Krankenhauspsychiatrie 2001; 12(1): 1
DOI: 10.1055/s-2001-12958
EDITORIAL

Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

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Publication Date:
31 December 2001 (online)

Die Enquête zur Lage der Psychiatrie in der Bundesrepublik Deutschland mit dem Untertitel „zur psychiatrischen und psychotherapeutischen/psychosomatischen Versorgung der Bevölkerung” (Bundestagsdrucksache 7/4200 und 7/4202, Bonn 1975) ist keineswegs überholt, vielleicht sogar angesichts der anhaltenden Reformdiskussionen in der Gesundheitspolitik aktueller denn je. Dieser Enquête war ein Zielplan zur Versorgung psychisch Kranker und Schwachsinniger im Lande Nordrhein-Westfalen - veröffentlicht im Januar 1972 - vorausgegangen, in dem nachdrücklich hervorgehoben wurde, dass die Mehrzahl psychisch Kranker und geistig Behinderter heute noch isoliert in unserer Gesellschaft lebt und ihre Gleichstellung mit körperlich Kranken nicht zuletzt deshalb bisher nicht gelungen ist.

Was hat sich daran, so ist zu fragen, in den zurückliegenden zweieinhalb Jahrzehnten geändert? In struktureller Hinsicht und organisatorisch sicherlich eine Menge, vieles ist in Bewegung geraten; die psychiatrischen Landeskliniken wurden verkleinert, umstrukturiert, die tagesklinische und ambulante Versorgung verbessert, auch die Personalsituation. Fehlplatzierungen konnten abgebaut, wenn auch nicht behoben werden.

Dies gilt nach wie vor - nicht nur, wohl aber in besonderem Maße - für die Gerontopsychiatrie. Konnte damit aber die Isolierung der Mehrzahl psychisch Kranker und geistig Behinderter aufgehoben werden? Ist vor allem ihre Gleichstellung mit körperlich Kranken gelungen? Zweifel erscheinen angebracht.

Die Gründe dafür liegen einmal darin, dass die Rekommunalisierung der Psychiatrie über - wenn auch bemerkenswerte - Ansätze in den 70er und 80er Jahren nicht hinausgekommen ist. Sie ist auf halbem Wege stecken geblieben und stagniert seitdem: Nach wie vor ist das Bild psychisch kranker Menschen in der Gesellschaft ein Spiegelbild der Institutionen, die für ihre Behandlung zuständig sind.

Solange diese aber weiterhin von „überörtlichen Trägern” wahrgenommen wird - nicht ausschließlich, aber weitgehend zumindest - wird eine konsequente Rekommunalisierung auch in Zukunft nicht gelingen. Die damit sich ergebende Gleichstellung mit körperlich Kranken aber wäre eine wesentliche Voraussetzung für die Behebung der - noch immer Behandlung und Rehabilitation psychisch Kranker und Behinderter negativ belastender - Vorurteile.

Auch dies gilt für die Gerontopsychiatrie in besonderem Maße: Ihre Eingliederung in die allgemeinmedizinische Versorgung ist aufgrund enger Wechselwirkungen zwischen psychischen und körperlichen Erkrankungen und zunehmender Multimorbidität zwingend.

Ich halte die geforderte Rekommunalisierung und Eingliederung der Gerontopsychiatrie nicht zuletzt unter ethischen Gesichtspunkten für vordringlich, seitdem nicht erst seit der immer aktueller und kontroverser werdenden Diskussion über notwendige Gesundheitsstrukturreformen qualitätswertende und qualitätssichernde und damit die Wirtschaftlichkeit medizinischer Maßnahmen als wesentliche Parameter gelten.

Im Rahmen der auch unter diesen Gesichtspunkten notwendigen Umgestaltungen des Gesundheitswesens könnte dem „Konzept der gesundheitsbezogenen Lebensqualität” am Modell der Gerontopsychiatrie eine besondere Rolle zufallen.

Die damit verbundenen Entscheidungen müssen auf gesellschaftlicher Ebene getroffen und verantwortet werden; politisch unpopulär und schwierig, medizinethisch gleichwohl um so nachdrücklicher zu fordern.

M. Bergener, Bergisch Gladbach[*]