lütkes P, Ritz E, Philipp T. Leitlinie zur Behandlung der arteriellen Hypertonie bei Diabetes mellitus. Konsensus-Empfehlungen der Deutschen Liga zur Bekämpfung des hohen Blutdruckes e. V., der Deutschen Diabetes Gesellschaft und der Gesellschaft für Nephrologie.  Dtsch Med Wochenschr. 1999;  124 1356-1372
  • 8 Schmieder R E. Diuretikatherapie und das Risiko für Nierenzellkarzinome.  Dtsch Med Wochenschr. 1999;  124 410-411

Prof. Dr. Roland E. Schmieder

Medizinische Klinik IV/4, KN5 Universität Erlangen-Nürnberg

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