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DOI: 10.1055/s-2001-14809-5
Neuromonitoring -
ein Muss für die Zukunft?
Neuromonitoring - A Must for the Future?
Publication History
Publication Date:
28 April 2004 (online)
Die Ausschaltung von Bewusstsein (Hypnose) und Erinnerungsvermögen (Amnesie) stellt neben der Vermeidung des Schmerzempfindens (Analgesie) das wichtigste Ziel einer Narkose dar. Zu diesem Zweck ist es notwendig, eine ausreichend tiefe Narkose durchzuführen. Eine unangemessen tiefe Narkose kann insbesondere bei Patienten mit grenzwertig kompensierter Kreislauffunktion zu hämodynamischer Instabilität führen. Ferner hat eine zu tiefe Narkose eine prolongierte Aufwachphase zur Folge. Die Patienten werden später wach, die verzögerte Wiederkehr der Schutzreflexe und einer ausreichenden Spontanatmung ermöglichen die Extubation erst zu einem späteren Zeitpunkt und die Verweildauer im Aufwachraum ist verlängert. Ist die Narkose zu flach, besteht das Risiko einer intraoperativen Wahrnehmung („awareness”) unter der Narkose.
Es lassen sich unterschiedliche Formen der intraoperativen Wahrnehmung differenzieren. Zwischen 0,2 und 2 % der narkotisierten Patienten können sich postoperativ explizit an eine Episode intraoperativer Wachheit erinnern. Die überwiegende Anzahl dieser Patienten gibt auch auf Befragung keine Erinnerung an eine intraoperative Schmerzempfindung an. Der Anteil derer, die über Schmerzwahrnehmung berichten, liegt nach einer Übersicht von Schwender et al. bei weniger als 0,03 % [1]. Wesentlich höher liegt die Zahl derer, die intraoperativ in der Lage waren, bewusst auf Aufforderung zu reagieren, die sich aber postoperativ an dieses Ereignis nicht mehr entsinnen können. In einzelnen Erhebungen betrug dieser Anteil über 50 % der Patienten. Schließlich besteht noch die Möglichkeit, dass zwar das Bewusstsein der Patienten unter Narkose ausgeschaltet war, eine unbewusste auditive Wahrnehmung aber postoperativ implizit erinnerbar ist. Patienten mit impliziter Erinnerung können das intraoperativ Wahrgenommene im Wachzustand nicht explizit wiedergeben. Das Vorhandensein der Information lässt sich aber nachweisen, wenn den Patienten implizite Gedächtnisaufgaben gestellt werden. Implizite Gedächtnisinhalte haben postoperativ subtile Veränderungen des Sprachgebrauchs und des Verhaltens zur Folge. Zudem lassen sich die unbewussten Wahrnehmungsinhalte unter Hypnose abrufen.
Intraoperativ wahrgenommene akustische Informationen waren bei bis zu 80 % der Patienten implizit gespeichert [1].
Diese Befunde sind von Bedeutung, da sie Wohlbefinden und psychische Gesundheit der Patienten nachhaltig einschränken können. Selbst wenn die Patienten keine Schmerzen wahrgenommen haben, empfanden sie ihren Zustand der Hilflosigkeit und des Ausgeliefertseins alptraumhaft. Panik, etwas sei schief gelaufen und entziehe sich ihrer Einflußnahme, das Gefühl, gelähmt zu sein, bis hin zu Todesängsten werden von den Patienten durchlebt [2] [3]. Postoperativ können die Patienten, insbesondere wenn sie ein Schmerzerlebnis hatten, ein posttraumatisches Stresssyndrom entwickeln. Schwender hat die von der American Psychiatric Association vorgeschlagenen Symptome und diagnostischen Kriterien des posttraumatischen Stresssyndroms zusammengestellt [3]. Sie beinhalten z. B. das ständige Wiedererleben der Ereignisse in Träumen, aber auch Stressreaktionen im Zusammenhang mit Reizen, die die Patienten mit dem Ereignis in Verbindung bringen. Die Lebensqualität ist häufig durch eine depressive Grundstimmung eingeschränkt. Hinzu kommen Schlafstörungen, Unausgeglichenheit, Konzentrationsstörungen oder eine pathologische Schreckhaftigkeit [1]. Welche klinische Bedeutung der unbewussten Wahrnehmung und deren impliziter Erinnerung im Hinblick auf die psychische und somatische Gesundheit zukommt, wird kontrovers diskutiert, doch werden neben Schlafstörungen und Alpträumen auch postoperativ neu aufgetretene Depressionen, Psychosen und Neurosen mit unbewusst erlebten intraoperativen Ereignissen in Zusammenhang gebracht.
