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DOI: 10.1055/s-2001-14974
Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York
Der „Neue Markt” und die computerassistierte orthopädische Chirurgie - Endet die CAOS im Chaos?
The „New Market” and Computer-Assisted Orthopedic Surgery - Will CAOS end in Chaos?Publication History
Publication Date:
31 December 2001 (online)
Die Möglichkeiten der technologischen Entwicklung haben noch vor einem Jahr zu grenzenlosem Optimismus, zu himmelsstürmenden Aktienkursen am Neuen Markt geführt. Mittlerweile ist Ernüchterung eingetreten: der Neue Markt fällt und fällt. Manche scheinbar aussichtsreiche Firmen fielen der Spekulationsblase zum Opfer: „Die Schere zwischen den soliden, zukunftsträchtigen Unternehmen und den Firmen, die eine Allerweltsidee verkaufen, wird sich weiter öffnen” [6].
Eine sehr ähnliche Entwicklung gibt es nun auch in der orthopädischen Chirurgie: eine der beiden Firmen, die die neueste technologische Entwicklung, die Roboterchirurgie, vertreten, schließt die Tore.
Dabei war der Firmenprospekt sehr viel versprechend: „Holen Sie sich die Zukunft in den OP!” - „Die Zukunft im Visier, für universelle Anwendungen . . .” - wie am Neuen Markt. Benutzerfreundlichkeit wurde versprochen, fortlaufende Unterstützung zugesagt.
Die Argumente der Industrie haben viele überzeugt. Die Roboterchirurgie der Hüfte nahm in Deutschland eine rasche Entwicklung. Innerhalb kurzer Zeit wurden mehr als 60 der teuren Roboter von einer der beiden Firmen verkauft. Dabei haben nicht zuletzt auch Wettbewerbsaspekte von orthopädischen und unfallchirurgischen Klinik um das Feld der Endoprothetik eine große Rolle gespielt. Eine überwiegend positive Beurteilung der Roboterchirurgie stammt aus unfallchirurgischen Kliniken [1] [2] [8].
Auch die Krankenkassen sind bei der Entwicklung nicht ganz unbeteiligt. Natürlich wollen sie keine Kostensteigerung durch die technologische Entwicklung, aber sie wollen die technologische Entwicklung im Interesse ihres Kunden, des Patienten, auch nicht aufhalten. Dieser Spagat soll durch die Bildung spezialisierter Kliniken möglich werden [5]: „die Patienten würden ein für einen derartigen Eingriff gerne längere Anfahrtswege in Kauf nehmen, sofern ihnen die langfristig gelungene Operation in Aussicht gestellt werden kann.” Eine Aussage, die den Wettbewerb unter den Kliniken noch angeheizt und die Marktsättigung beschleunigt hat. Obwohl vor einer raschen Marktsättigung gewarnt wurde [10], sind manchenorts die Bohrköpfe der Roboter heiß gelaufen.
Nun stehen die Bohrköpfe still. Haben nun diejenigen Recht, die die Computer assistierte orthopädische Chirurgie schon immer für überflüssig wie einen Kropf gehalten haben? Oder ist es die einfache Marktbereinigung, die wie im Neuen Markt die Spreu vom Weizen, solide Unternehmen von Allerweltsfirmen, getrennt hat?
Wie am Neuen Markt machen sich Enttäuschung und Verunsicherung breit. Enttäuschung, weil ein hoffnungsvoller Vorsprung der deutschen Technologie plötzlich verloren gegangen scheint. Verunsicherung, weil die Zukunft der Computer assistierten orthopädischen Chirurgie so unkalkulierbar scheint wie der Neue Markt. Was geschieht mit den vorbereiteten Patienten, die glauben, dass es nicht Besseres gibt als diese Operationstechnik. Was geschieht mit der technologischen Unterstützung bei noch anstehenden Operationen? Was geschieht mit den Investitionen?
Schon ist die hilfreiche Konkurrenz auf dem Plan und bietet sich an, die technische Unterstützung zu übernehmen. Eine Privatinitiative von Ärzten und Krankenhausträgern möchte das Ganze ungeschehen machen und eine Auffanggesellschaft gründen. Zumindest möchte man seine Ansprüche aus dem plötzlichen Niedergang der Firma anmelden.
Aber ist nicht die Roboter Chirurgie die „Aktie mit dem höchsten Risikopotential” auf dem Feld der Computer assistierten orthopädischen Chirurgie? Für den neuen Markt aber gilt: vom Erfolg zu profitieren und gleichzeitig den Misserfolg abzusichern, das geht nicht!
Müssen wir nun die Gesetze des Neuen Marktes auch für die Medizinindustrie akzeptieren und mit derartigen Risiken auch für die Versorgung des Patienten leben? Ist die aktuelle Entwicklung der Abgesang der Computer assistierten Orthopädischen Chirurgie?
