Dtsch Med Wochenschr 2000; 125(48): 1451
DOI: 10.1055/s-2000-8664
Editorial
© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Kardiologische Rehabilitation: Und sie wirkt doch!

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Publication Date:
31 December 2000 (online)

Die Effektivität der stationären Rehabilitation wurde lange Zeit wissenschaftlich gar nicht untersucht. Ergebnisqualität war bis zur Depression in der Rehabilitation im Jahr 1997 als Folge gesetzgeberischer Maßnahmen kein Thema. Um so leichteres Spiel hatte die Politik. Es ist daher sehr erfreulich, dass der Kosten- und Rechtfertigungsdruck in den letzten Jahren zu einer Reihe von Untersuchungen geführt hat. Für die kardiologische Rehabilitation sind die DGPR (Deutsche Gesellschaft für Rehabilitation und Prävention von Herz-Kreislauferkrankungen) und einige Kliniken in Eigenregie tätig geworden.

Verschiedene Aspekte der kardiologischen Rehabilitation wurden in den letzten Jahren untersucht. In diesem Heft werden die neuesten Daten der PROTECT-Studie [3] und der PIN-Studie (Post-Infarkt-Nachsorge) veröffentlicht [4]. PROTECT zeigt, dass erfreulicherweise, und für die meisten sicher auch überraschend, die in der Reha-Klinik eingeleitete Therapie ambulant bei 90 % der Patienten unverändert fortgeführt wurde. Die langfristigen Reha-Ergebnisse hinsichtlich der Verbesserung der Risikoprofile sind sowohl in PROTECT (6 Monate) als auch in PIN (12 Monate) zunächst enttäuschend. Allerdings sind diese beiden Studien, wie auch alle früheren Reha-Studien in Ermangelung einer echten Kontrollgruppe ohne Reha nicht geeignet, die Frage zu beantworten, ob stationäre Reha überhaupt wirkt.

Umso sensationeller sind die ersten Ergebnisse der »Reha-Geschwisterforschung« [1] . In einer Fall-Kontrollstudie mit einem »gigantischen« Screeningaufwand in neun Reha-Zentren konnten aus 93 500 Patientenakten 92 Geschwisterpaare mit Myokardinfarkt vor dem 55. Lebensjahr entdeckt werden, von denen jeweils ein Geschwister eine stationäre Reha absolvierte, das andere Geschwister jedoch nicht. Die Ergebnisse nach 5,5 Jahren zeigen einen überragenden Erfolg der Reha. Das Risikoprofil war bei den Geschwistern mit Reha deutlich besser, sie rauchten weniger, hatten bessere Lipidwerte und einen niedrigeren Blutdruck (137/82 mmHg) im Vergleich zu ihren Geschwistern ohne Reha (150/89 mmHg). Dementsprechend traten signifikant weniger Reinfarkte auf (Risikoreduktion 58 %), und es waren 46 % (n. s.) weniger Eingriffe (PTCA und Bypass) erforderlich. Man darf davon ausgehen, dass dieser großartige Erfolg nicht nur für Geschwister gilt! Damit ist der Langzeiteffekt der stationären kardiologischen Rehabilitation endlich in einer kontrollierten Studie mit einer optimalen Vergleichsgruppe ohne Reha eindeutig nachgewiesen.

Zurück zu PROTECT und PIN. Im Licht der Geschwisterstudie muss man davon ausgehen, dass die Langzeitergebnisse (Risikoprofil) bei Herzinfarktpatienten ohne stationäre Reha noch schlechter sind als in PROTECT und PIN. Das ist zumindest die naheliegendste Schlussfolgerung. Die Langzeit-Blutdruckwerte in den drei Studien waren erstaunlicherweise sehr ähnlich. Wenn sie in PROTECT und PIN auch höher waren als bei Entlassung aus der Reha, so waren sie dennoch im normotensiven Bereich: 134/80 (PROTECT) und 133/80 mmHg (PIN). Abgesehen von den vordergründig enttäuschenden Ergebnissen zeigen die PROTECT- und PIN-Daten dennoch im Vergleich zu den Daten der deutschen Stichprobe aus EUROASPIRE [2] , der europäischen Studie zur »ambulanten« Sekundärprävention, wesentlich bessere Langzeitergebnisse beim Blutdruck und der Medikation [Tab. 1].

Die Effizienz und die Effektivität der stationären kardiologischen Rehabilitation sind nun eindeutig nachgewiesen. Die Langzeitergebnisse hinsichtlich der Blutdruckeinstellung sind erfreulich. Bei den anderen Risikofaktoren besteht noch erheblicher Handlungsbedarf. Die sehr effektive medikamentöse Therapie zur Sekundärprävention wird in einem inzwischen erfreulich hohen Prozentsatz durchgeführt und nach der Entlassung auch in einem hohen Prozentsatz beibehalten. Aber auch hier ist noch erheblicher Handlungsbedarf, um die Langzeitergebnisse weiter zu verbessern. Das erfordert mehr Gesundheitsbildungsmaßnahmen und Schulungen in der Klinik. Stattdessen kann auf unnötige und zeitaufwendige Diagnostik verzichtet werden. Gesundheitsbildung muss als wichtigster Therapiebaustein neben einer optimalen medikamentösen Therapie noch ernster genommen werden, um eine nachhaltige Lebensstiländerung im Rahmen der Rehabilitationsmaßnahme zu initiieren. Dafür braucht es weniger verhinderte Akutkardiologen als überzeugte Rehabilitations- und Präventionsärzte!

Tab. 1 Vergleich der Langzeitergebnisse von PROTECT- , PIN- und EUROASPIRE-Studie. Blutdruck > 140/90 Gesamt- Cholesterin HDL- Cholesterin BMI > 30 PROTECT 14,9 % 198 mg/dl 45 mg/dl 26,9 % EUROASPIRE 54,5 203 46 27.5 Medikation Acetylsalicylsäure Beta- blocker ACE- Hemmer Lipid- senker Ca-Antagonisten PROTECT 88 % 77 % 50 % 70 % 14 % PIN 77 70 53 62 19 EUROASPIRE 83 44 31 35 36

Literatur

  • 1 Baessler A, Hengstenberg C, Holmer S, Fischer M, Mayer B, Klein G, Riegger H, Schunkert H. Long-term effects of in-hospital cardiac rehabilitation on the cardiac risk profile: A case-control study in pairs of siblings with myocardial infarction.  DMW. 2000;  S35 (Suppl 3))
  • 2 Enbergs A, Liese A, Heinbach M, Kerber S, Scheld H H, Breithardt G, Kleine-Katthöfer P, Keil U. Sekundärprävention der koronaren Herzkrankheit auf dem Prüfstand. Ergebnisse der EUROASPIRE-Studie in der Region Münster.  Z Kardiol. 1997;  86 284-291
  • 3 Gohlke H, Jarmatz H, Zaumseil J, Bestehorn K, Jansen C, Hasford J. Einfluss eines optimierten Schnittstellenmanagements auf die Langzeiteffektivität der kardiologischen Rehabilitation.  Dtsch Med Wschr. 2000;  125 1452-1456
  • 4 Völler H, Klein G, Gohlke H, Dovifat C, Bintings S, Willich S N. Sekundärprävention Koronarkranker nach stationärer Rehabilitation.  Dtsch Med Wschr. 2000;  125 1457-1461

Prof. Dr. Martin Middeke

Rehaklinik Wiessee

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83707 Bad Wiessee