Sprache · Stimme · Gehör 2001; 25(2): 49
DOI: 10.1055/s-2001-14686
Editorial

© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

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Publication Date:
31 December 2001 (online)

Lippen-Kiefer-Gaumenspalten sind die häufigsten und wichtigsten kraniofazialen Fehlbildungen, sie treten mit einer großen Variationsbreite auf, und ihre Inzidenz wird heute mit 1 : 500 Geburten angegeben. Sie entstehen durch Störungen der embryonalen Entwicklung der paarigen Oberkiefer- und Nasenwülste sowie der paarigen Gaumenfortsätze und des Nasenseptums.

Als Behandlungsziel bei der Rehabilitation von Lippen-Kiefer-Gaumenspalten definieren wir heute eine vollständige ästhetische und funktionelle Wiederherstellung. Sie lässt sich nur im Rahmen eines interdisziplinären Behandlungskonzeptes, das den Patienten von der Geburt bis zum Abschluss des Wachstums im frühen Erwachsenenalter begleitet, verwirklichen. Nur die enge Zusammenarbeit verschiedener medizinischer Fachdisziplinen an speziellen Behandlungszentren kann eine umfassende und individuelle Versorgung der angeborenen Spaltbildungen gewährleisten. Einem solchen interdisziplinären Behandlungsteam müssen Mund-Kiefer-Gesichtschirurgen, Phoniater und Pädaudiologen, Kieferorthopäden, Kinderärzte, Zahnärzte, Humangenetiker und ggf. Kinderpsychologen regelmäßig zur Verfügung stehen. An der Medizinischen Hochschule Hannover ist seit Jahren ein interdisziplinäres Zentrum zur Behandlung von Lippen-Kiefer-Gaumenspalten etabliert, in dem sich die einzelnen Fachdisziplinen um die umfassende Rehabilitation der Kinder mit Lippen-Kiefer-Gaumenspalten bemühen.

Als therapeutischer Erfolg der Spalttherapie darf nur ein ästhetisch und funktionell optimales Spätergebnis im Erwachsenenalter angesehen werden. Alle chirurgischen Eingriffe, die nur ein vordergründiges, scheinbar gutes Ergebnis im Säuglings- und Kleinkindesalter ergeben und die nicht durch begleitende konservative Behandlungsmaßnahmen unterstützt werden, sind abzulehnen. Dabei ist zu berücksichtigen, dass alle Operationen an den Weichteilen und Knochen des wachsendes Gesichtes ansetzen und dass durch das Operationstrauma Wachstumsstörungen am kindlichen Gesichtsschädel provoziert werden können. Deshalb ist nicht nur eine besondere Sorgfalt und ein atraumatisches Vorgehen bei allen Spaltoperationen zu fordern, sondern es bedarf aller heute zur Verfügung stehenden konservativen Behandlungsmaßnahmen, um bei Kindern mit Lippen-Kiefer-Gaumenspalten ein befriedigendes Ergebnis zu erzielen. Die einzelnen Behandlungsschritte müssen in enger Abstimmung mit dem gesamten Behandlungsteam erfolgen, dabei ergeben sich weitgehend standardisierte Operationstermine für den primären Verschluss der einzelnen Spaltabschnitte. Anzustreben ist, die Primäroperation bis zum Abschluss der ersten Dentition abzuschließen. Bei durchgehenden Spalten schließen sich weitere Eingriffe routinemäßig zu einem späteren Zeitpunkt an.

Wegen der Bedeutung der Lippen-Kiefer-Gaumenspalten für Sprache und Gehör ist es sehr verdienstvoll, dass die Schriftleitung von „Sprache, Stimme, Gehör“ die Behandlung dieser Fehlbildung als Leitthema gewählt hat. In Einzelbeiträgen verschiedener Disziplinen unseres interdisziplinären Behandlungszentrums wird nicht nur das Hannoveraner Behandlungskonzept vorgestellt, sondern auch die Hintergründe und Probleme der einzelnen Behandlungsschritte aufgezeigt. Dabei wird ein besonderer Schwerpunkt auf die Behandlung der Sprache, der Stimme und des Gehörs und die Wachstumsproblematik des Gesichtsschädels gelegt. Ich hoffe sehr, dass diese Beiträge für den Leser eine ausreichende Information über diese wichtige Fehlbildung des Gesichtes gibt.

J.-E. Hausamen, Hannover