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DOI: 10.1055/s-2001-14673
Gibt es pulmonale Candidainfektionen?
Are Pulmonary Candida Infections a Reality?Publication History
Publication Date:
31 December 2001 (online)
In den letzten 20 Jahren hat die Inzidenz invasiver Mykosen bei Patienten mit schweren Grunderkrankungen und eingreifenden Therapien deutlich zugenommen [1]. Es handelt sich dabei vorwiegend um neutropenische Patienten mit hämatologischen und soliden Neoplasien, aber auch um kritisch kranke Patienten auf Intensivstationen, Diabetiker und Patienten mit chronischen Lungenerkrankungen. Die am häufigsten gefundenen Pilze sind Aspergillen und Candida spp. So ist die Rate nosokomialer Candidämien in großen US-amerikanischen Krankenhäusern zwischen 1980 - 1989 um das Fünffache angestiegen. Hinsichtlich pulmonaler Manifestationen ist die pathogenetische Rolle von Aspergillen gut charakterisiert, während weitgehende Unsicherheit bei der Frage der Bedeutung und Therapiebedürftigkeit von respiratorischen Candidanachweisen herrscht [2].
Candida spp. sind ubiquitäre, opportunistische Hefepilze, deren Pathogenität an das Vorliegen von begünstigenden Milieufaktoren und einer gestörten zellulären Immunabwehr gebunden ist. Hierbei disponiert eine Neutropenie vorwiegend zu systemischen Infektionen, während auch hochgradige Störungen der T-Zellfunktion wie bei AIDS bevorzugt die mukosale Immunität beeinträchtigen und daher eher mit Schleimhautinfektionen wie der Soorösophagitis assoziiert sind [3]. Candidainfektionen entstehen überwiegend endogen im Gefolge eine Besiedlung der oropharyngealen, gastrointestinalen und vaginalen Schleimhäute des Wirtsorganismus. Im Krankenhaus spielt die nosokomiale Erregerausbreitung unter prädisponierten Patientengruppen (Intensivstationen, Onkologie) eine zunehmend wichtige Rolle. Auch in der Normalbevölkerung werden Candida spp. nicht selten im Stuhl gefunden, ohne in diesem Kollektiv von pathogenetischer Bedeutung zu sein, auch wenn die Kombination derartiger Befunde mit unspezifischen klinischen Symptomen zur Hypothese des „Candida-Hypersensitivitätssyndroms” geführt und in großem Umfang Pilzsanierer unterschiedlicher Provenienz auf den Plan gerufen hat [4]. Bei der Entwicklung invasiver Infektionen sind neben den zugrunde liegenden Immundefizienzen häufig Terrainveränderungen wie eine alterierte Schleimhautbarriere oder eine Störung der physiologischen Standortflora durch prolongierte antibakterielle Breitspektrumtherapie beteiligt.
Die Voraussetzungen zur Entwicklung systemischer, invasiver Candidosen sind heute bei einer zunehmenden Zahl von Patienten gegeben, in der Pneumologie z. B. bei Patienten mit Bronchialkarzinomen, die unter multimodalen Therapien Neutropenien und/oder eine Mukositis entwickeln oder bei Patienten auf Intensivstationen, die nach größeren chirurgischen Eingriffen prolongiert mit Breitbandantibiotika therapiert werden müssen. Candidämien finden sich in deutschen Krankenhäusern immerhin bei 1 - 2 % der Sepsispatienten mit positiven Blutkulturen [5]. Erstaunlicherweise spielt die Lunge als Manifestationsorgan der systemischen Candidiasis eine untergeordnete Rolle; so fanden sich in einer prospektiven Studie zur Inzidenz invasiver Mykosen bei Intensivpatienten [6] in 2 % invasive Mykosen, darunter aber keine Candidainfektion der Lunge. Auch in einer kürzlich erschienenen Arbeit zur Inzidenz von Mykosen nach thorakaler Transplantation fand sich neben einer größeren Zahl invasiver pulmonaler Aspergillosen und Candidämien eine tracheobronchiale Candidose, aber kein Fall einer primären Candidapneumonie [7]. Internationale Leitlinien zur Diagnostik und Therapie systemischer Candidainfektionen geben dementsprechend nur spärliche Hinweise zu pulmonalen Manifestationen [8], und die Originalliteratur zur primären Candidapneumonie beschränkt sich bei kritischer Sichtung auf wenige, überwiegend kasuistische Mitteilungen [9] [10].
