Dtsch Med Wochenschr 2000; 125(47): 1450
DOI: 10.1055/s-2000-8491
Leserbriefe
© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Hyperlipoproteinämie bei HIV-Patienten mit antiretroviraler Therapie: Welches Risiko ist größer - Pankreatitis oder koronare Herzerkrankung?

Weitere Informationen

Publikationsverlauf

Publikationsdatum:
31. Dezember 2000 (online)

Wir lasen mit großem Interesse die Übersicht von Goebel und Walli [1] über metabolischen Komplikationen der antiretroviralen Therapie der HIV-Infektion und möchten hier einen interessanten Fall zur Ergänzung berichten.

Ein 47-jähriger homosexueller Mann stellte sich uns wegen einer starken Hyperlipoproteinämie vor. Er hatte AIDS und zusätzlich Hepatitis B ohne Anzeichen für einen chronisch-aktiven Verlauf. Er selbst und niemand in seiner Familie hatten Anzeichen für Hyperlipoproteinämien, eine zerebrovaskuläre oder koronare Herzkrankheit (KHK). Sein Gesamtcholesterin im März 1999 betrug 200 mg/dl, HDL 30 mg/dl, LDL 130 mg/dl und Triglyzeride (TGZ) 200 mg/dl.

4 Wochen nach Beginn der antiretroviralen Therapie mit Ritonavir 600 mg/d, Amprenavir 1200 mg alle 12 h, Abacavir 300 mg alle 12 h, Lamivudin 150 mg alle 12 h und Efavirenz 600 mg abends, betrug sein Gesamtcholesterin 858 mg/dl, das HDL 61 mg/dl, das LDL 153 mg/dl (direkte Messung) und die TGZ 3454 mg/dl. Ein Kollege empfahl eine therapeutische Intervention mit Diät und Niacin, jedoch entwickelte sich eine Erhöhung der Leberfunktionswerte, was zum Absetzen aller Medikamente führte.

Innerhalb von 4 Wochen sanken die Blutfettwerte auf 223 mg/dl (Gesamtcholesterin), 30 mg/dl (HDL), 136 mg/dl (LDL) und 348 mg/dl (TGZ) und die Leberfunktionswerte in den Normalbereich. Daher wurde die hochaktive antiretrovirale Therapie (HAART) wieder aufgenommen, um ein HIV-Virusload niedrig zu halten. Der Patient erhielt nun Ritonavir in reduzierter Dosis von 200 mg/d neben den vorherigen Medikamenten.

Innerhalb von 4 Wochen erhöhten sich die Blutfettwerte erneut auf 615 mg/dl (Gesamtcholesterin), 65 mg/dl (HDL), 170 mg (direktes LDL) und 2680 mg/dl (TGZ). Daraufhin erfolgte eine Behandlung mit Fenofibrat 201 mg/d ohne durchschlagenden Erfolg und mit eher niedrigeren HDL-Werten zwischen 34 und 38 mg/dl.

Der Patient hatte mit Vasotec behandelten Bluthochdruck, eine Vorgeschichte als Raucher (bis 1989) und zu keinem Zeitpunkt Anzeichen für KHK oder Pankreatitis. Nüchternblutzucker, TSH, freies T4, und Lipase blieben normal. Der Untersuchungsbefund war negativ für Xanthome, Xanthelasmata, Karotisgeräusche, Büffelnacken oder andere cushingoide Merkmale, jedoch positiv für Lipodystrophie an Kopf/Wangen und Extremitäten (Waden, Arme). Angesichts der hohen TGZ war unsere primäre Sorge das Risiko einer drohenden Pankreatitis, wenngleich der Patient Risikofaktoren (Bluthochdruck, Hyperlipoproteinämie, vorheriges Rauchen, Geschlecht, Alter) für KHK hatte. Segerer et al. [2] berichteten in ihrer Erfahrung mit solchen Patienten unveränderte oder erniedrigte HDL-Werte. Es bleibt uns unklar, warum sich bei unserem Patienten mit niedrigen »Baseline« HDL-Werten bei Behandlungsbeginn mit HAART die HDL-Werte verdoppelten, im Verlauf in den Normalbereich absanken und damit dem schlechten »Baseline« LDL/HDL-Quotienten > 4, der unter HAART auf 2,5 absank, wieder annäherten.

Wie von Goebel und Walli (1) erwähnt, lassen sich zur Frage des kardiovaskulären Risikos unter HAART keine sinnvollen Schlussfolgerungen ziehen, wenngleich kleinere Studien kein Risiko berichten (3, 4, 5) im Gegensatz zu Fallserien [6] [7] .

Obwohl unser Patient euglykämisch war, (noch) keine Symptome für KHK und keine klaren Anzeichen für eine (autonome) Neuropathie (z. B. HIV, DM, Medikamente) hatte, entschlossen wir uns, ihn einem Treadmillstresstest zu unterziehen, um frühzeitig intervenieren zu können. Interessanterweise hatte der Patient trotz hoher TGZ-Spiegel keine Xanthome oder Xanthelasmata. Wir empfahlen, Fenofibrat abzusetzen und nochmals Niacin zu versuchen mit anfänglich minimaler Dosis und langsamer Dosissteigerung unter täglicher Gabe von 100 mg Acetylsalicylsäure und wöchentlicher Überprüfung der Leberfunktions- und Nüchternblutzuckerwerte.

Literatur

  • 1 Goebel F D, Walli R. Metabolische Komplikationen der antiretroviralen Therapie der HIV-Infektion.  Dtsch Med Wschr. 2000;  125 771-773
  • 2 Segerer S, Bogner J R, Walli R, Loch O, Goebel F D. Hyperlipidemia under therapy with protease inhibitors.  Infection. 1999;  27 77-81
  • 3 Penzak S R, Chuck S K. Hyperlipidemia associated with HIV protease inhibitor use: pathophysiology, prevalence, risk factors and treatment.  Scand J Inf Dis. 2000;  32 111-123
  • 4 Klein D, Sidney S, Hurley L, Iribarren C. Do protease inhibitors increase the risk for coronary heart disease among HIV positive patients?. Presented at: 6th Conference of Retroviruses and Opportunistic Infections; January 31-February 4, Chicago, IL. Abstract 657 1999
  • 5 Coplan P, Nikas A, Saah A, Nessly M, Doll L, Leavitt R. et al .No association observed between indinavir therapy for HIV-AIDS and myocardial infarction in 4 clinical trials with 2.825 subjects. Presented at: 6th Conference of Retroviruses and Opportunistic Infections; January 31-February 4, Chicago, IL. Abstract 658 1999
  • 6 Henry K, Melroe H, Huebsch J, Hermundson J, Levine C, Swenson L. et al . Severe premature coronary artery disease with protease inhibitors (letter).  Lancet. 1998;  351 1328
  • 7 Flynn T N, Bricker L A. Myocardial infarctions in HIV-infected men receiving protease inhibitors (letter).  Ann Intern Med. 1999;  131 548

Dr. med. Christian A. Koch
Dr. med. Gernot Wolkersdoerfer

National Institutes of Health, NICHD

Building 10, Rm 9D42

Telefon: 001/301/402-4620

Fax: 001/301/402-0180

eMail: kochc@exchange.nih.gov