Mit intraoperativer Wahrnehmung ist besonders dann zu rechnen, wenn in bestimmten klinischen Szenarios eine relativ flache Anästhesie bewusst in Kauf genommen wird, wie etwa bei Sectio caesarea oder unter Bedingungen, wo eine tiefe Anästhesie mit einer hämodynamischen Instabilität verbunden sein könnte, wie nach herzchirurgischer Operation oder in der Akutversorgung des Polytraumatisierten. Daneben prädisponiert natürlich auch ein individuell erhöhter Narkosemittelbedarf bei fehlender Prämädikation und emotionalem Stress, bei Drogen- oder Alkoholabusus, wiederholten Vollnarkosen und Adipositas zu Wachheitsphänomenen. Auch die im Rahmen einer Narkose eingesetzten Medikamente scheinen eine Rolle zu spielen. In Kasuistiken über intraoperative Wachheitsphänomene wurden vor allem Anästhesiekonzepte beschrieben, die lediglich auf der Gabe von Opioiden und Benzodiazepinen oder einem Lachgas/Sauerstoffgemisch in Kombination mit Muskelrelaxanzien beruhten.
Zur Überwachung einer ausreichenden Narkosetiefe bedient sich der Anästhesist in der Regel mehrerer Parameter. So können sowohl die hämodynamischen (Anstieg von Herzfrequenz und Blutdruck) als auch die vegetativen (Tränenfluss, Schwitzen oder eine allgemeine Hautrötung) Parameter als Zeichen einer Sympathikusaktivierung Hinweise auf eine unzureichende Narkosetiefe liefern. Wird die Narkose dann nicht vertieft, werden sich schließlich auch Rückkehr von Husten- und Schluckreflex, das Öffnen der Augen oder Bewegungen der Extremitäten einstellen. Damit wird deutlich, dass bereits die medikamentöse Sympathikusblockade und die Muskelrelaxation den Anästhesisten seiner wichtigsten Überwachungsparameter berauben. Der Einsatz objektiver Überwachungsverfahren zur Einschätzung der Narkosetiefe wäre daher wünschenswert.
Experimentell korrelierten die Kontraktilität des unteren Ösophagussphinkters, die spontane Muskelaktivität des M.frontalis, das Ausmaß der Herzfrequenzvariabilität oder Veränderungen des Hautwiderstandes mit der Anästhesietiefe. Aufgrund mangelnder Sensitivität und Spezifität oder der Gefahr von Komplikationen wie im Falle der Ösophagussphinkter-Methode konnten sich die genannten Verfahren aber in der Praxis nicht durchsetzen.
Für die Klinik erscheinen grundsätzlich insbesondere elektrophysiologische Methoden geeignet, da alle Anästhetika in den gebräuchlichen Dosierungen die hirnelektrische Aktivität beeinflussen. Hierbei kommen sowohl Veränderungen des Roh-Elektroenzephalogramms (EEG), einigen charakteristischen Größen des sog. prozessierten EEGs (Medianfrequenz, spektrale Eckfrequenz, Bispektralindex) und den akustisch evozierten Potentialen mittlerer Latenz eine Bedeutung zu.
Literatur
- 1 Schwender D, Klasing S, Daunderer M, Madler C, Pöppel E, Peter K. Wachzustände während Allgemeinanästhesie. Definition, Häufigkeit, klinische Relevanz, Ursachen, Vermeidung und medikolegale Aspekte. Anästhesist. 1995; 44 743-754
- 2 Moerman N, Bonke B, Oosting J. Awareness and recall during general anesthesia. Anesthesiology. 1993; 79 454-464
-
3 Evans J M.
Patients' experiences of awareness during general anaesthesia. In: Rosen M, Lunn JN (eds) Consciousness, awareness and pain in general anaesthesia. London; Butterworth 1987: 184-192 - 4 Thornton C, Konieczko K, Jones J G, Jordan C, Dore C J, Heneghan C PH. Effect of surgical stimulation on the auditory evoked response. Br J Anaesth. 1988; 60 372-378
- 5 Schwender D, Golling W, Klasing S, Faber-Züllig E, Pöppel E, Peter K. Effects of surgical stimulation on midlatency auditory evoked potentials during general anaesthesia with propofol/fentanyl, isoflurane/fentanyl, and flunitrazepam/fentanyl. Anaesthesia. 1994; 49 572-578
- 6 Song D, Girish P J, White P F. Titration of volatile anesthetics using bispectral index facilities recovery after ambulatory anesthesia. Anesthesiology. 1997; 87 842-848
- 7 Gajraj R J, Doi M, Mantzaridis H, Kenny G NC. Comparison of bispectral EEG analysis and auditory evoked potentials for monitoring depth of anaesthesia during propofol anaesthesia. Br J Anaesthesia. 1999; 82 672-678
- 8 Sleigh J W, Donovan J. Comparison of bispectral index, 95 % spectral edge frequency and approximate entropy of the EGG, with changes in heart rate variability during induction of general anaesthesia. Br J Anaesthesia. 1999; 82 666-671
Priv.-Doz. Dr. F. Hinder
Klinik und Poliklinik für Anästhesiologie und
operative Intensivmedizin
Universitätklinikum Münster
Albert-Schweitzer-Straße 33
48149 Münster