Zusammenfassung
Der rechtlich geklärte Verzicht auf Bluttransfusionen, wie er bei Zeugen Jehovas (ZJ) zu praktizieren ist, führte zur Entwicklung leistungsfähiger, individualisierter Anästhesieverfahren und Operationstechniken. Vorreiter war die Arbeitsgruppe um Cooley am Texas Heart Institute Anfang der 60er Jahre. Über die chirurgische Behandlung von ZJ in der Urologie gibt es nur kasuistische Beiträge. Die Resultate der Vorgehensweise bei 70 ZJ sind in einer retrospektiven Studie überprüft worden.
Patienten und Methode: Bei 61 Erwachsenen (Durchschnittsalter 61 Jahre) und 9 Kindern (Altersmedian 6,23 Jahre) wurden 80 Operationen vorgenommen. Die präoperativen hämatologischen Befunde waren bei 81,3 % der Erwachsenen und allen Kindern im Normbereich. 2/61 Erwachsene hatten bei normaler partieller Thromboplastizität Quick-Werte von 30 % und 61 %. Von den 80 Operationen wurden 30 als blutungsbedroht eingestuft, die restlichen, einschließlich der 9 Eingriffe bei Kindern, als blutungsarm. Der häufigste Eingriff (n = 17) der ersteren war die radikale retropubische Prostatektomie, der letzteren die transurethrale Prostataresektion (n = 14). Nur 7 % der Patienten mit blutungsbedrohten Eingriffen hatten keinen Risikofaktor, aber 91,7 % wurden in der ASA-Klasse 1 und 2 eingestuft. Von den Eingriffen mit hohem Blutungsrisiko wurden 8,3 % als ASA-Klasse 3, aber keiner höher klassifiziert. Die ethisch-rechtliche Situation war bei jedem ZJ geregelt (Dokumente zur ärztlichen Versorgung). Operationstaktisch wurde die Kompartmenttechnik gewählt.
Ergebnisse: Bei den blutungsarmen Eingriffen der Kinder war die perioperative Phase nicht gestört. Bei 13 % der Erwachsenen kam es anästhesiebedingt zu einem nicht bedrohlichen Blutdruckabfall auf maximal 60/40 mm Hg ohne krankheitsrelevanten Hb-Abfall, bei allen wurde eine transurethrale Prostataresektion durchgeführt. Die Liegezeit betrug durchschnittlich 10,5 Tage.
Bei 30 blutungsbedrohten Eingriffen betrug die durchschnittliche Operationsdauer 2,5 Stunden und bei hohem Blutungsrisiko 3,4 Stunden. 29,2 % hatten eine Peridural- und Intubationsnarkose, 10 % eine kontrollierte Hypotension. Operationsbedingt fiel der Hb-Wert bei 92 % der Patienten mit hohem Blutungsrisiko unter den Normalwert. 2 Frauen hatten einen Hb-Nadir von 5,0 und 4,9 g/100 ml ohne hierdurch bedingte Komplikationen. Ein Patient verstarb bei einem postoperativen Hb von 10,5 g/100 ml an einer autoptisch gesicherten Lungenembolie. Die Liegezeit für Patienten nach blutungsbedrohten Eingriffen betrug 19,5 Tage, für Patienten mit hohem Blutungsrisiko 23,9 Tage.
Schlussfolgerung: Im Einklang mit den im wissenschaftlichen Schrifttum widergegebenen Erfahrungen ließ sich in dieser Studie zeigen, dass blutersatzfreies Operieren auch bei großen Eingriffen in der Urologie möglich ist.
Abstract
The refusal of blood transfusion by Jehova's Witnesses (JW) stimulated the development of problem-oriented anesthesiological and surgical techniques.
A pioneer of bloodless surgery was Cooley at the Texas Heart Institute in the Sixties. However, up to now, urological surgery of JW has not been evaluated systematically. Here in our experience in 70 JW is reported in a retrospective study.
Patients and methods: A total of 61 adults (average age 61 years) and 9 children (median age 6.23 years) underwent 80 urological procedures. Preoperatively, the hematological findings were normal in 81.3 % of the adults and in all children. Despite a normal PTT, 2/61 adults had a prothrombin time of 30 % and 60 %, respectively. 30/80 operations were classified as prone to blood loss (PBL). 17/30 were radical retropubic prostatectomies (RRP), among the less endangered were 17 transurethral resections of the prostate (TURP). Only 7 % of the patients with PBL interventions were without risk factor (e. g. diabetes), but 91.7 % were grouped as ASA class 1 or 2, the remaining patients as ASA class 3. The ethico-legal requirements were met in all 61 JW. In patients subjected to open surgery the compartment technique was carried out.
Results: In all 9 children the perioperative course was uneventful. In 13 % of the adults with non-PBL-procedures the blood pressure fell to 60/40 not accompanied by a drop in hemoglobin; all had a TURP. The hospital stay lasted an average of 10.5 days. In the 30 PBL-operations, the time required was 2.5 hours, but in patients with a high risk of bloodloss (24/30) the time was 3.4 hours. 29.2 % had a peridural anesthesia plus intubation, 10 % had controlled hypotension. In 92 % of the high-risk patients the hemoglobin fell below the lower normal limit. Two female patients tolerated a hemoglobin nadir of 5.0 and 4.9 g/100 ml, respectively, without complications. One patient succumbed to an autopsy-proven pulmonary embolism. The hospital stay in PBL-patients lasted 19.5 days, in high-risk patients 23.9 days.
Conclusion: In keeping with the experience reported in the literature, this study demonstrated that bloodless surgery is feasable even in major urological surgery.
Key words
Urology - Jehovah's witnesses - Prostate cancer - bloodless - blood transfusion