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DOI: 10.1055/s-2001-14808
Continuing Medical Education (CME): Ein altes Thema wieder ganz aktuell?
Continuing Medical Education (CME): old wine in new bottles?Publikationsverlauf
Publikationsdatum:
31. Dezember 2001 (online)
Bunte Buttons, ins Auge springende „CME” Labels verzieren seit neuem die Coverseiten vieler wissenschaftlicher Zeitschriften: Die in den USA seit den frühen 80er Jahren eingeführte „Continuing Medical Education” wurde in Deutschland entdeckt. Die für jeden praktizierenden Arzt ethisch seit jeher verankerte Pflicht zur kontinuierlichen Weiterbildung soll nun überprüfbar gemacht werden. Der 102. Deutsche Ärztetag hatte 1999 für alle Ärzte eine freiwillige Fortbildung mit Leistungsnachweis beschlossen und empfohlen, dass für die Erlangung eines Fortbildungszertifikates in drei Jahren 150 und in fünf Jahren 250 Fortbildungpunkte (Credit points) gesammelt und dokumentiert werden sollen. Neben dem Besuch von Fortbildungsveranstaltungen soll auch das Lesen - wohl das meist genutzte Medium zur theoretischen Fort- und Weiterbildung, sei es traditionell auf bedrucktem Papier oder fortschrittlicher (?) und etwas ermüdender auf dem Bildschirm - mit „Credit points” belohnt werden. Mittlerweile wurden von unterschiedlichen Gremien, u. a. den Fortbildungs-Beauftragten der Landesärztekammern und den Fortbildungs-Akademien der Landes- und Bezirksärztekammern, einheitliche Bewertungskriterien für den Erwerb eines Fortbildungszertifikates erarbeitet, die in den einzelnen Landesärztekammern verabschiedet wurden oder in Zukunft noch verabschiedet werden müssen [1]. Sofern der Fortbildungswillige seinen Lernerfolg beim Lesen eines wissenschaftlichen Beitrages in einem von den Landesärztekammern anerkannten Organ nachweisen kann, wird er seinem Konto bis zu maximal 10 Punkte pro Jahr zu Gute schreiben können. Dabei wird der Lernerfolg nach der bisherig geübten Praxis durch die Beantwortung von Multiple-Choice-Fragen kontrolliert. Einzelne Landesärztekammern haben für einzelne wissenschaftliche Zeitschriften bereits bestimmte Rubriken für einen solche Punkteerwerb anerkannt. Dabei wird fast unbemerkt und ohne Kritik das viel gescholtene und von nicht wenigen Experten als untauglich angesehene Mittel für eine solide patientenorientierte ärztliche Ausbildung, das Multiple-Choice-System, übernommen und aufgewertet, da allein dieses System die einzig mögliche technische Lösung der Kontrolle des Lernerfolges darzustellen scheint. Eine inhaltliche Diskussion ist nicht erfolgt oder wurde zumindestens nicht sichtbar geführt.
An der Notwendigkeit des übergeordneten Zieles, nämlich den Wissensstand der Ärzte bei der rasanten Geschwindigkeit an täglich neuen Informationen im Interesse der Patienten kontinuierlich zu steigern, ist nicht zu zweifeln, es erscheint aber die Frage angebracht, ob die hierfür gewählten Mittel in der Lage sind, den Wissenstand der in unseren Kliniken und Praxen tätigen Ärzten nachhaltig zu optimieren. Sicher werden die beteiligten Gremien und Organe in der Lage sein, das Problem technisch zu lösen: Die Selbstverwaltungsorgane, Wissenschaftliche Gesellschaften, Verlage und Herausgeber wissenschaftlicher Zeitschriften, CME-Geschäftsstellen, vielleicht in Zukunft auch kommerzielle Anbieter haben Möglichkeiten erarbeitet und zum Teil bereits umgesetzt. An der bürokratischen Perfektionierung des Endproduktes wird es bei solchen Unternehmungen erfahrungsgemäss in Deutschland nicht fehlen.