Nach morphologischen Kriterien ist bei pulmonalen Candidainfektionen grundsätzlich ein hämatogener von einem aerogenen Infektionsweg zu unterscheiden. Autoptisch finden sich meist disseminierte Entzündungsherde mit perivaskulärer Ausbreitung und Neigung zur Ausbildung hämorrhagischer Infiltrationen, die eine hämatogene Aussaat wahrscheinlich machen. In der Regel sind zusätzlich weitere Organe betroffen. Aerogene Infektionen mit bronchopneumonischen Herden in Abwesenheit anderer Erreger sind dagegen nur vereinzelt dokumentiert [11]. Diese Tatsache kontrastiert deutlich zur Häufigkeit des Candidanachweises in der bronchoalveolären Lavage und anderen respiratorischen Sekreten. So wurden in Studien zur Ätiologie der nosokomialen Pneumonie, die gleiche Kriterien für den Nachweis von Pilzen und Bakterien als ursächliche Erreger anlegen (z. B. quantitativer Erregernachweis mit ≥ 104 cfu/ml in der BAL), Inzidenzen der Candidapneumonie von 3 - 6 % angegeben [12] [13]. Allerdings ist bei ausgeprägter oropharyngealer Besiedlung, wie sie bei kritisch kranken Patienten oft zu beobachten ist, immer mit einer erheblichen Kontamination bei der Gewinnung respiratorischer Materialien zu rechnen, welche die Diskrepanz zwischen dem häufigen Candidanachweis in der BAL und dem Mangel an dokumentierten Parenchyminfektionen am ehesten erklärt. Neuere Untersuchungen bei nichtneutropenischen Intensivpatienten, die den intravitalen mikrobiologischen Nachweis mittels Bronchoskopie mit der postmortalen Histologie kombinierten, fanden dementsprechend einen niedrigen Vorhersagewert des Candidanachweises aus respiratorischen Materialien für das Auftreten einer Pilzpneumonie [14]. Zu ähnlichen Ergebnissen kam eine Studie, die den klinischen Verlauf von Patienten mit respiratorischen Candidabefunden beschrieb, die großteils nicht antimykotisch behandelt wurden [15]. Die vor allem auf Intensivstationen häufig zu beobachtende Praxis, Patienten mit antibiotikarefraktären Lungeninfiltraten und Nachweis von Hefen in der BAL systemisch mit Antimykotika zu therapieren, ist nach den vorliegenden Befunden also in der Regel unbegründet. Abgesehen von Kostengesichtspunkten und dem Nebenwirkungs- und Interaktionspotenzial der meist eingesetzten Azole ist hierbei auch das Risiko der Selektion von Candidastämmen mit primärer (z. B. C. krusei) oder sekundärer Resistenz zu berücksichtigen.
Ist demnach der Nachweis von Candida spp. in respiratorischen Materialien wertlos? Nein, denn in der adäquaten klinischen Situation (Vorliegen von Terrainfaktoren, Immundefizienz, wiederholter Erregernachweis auch an anderer Stelle) handelt es sich um einen Marker eines erhöhten systemischen Infektionsrisikos. Untersuchungen der 90er Jahre haben gezeigt, dass eine Beziehung zwischen der Intensität der Kolonisation mit Candida spp. und dem Auftreten schwerer systemischer Infektionen besteht: So fanden Pittet u. Mitarb. bei Patienten einer chirurgischen Intensivstation ein erhöhtes Risiko, eine systemische Candidiasis zu entwickeln, wenn ein hoher „Kolonisierungsindex” vorlag, der als Summe positiver Candidanachweise in unterschiedlichen Lokalisationen geteilt durch die Gesamtzahl der untersuchten Materialien definiert war [16]. Ein Kolonisierungsindex über drei war mit einem signifikant erhöhten Erkrankungsrisiko assoziiert. Der wiederholte respiratorische Candidanachweis beim prädisponierten Patienten kann demnach bei einer Klinik, die nicht durch eine bakterielle Infektion zu erklären ist, auch in der Lunge durchaus auf eine Candidainfektion hindeuten. Diese ist dann allerdings mit hoher Wahrscheinlichkeit hämatogen erworben und sollte daher wie eine systemische Candidainfektion abgeklärt und therapiert werden. Hierzu gehört insbesondere die Suche nach extrapulmonalen Entzündungsherden (zentrale Venenkatheter, Leber/Milz, Nieren, Augenhintergrund).
Insgesamt handelt es sich bei der pulmonalen Candidiasis vermutlich um eine überdiagnostizierte und übertherapierte Erkrankung. Wegen der Bedeutung einer rechtzeitig eingeleiteten Therapie für die Prognose invasiver Pilzinfektionen bei Risikopatienten erscheint ein hohes Verdachtsmoment dennoch erforderlich. Solange keine besseren Kriterien zur Verfügung stehen, sind für die korrekte Einschätzung der Situation eine rationale Risikostratifizierung und eine nicht auf die Lunge begrenzte Erregerdiagnostik entscheidend. Abb. [1] zeigt hierzu in Anlehnung an einen Vorschlag von Azoulay und Mayaud [2] einen möglichen Algorithmus.
Abb. 1Algorithmus zum Vorgehen bei Candidanachweis aus respiratorischen Sekreten (modifiziert nach [2]).
Literatur
- 1 Beck-Sague C M, Jarvis W R. The national nosocomial infections surveillance system: secular trends in the epidemiology of nosocomial fungal infections in the United States 1980 - 1990. J Infect Dis. 1993; 167 1247-1251
- 2 Azoulay E, Maqaud C. Pneumopathie a Candida: mythe ou realite?. Rev Pneumol Clin. 1999; 55 349-351
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- 14 El-Ebiary M, Torres A, Fabregas N, de la Bellacasa K P, Gonzalez J, Ramirez J, delBano D, Hernandez C, de Anta M TJ. Significance of the isolation of candida species from respiratory samples in critically ill, non-neutropenic patients. Am J Respir Crit Care Med. 1997; 156 583-590
- 15 Rello J, Esandi M E, Diaz E, Mariscal D, Gallego M, Valles J. The role of Candida sp isolated from bronchoscopic samples in non-neutropenic patients. Chest. 1998; 114 146-149
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Prof. Dr. med. Klaus Dalhoff
Medizinische Klinik II
Medizinische Universität zu Lübeck
Ratzeburger Allee 160
23538 Lübeck