Nein, die Computer assistierte Orthopädische Chirurgie ist nicht am Ende. Die Roboterchirurgie bei der Hüftendoprothetik ist überbewertet, aber nur ein kleiner Teil der derzeitigen Entwicklung. Fakt ist, dass sich die Navigationshilfen sehr konsequent weiterentwickeln. Hierzu finden sich zwei Beiträge in diesem Heft der Z. Orthop. [7] [9]. Die zunehmend besseren Ergebnisse bei der Knieendoprothetik lassen manche vermuten, dass man eines Tages ein künstliches Kniegelenk nicht mehr ohne Navigationsinstrumentarium einsetzen kann. Ähnliche Entwicklungen deuten sich für die Kreuzbandchirurgie, die Versorgung von Beckenfrakturen und auch die Implantation der Hüftpfanne bei der Hüftendoprothetik an. Und auch die Roboterchirurgie wird sich weiter entwickeln. Systeme wie der Universal Robot und CRIGOS (Compact Robot for Image Guides Orthopaedic Surgery) [3] sollen mehrere Funktionen übernehmen, handlicher sein und den Weg zur minimal invasiven Chirurgie eröffnen.
Also, welche Schlussfolgerungen ziehen wir aus der aktuellen Entwicklung? - Vorrangig besteht die Forderung nach einem kontrollierten Einsatz neuer Technologien [4] [10]. Die wissenschaftlichen Gesellschaften von Orthopädie und Unfallchirurgie müssen sich dieser Problematik annehmen, sie müssen aber auch Gehör finden.
Die Einbeziehung der Industrie in die notwendigen Entscheidungsprozesse wird von manchen als kritisch betrachtet. Sarmiento (2000) [11] befürchtet, dass die reiche Industrie die Zukunft der orthopädischen Chirurgie dominiere. Ganz nach dem Motto: „Wes' Brot ich ess, des Lied ich sing.” Besonders problematisch erscheint ihm, dass die Industrie auch in den Bereich der Weiter- und Fortbildung eingedrungen ist und dort in großem Umfang darauf abzielt, die Marktansprüche der Industrie zu befriedigen. Aber: die Fort- und Weiterbildung kommt ohne das Sponsoring der Industrie nicht aus und auch die Forschung in den Universitätskliniken ist auf Drittmittel der Industrie angewiesen [12]. Das Ziel besteht also darin, die Entwicklung neuer Technologien in Zusammenarbeit von wissenschaftlichen Fachgesellschaften und Industrie zu kontrollieren und dort zu fördern, wo es im Interesse des Patienten und der ökonomischen Bilanz des Gesundheitssystemes ist, für die wir gleichermaßen verantwortlich sind [11].
Literatur
- 01 Arand M, Kinzl L, Gebhard F. Präzise Implantation von Endoprothesen. Klinikarzt. 2000; 29 90- 94
- 02 Börner M, Bauer A, Lahmer A. Rechnerunterstützter Robotereinsatz in der Hüftendoprothetik. Orthopäde. 1997; 26 251- 257
- 03 Brandt G, Rademacher K, Zimolong A, Rau G, Merloz P, Klos T VS, Robb J, Staudte H W. CRIGOS - Entwicklung eines Kompaktrobotersystems für die bildgeführte orthopädische Chirurgie. Der Orthopäde. 2000; 29 645-649
- 04 Breisch S L. Future is here - does it work? . AAOS Bulletin 1998: 35-36
- 05 Erber P. Medizinischer Fortschritt mit dem Ziel der Kostenreduktion - Computergestützte Operationstechniken aus Sicht der Krankenkasse. Implant. 2000; 1 14
-
06 Höfling M. Welt am Sonntag 8. 4. 2001
- 07 Jenny J-Y, Boeri C. Navigiert implantierte Knietotalendoprothesen - Eine Vergleichsstudie zum konventionellen Instrumentarium. Z Orthop. 2001; 139 117-119
- 08 Kinzl L. Computerassistierte Chirurgie. Unfallchirurg. 2000; 103 612-617
- 09 Mielke R K, Clemens U, Jens J-H. Navigation in der Knieendoprothetik - vorläufige klinische Erfahrungen und prospektiv vergleichende Studie gegenüber konventioneller Implantationstechnik. Z Orthop. 2001; 139 109-116
- 10 Niethard F U. Computer Assisted Orthopaedic Surgery (CAOS) in der Hüftendoprothetik. Z Orthop. 1999; 137 1-2
- 11 Sarmiento A. Thought on the impact of technology on orthopaedics. J Bone Jt Surg. 2000; 82-B 942-943
- 12 Ulsenheimer K. Industriesponsoring - ein Weg zwischen Scylla und Charybdis. Orthopädie Mitteilungen. 2001; 2 130- 135
Prof. Dr. med. F. U. Niethard
Orthopädische Klinik
RWTH Aachen
Pauwelsstraße 30
52074 Aachen