Dtsch Med Wochenschr 2001; 126(11): 315-316
DOI: 10.1055/s-2001-11855
Fragen aus der Praxis
© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Prostaglandintherapie bei arterieller Verschlusskrankheit

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Publikationsdatum:
31. Dezember 2001 (online)

Frage: Welche therapeutischen Möglichkeiten hat Prostaglandin E1 bei der Behandlung der peripheren arteriellen Verschlusskrankheit?

Anwort: Prostanoide wie das Prostaglandin E1 (PGE1) weisen ein breites Spektrum an Effekten insbesondere auf die Mikrozirkulation auf. Im Vordergrund stehen antiinflammatorische, antiaggregatorische, fibrinolytische und zytoprotektive Effekte, wobei deren kausale Bedeutung für die klinischen Ergebnisse bei der Behandlung der pAVK nicht ausreichend geklärt sind. Nachwievor bestehen Unsicherheiten im richtigen Einsatz von PGE1 bei der Behandlung der pAVK.

Anwendung im Stadium II der pAVK: Diehm et al. behandelten doppelblind, randomisiert und Placebo-kontrolliert 213 Patienten mit Claudicatio über 4 Wochen fünfmal und weitere 4 Wochen zweimal wöchentlich intravenös mit PGE1. Die schmerzfreie Gehstrecke verbesserte sich unter PGE1-Behandlung gegenüber Placebo signifikant (60 % versus 101 %;1). Scheffler et al. behandelten in einer offenen Studie randomisiert 4 Wochen lang jeweils 15 Patienten, die gleichzeitig ein Gefäßtrainingabsolvierten, intravenös mit Pentoxifyllin bzw. PGE1 und verglichen den Effekt mit einer unbehandelten Gruppe. Das Übungsprogramm alleine führte zu einer 99 %igen und die zusätzliche Infusion von Pentoxifyllin zu einer 119 %igen Zunahme der maximalen Gehstrecke. Dagegen wurde durch Infusion von PGE1 eine deutliche Zunahme der maximalen Gehstrecke von 371 % erreicht [2].

Mit dem im Januar 2000 publizierten TASC Dokument [3] steht ein Dokument zur Verfügung, das von wichtigen amerikanischen und europäischen Fachgesellschaften verabschiedet wurde. Das Papier wurde auf der Basis der bis Mitte 1999 publizierten Studien erarbeitet. Im Rahmen dieses Konsensus werden in der Pharmakotherapie der Claudicatio folgende Differenzierungen vorgenommen: Substanzen mit „belegtem aber geringem Benefit”, mit „minimalem oder keinem Benefit” und „inkomplett untersuchte Substanzen mit potentiellem Benefit”. Prostanoide wie PGE1 und PGI2 werden der letzten Gruppe zugeordnet. Die Empfehlung dieses Konsensus lautet daher, durch noch durchzuführende Studien diejenigen Patienten zu charakterisieren, die von einer Behandlung mit Prostanoiden profitieren.

Derzeit ist PGE1 in Deutschland für die Behandlung des Stadium II der pAVK zwar nicht zugelassen. Auf der Basis der oben zitierten Studien jedoch ist aus unserer Sicht der Einsatz von PGE1, in Einzelfällen auch im Stadium II sinnvoll. Zu diesen Fällen zählen wir das sogenannte „komplizierte Stadium II” (formal Stadium II und zusätzliches Vorhandensein von Nekrosen) sowie Patienten im Stadium II B mit sehr kurzen beschwerdefreien Gehstrecken (unter 30 m) bei denen wegen entsprechender Begleitumstände ein Gehtraining nicht durchgeführt werden kann und orale Medikamente (z. B. Pentoxifyllin) wirkungslos sind.

