Dtsch Med Wochenschr 2001; 126(11): 316
DOI: 10.1055/s-2001-11856
Fragen aus der Praxis
© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Osteoporoserisiko durch Übersäuerung des Organismus und Behandlungsmöglichkeit durch alkalisierende Therapie?

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Publication Date:
31 December 2001 (online)

Frage: Nach den gegenwärtigen Kenntnissen ist nicht der Kalziummangel die Ursache für den Knochenschwund, sondern eine ernährungsbedingte Übersäuerung des Körpers verantwortlich. Inwieweit lässt sich somit durch eine azidotische osteoporosehemmende Therapie die Schmerztherapie auf die neuen Erkenntnisse in die Praxis umsetzen?

Antwort: Unter den multiplen Risikofaktoren, die im Einzelfall an der lebenslangen Entwicklung einer Osteoporose beteiligt sein können, gewinnen Ernährungsfaktoren mit Recht zunehmend an Interesse. Dabei besteht jedoch ein hohes Risiko zu einseitigen Betrachtungsweisen der insgesamt doch sehr komplexen Pathogenesen der verschiedenen Osteoporoseformen.

So hört man in letzter Zeit zunehmend die These, nicht der Kalziummangel, sondern die ernährungsbedingte Übersäuerung des Körpers sei Hauptursache des progredienten Knochensubstanzverlustes, der zur Osteoporoseerkrankung führe.

Tatsache ist, dass eine langzeitige negative Kalziumbilanz, durch ungenügende orale Zufuhr, enterale Malabsorption oder renale Verluste einen regulativen sekundären Hyperparathyreoidismus auslöst, mit dem Ziel den Serum-Kalziumspiegel im Normbereich zu halten. Dieses geht auf Kosten des Kalziumdepots Skelett, d. h. die These, chronischer Kalziummangel sei kein Osteoporoserisikofaktor, trifft nicht zu. Eine relativ niedrige Kalziumzufuhr mit der Diät kann andererseits durch eine optimale Vitamin D-Versorgung (Ernährung, Sonnenlicht) kompensiert werden. Die geringen Kalziummengen aus überwiegend pflanzlicher Kost werden dann enteral fast vollständig resorbiert. Normalerweise werden 20-30 % des Nahrungskalziums enteral aufgenommen, im höheren Alter oft weniger als 10 %. Als Beispiel kann die japanische Bevölkerung angeführt werden. Bei relativ geringem nutritivem Kalziumangebot wird viel Fisch (auch roh) verzehrt, d. h. relativ viel Vitamin D direkt zugeführt. Interessanterweise ist in Japan auch bei der Osteoporosetherapie die Anwendung von Alfacalcidol überproportional hoch, d. h. die Optimierung der enteralen Kalziumausnutzung durch einen aktiven D-Metaboliten. Der zweite Aspekt, dass „Übersäuerung” einen Osteoporoserisikofaktor darstellt, ist unbestritten. So wird in verschiedenen Untersuchungen belegt, dass eine sehr proteinreiche Kost durch renale Kalziumverluste die Osteoporose begünstigt. Die Schlussfolgerung, dass deshalb Milch und Milchprodukte als proteinreiche Nahrungsmittel schädlich für das Skelett seien, ist jedoch u. E. überzogen. Der sehr hohe Kalziumgehalt dieser Nahrungsmittel kompensiert bei weitem den moderat gesteigerten renalen Kalziumverlust durch den Ansäuerungseffekt der Proteine.

Als Beleg dafür, dass eine Acidose-begünstigende Kost langzeitig das Skelett in Richtung Osteoporoseentstehung schädigt, können Untersuchungen gelten, die eindeutig zeigen, dass durch Alkalisierungsmaßnahmen Osteoporosepräventionen möglich ist [1]. Eine langzeitige Behandlung mit Kaliumbikarbonat oder -zitrat führt zu einer positiven Kalziumbilanz und vermeidet damit den oben genannten Mechanismus des sekundären Hyperparathyreoidismus mit Abbau von Knochensubstanz zur Aufrechterhaltung der Kalziumhomöostase [2].

Eine alkalisierende oder antiacidotische Diät kann somit langzeitig neben Kalzium, Vitamin D, Bewegung und evtl. Hormonsubstitution zur Osteoporoseprävention beitragen. Einen unmittelbaren Zusammenhang zwischen antiacidotischer Therapie und Schmerz-therapie, wie in der vorliegenden Anfrage weiterhin anklingt, können wir pathophysiologisch nicht begründen. Selbstverständlich wird jedes konsequente und dem Einzelfall sinnvoll angepasste Osteoporosetherapiekonzept mittelfristig über eine Stabilisierung der Knochensubstanz auch die Osteoporoseschmerzen positiv beeinflussen.

Literatur

  • 1 Sebastian A, Harris S T, Ottaway J H, Todd K M. Improved mineral balance and sceletal metabolism in postmenopausal women treated with potassium bicarbonate.  N Engl J Med. 1994;  330 1776-1781
  • 2 Ringe J D. Arzneimitteltherapie 1995.  13 193-197

Prof. Dr. med. J. D. Ringe

Med. Klinik IV Klinikum Leverkusen

51375 Leverkusen