Eine wesentliche Frage sollte bei allen positiv zu sehenden Bemühungen um einen freiwilligen Fort- und Weiterbildungsnachweis aber nicht außer Acht gelassen werden: Sind die Methoden geeignet, den theoretischen Wissenszuwachs in die klinischen Entscheidungen, in die Praxis der Medizin am Krankenbett, im OP, am Anästhesiearbeitsplatz umzusetzen? In den USA, die seit 1981 über Erfahrungen in der Zertifizierung von Fortbildungsmassnahmen verfügen, wird zunehmend Kritik an diesem System geäußert. Es wird daran gezweifelt, ob der Wissenszuwachs, der durch Konferenzen, Kongresse, Diskussionsrunden, journal clubs, Internet-Seiten u. ä. m. zweifelsohne gegeben ist, auch umgesetzt werden kann und damit dem Patienten zugute kommt. J. C. Wyatt vom Knowledge Management Centre des University College of London hat dieses Spannungsfeld zwischen „contuinuing education” und „lifelong learning” kürzlich in einem Beitrag im Journal of the Royal Society of Medicine” beschrieben [2]. Er lässt keinen Zweifel daran, dass der „Fossilisierung” unseres Wissens und unserer Fertigkeiten entgegengewirkt werden muss, schließt sich aber Davies et al. an, die den traditionellen Methoden der „continuing education” wenig Effektivität bei der Umsetzung des erworbenen Wissens zuordneten [3], und fordert auf, sich vermehrt dem Problembasierten Lernen zu zuwenden. Die empirisch gewonnene, lernpsychologische Evidenz ist, dass der Mensch viel besser lernt und länger memoriert, wenn er dieses Wissen bei der Lösung eines realen Problems abrufen muss, zum Beispiel im klinischen Kontext, konfrontiert mit einer realen klinischen Problemlösung, in der Interaktion Arzt-Patient oder Arzt-Therapeutisches Team. Dies steht im Widerspruch zum individuellen Lernen über Multiple-Choice-Verfahren (ohne akuten Bedarf einer Problemlösung also). Wyatt schlägt vor, CME zu transformieren, „from an intensive to hours a week (or a few days a year) to 1 minute here, 3 minutes there, prompted by the clinical problems and learning opportunities scattered through every working day”. Vom Seminarraum oder der Bibliothek zum problemorientierten Lernen im klinischen Alltag! Fallbesprechungen, Besprechungen über „critical incidents” oder „near miss”-Ereignisse, die Bereitsstellung von Mentoren, die Bereitschaft aller Beteiligten Lernmomente im klinischen Alltag („teachable moments”) [4] zu nutzen, multidisziplinäre Konferenzen, Informationsaustausch und Diskussion in web-basierten Nutzergruppen, interaktive Lernanwenungen im WEB, Simulationstraining, Telemedizin, kurze Fallpräsentationen bei regelmässigen Besprechungen stellen allesamt Möglichkeiten dar, Problemorientiertes Lernen im Alltag zu praktizieren. Dies alles passt natürlich nicht in das aktuelle Konzept der CME mit Erwerb eines Zertifikates, denn für die o. g. Massnahmen werden in der Regel keine Punkte vergeben.
Stellen diese Gedanken die CME im Allgemeinen oder den Erwerb von CME-Punkten über das Lesen und das Beantworten von Fragen grundsätzlich in Frage? Sicher nicht! Das Lesen von Büchern und Zeitschriften bleibt - so glaube ich zum mindestens aus meiner eigenen Erfahrung als Leser, Herausgeber und Autor - über weitere viele Jahre ein wesentlicher Bestandteil des strukturierten Wissenerwerbs. In der unübersichtlichen Flut an täglichen Publikationen, die uns zu überschwemmen droht und die niemand beim besten Willen bewältigen kann, stellt das Buch in einem etwas langsameren Zeitraster und die wissenschaftliche Zeitschrift im schnelleren Takt eine Art Anker dar, um nicht von der Informationswelle hinweggerissen zu werden oder an der Fülle der ungelösten Fragen zu verzweifeln.
AINS widmet sich seit Jahren einer strukturierten und qualifizierten Weiterbildung. Die Rubriken Übersicht, Kontroverse, Mini-Symposien und Facharzt-Weiterbildung wurden bereits 1996 in AINS aufgenommen und verfolgen das Ziel einer kontinuierlichen praxisorientierten Weiterbildung. So weit wir wissen, erfreuen sich diese Rubriken grosser Beliebtheit bei unseren Lesern und Abonnennten. In diesem Heft hat M. K. Herbert seinem Facharzt-Weiterbildungsbeitrages über die „Magen-Darm-Atonie beim Intensivpatienten” eine Fragesammlung angefügt. Diese Aktivitäten werden in Zukunft ergänzt durch eine spezielle Fragesammlung zur Vorbereitung auf die Facharztprüfung. Darüber hinaus wird AINS ihren Lesern und Abonnenten in Kürze ebenfalls einen Service des Punkteerwerbs durch Beantwortung der Fragen anbieten und damit dem Beispiel anderer folgen.
Das übergeordnete Ziel sich lebenslang einem kontinuierlichen Lernprozess zu stellen ist richtig; das Beantworten von Fragen nach dem Lesen eines Zeitschriftenbeitrages stellt eine Form der Interaktion dar, wenn auch eine rudimentäre und der Interaktion beim Gespräch mit Kollegen oder in der Gruppe deutlich unterlegene. CME über multiple-choice ist eine Möglichkeit unter vielen, sich „fit” zu halten und AINS wird auch diese Möglichkeit anbieten. Über diese Form hinaus sollten aber die weitaus wichtigeren Möglichkeiten der Wissenserweiterung und des Umsetzens des Wissens in die klinische Praxis nicht in den Hintergrund geraten. Das Sammeln von Punkten allein macht keinen guten Anästhesisten!
Literatur
- 1 Gerst T. Ärztliche Fortbildung. Zertifiziert und freiwillig. Dt Ärztebl. 2001; 98 B1113-B1115
- 2 Wyatt J C. Keeping up:continuing education or lifelong learning?. J R Soc Med. 2000; 93 36-38
- 3 Davies D A, Thomson M A, Oxman A D, Haynes R B. A systematic review of the effects of continuing medical education strategies. JAMA. 1995; 274 700 S
- 4 Badgett R G, O'Keefe M, Henderson M C. Using systematic reviews in clinical education. Annals Intern Med. 1997; 126 886-891
Prof. Dr. C. Krier
Klinik für Anästhesiologie und operative Intensivmedizin
Katharinenhospital
Kriegsbergstr. 60
70174 Stuttgart