Anwendung im Stadium III und IV der pAVK: PGE1 ist in Deutschland zur Behandlung der pAVK im Stadium III und IV zugelassen. Im Gegensatz zur Behandlung des Stadium II ist die Datenlage für dieses Stadium sicherer. Bis dato wurden vier offen und drei doppelblind durchgeführte Studien mit intravenöser bzw. intraarterieller PGE1 Applikation publiziert, in denen gegen Placebo, ATP, Pentoxifyllin oder Niacin getestet wurde. Die Behandlung umfasste bei diesen Studien jeweils einen Zeitraum von zwei bis vier Wochen. Alle sieben Untersuchungen zeigten einen Benefit hinsichtlich mindestens eines der gewählten Endpunkte Schmerzreduktion, Analgetikaverbrauch, Abheilungsrate von Ulzera sowie Amputationshäufigkeit. Bei zwei Studien wurde jedoch keine statistische Signifikanz erreicht (siehe TASC). Mittels eines krankheitsspezifischen Fragebogens (PAVK-86) wurde im Rahmen einer an 90 Patienten im pAVK Stadium IV multizentrisch durchgeführten Pilotstudie der Einfluss einer vierwöchigen intravenösen Infusionsbehandlung mit PGE1 auf die Lebensqualität erfasst. In allen Subskalen (Schmerzen, funktioneller Status, Angst, Stimmung) kam es sowohl nach Therapieende als auch nach einer dreimonatigen Nachbeobachtungsphase zu signifikanten Besserungen. Ruheschmerz und Ulkusgröße nahmen signifikant ab [4].

In dem TASC Papier wird der Einsatz von PGE1 bei Patienten empfohlen, bei denen 1. revaskularisierende Maßnahmen nicht möglich sind, bei denen 2. eine solche Maßnahme eine nur geringe Erfolgsaussicht bietet oder bei denen ein bereits durchgeführter Revaskularisationsversuch erfolglos war und 3. vor allem bei Patienten, bei denen eine Amputation die einzige Alternative zu sein scheint. Diese Empfehlungen entsprechen i. W. denen der Kommission „Qualitätssicherung” der Deutschen Gesellschaft für Angiologie, denen zu Folge der Einsatz von PGE1 indiziert ist, wenn im Stadium III bzw. IV we der operative noch andere interventionelle Maßnahmen zur Revaskularisierung in Frage kommen [5].

Anwendung beim Diabetischen Fußsyndrom: Patienten mit einem Diabetischen Fußsyndrom stellen eine Sondergruppe dar, die einer eigenen Betrachtung bedarf. Es müssen diejenigen Patienten mit einer diabetischen Podopathie ohne kritische Ischämie von denen unterschieden werden, die aufgrund einer zusätzlichen obliterativen Arteriopathie eine kritische Extremitätenischämie aufweisen. Zwar gibt es für die Zielgröße Abheilung neuropathischer Läsionen keine gesonderten Untersuchungen. Es darf aber in Analogie zur Behandlung von Patienten mit einer pAVK IV ohne Diabetes auch bei diabetischen Fußläsionen mit kritischer Extremitätenischämie ein positiver Effekt unterstellt werden. Ob Patienten mit ausschließlich neuropathischer Läsion ohne obliterative Arteriopathie von einer Therapie mit PGE1 profitieren ist bisher in keiner kontrollierten Studie untersucht worden.

Literatur

  • 1 Diehm C, Balzer K, Bisler H. et al . Efficiacy of a new prostaglandin E1 regimen in outpatients with severe intermittent claudication.  J Vasc Surg. 1997;  25 537-544
  • 2 Scheffler P, de la Hamette D, Gross J. et al . Intensive vascular training in stage IIb of peripheral arterial occlusive disease.  Circulation. 1994;  90 818-822
  • 3 Dormandy J A, Rutherford R B. TransAtlantic Inter-Society Consensus . Management of peripheral arterial disease.  J Vasc Surg. 2000;  (Suppl) 31 S1-S296
  • 4 Scheffler P, Altmann E, Kamci M. et al . Mulitzentrische Erhebung zur Wirksamkeit und Verträglichkeit wiederholter ProstavasinTM-Behandlung bei Patienten mit aVK Stadium III/IV.  Vasa. 1999;  (Suppl.) 54 30-36
  • 5 Rieger H, Creutzig A, Diehm C, Spengel F A. Chronische periphere arterielle Verschlusskrankheit. Classen M, Dierkesmann R Heimpel H et al Rationelle Diagnostik und Therapie in der Inneren Medizin. München Urban und Fischer 2000: E1-E6

Dr. Hans-Joachim Kruse
PD Dr. Sebastian Schellong

Universititätsklinikum Carl Gustav Carus Technische Universität Dresden Medizinische Klinik und Poliklinik III Arbeitsbereich Angiologie

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