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DOI: 10.1055/s-2001-15104
Ulkusprophylaxe bei Dauertherapie mit Glukokortikoiden?
Ulcer prophylaxis in chronic treatment with steroids?Publication History
Publication Date:
31 December 2001 (online)
Seit etwa einem halben Jahrhundert werden Patienten mit Glukokortikoiden behandelt. Während es über viele Jahrzehnte unbestritten war, dass eine Dauertherapie mit Kortison oder synthetischen Derivaten das Risiko für peptische Ulzera und für Ulkuskomplikationen wie Blutung und Perforation deutlich erhöht, scheint dieses Paradigma durch neuere Daten widerlegt zu sein. Im Folgenden soll diese Kontroverse dargestellt und soweit möglich Schlussfolgerungen für die klinische Praxis gezogen werden.
In der Medline-Datenbank finden sich unter den Stichworten »Steroid AND Ulcer« über 500 Publikationen im Zeitraum von 1950 bis 2001; darunter drei Meta-Analysen, die letzte aus dem Jahre 1994. Seither wurden keine prospektiven randomisierten Studien mehr veröffentlicht. Auch in der Cochrane-Library liegen bislang keine Übersichten zum Ulkusrisiko unter Therapie mit Kortikosteroiden vor.
Widersprüchliche Meta-Analysen
Zahlreiche Studien aus den Fünfziger und Sechziger Jahren kommen zu dem Schluss, dass eine Therapie mit Glukokortikoiden häufig mit gastrointestinalen Komplikationen einhergeht [4] [6] [7] [9] [12] . Dagegen zeigte 1976 eine erste Meta-Analyse keinen statistisch gesicherten Zusammenhang zwischen Glukokortikoideinnahme und peptischem Ulkus. Es wurden 50 randomisierte klinische Studien mit insgesamt mehr als 6000 Patienten ausgewertet [2]. Zum gegensätzlichen Ergebnis kommt eine Meta-Analyse von 1983 [8]: Nach Auswertung von 71 Studien mit 3046 Patienten ergab sich ein deutlich erhöhtes Ulkus-Risiko unter Steroidtherapie gegenüber Plazebo (relatives Risiko 2,3; 95 % Konfidenzintervall 1,4 - 3,7). Die letzte Meta-Analyse schließlich aus dem Jahre 1994 [3] verneint wiederum einen Zusammenhang zwischen Glukokortikoidtherapie und peptischen Ulzera [Abb. 1].
Mehrere Faktoren unterstützen die Aussagekraft dieser letzten Untersuchung: erstens die große Anzahl eingeschlossener Studien (93 mit insgesamt 6602 Patienten), zweitens die Beschränkung auf randomisierte, doppelblinde, plazebokontrollierte Studien, und drittens das Studiendesign mit internen Kontrollen: die Daten wurden nicht nur hinsichtlich eines Zusammenhangs zwischen Glukokortikoiden und gastrointestinalen Nebenwirkungen, sondern auch bezüglich mehrerer anderer allgemein anerkannter Glukokortikoidnebenwirkungen wie Hautveränderungen, Diabetes mellitus, arterieller Hypertonus, Psychosen, Sepsis, Osteoporose und Tuberkulose ausgewertet. Ein statistisch gesicherter Zusammenhang zwischen Glukokortikoidtherapie und den ersten vier dieser Nebenwirkungen konnte gezeigt werden und wurde als Beleg für die Validität der Meta-Analyse gewertet. Überraschend war allerdings, dass für das klinisch vertraute Problem der Osteoporose ein Einfluss der Steroidtherapie statistisch nicht gesichert werden konnte. Eine Erklärung hierfür könnte darin liegen, dass in die Meta-Analyse auch Studien mit nur sehr kurzer Behandlungsdauer eingingen. Tatsächlich ist die Anzahl der eingeschlossenen Patienten mit einer länger als 4 Monate dauernden Steroidtherapie recht gering: 395 bzw. 373 für die Glukokortikoid- bzw. Plazebogruppe mit 4 bzw. 10 Patienten mit einem Ulkus (nicht signifikant).
Abb. 1 Relatives Risiko (95 %-Konfidenzintervall) für die Entstehung peptischer Ulzera unter Therapie mit Kortikosteroiden in drei Meta-Analysen.Wie erklären sich die Diskrepanzen zwischen den verschiedenen Meta-Analysen? Es kann davon ausgegangen werden, dass viele Patienten mit Steroiddauertherapie, vor allem die große Gruppe der Patienten mit rheumatischen Erkrankungen, gleichzeitig mit nicht-steroidalen Antirheumatika behandelt werden. Die einzige größere Publikation zum Einfluss von NSAR auf gastrointestinale Komplikationen bei Patienten unter Steroiddauertherapie ist eine Fall-Kontroll-Studie von 1991 [10]. Sie untersuchte Risikofaktoren, die mit einer stationären Aufnahme wegen peptischem Ulkus oder oberer gastrointestinaler Blutung in Zusammenhang stehen. Nach Auswertung von 1415 Patienten (7063 Kontrollpersonen) zeigte sich, dass eine Steroidtherapie nur bei gleichzeitiger Medikation mit NSAR das Risiko erhöht (relatives Risiko gegenüber Patienten ohne Einnahme von Glukokortikoiden oder NSAR 14,6; 95 % Konfidenzintervall 6,7 - 32,0), die Steroidtherapie alleine jedoch nicht (relatives Risiko 1,1; 95 % Konfidenzintervall 0,5 - 2,1). Weitere, das Ulkusrisiko in Kombination mit Steroiden erhöhende Einflussgrößen konnten nicht gefunden werden; allerdings wurden in dieser Studie nur Patienten mit einem Alter > 65 Jahre eingeschlossen, Angaben zur Ulkusanamnese wurden offenbar nicht erhoben. Es kann daher nicht ausgeschlossen werden, dass höheres Alter oder eine zurückliegende Ulkuserkrankung auch bei der Kombinationsbehandlung mit Glukokortikoiden Risikofaktoren für gastrointestinale Komplikationen darstellen, wie es für NSAR alleine gezeigt wurde [11].
Aufgrund dieser Daten lassen sich die Unterschiede zwischen den Meta-Analysen gut damit begründen, dass die untersuchten Patientenkollektive in unterschiedlichem Ausmaß gleichzeitig mit NSAR und Glukokortikoiden behandelt wurden. In den meisten Publikationen fehlen allerdings Angaben zur Begleitmedikation.
kurzgefasst: Nach der letzten und ausführlichsten Meta-Analyse erhöhen Glukokortikoide alleine nicht das Ulkusrisiko. In Kombination mit NSAR steigt das Risiko jedoch gegenüber unbehandelten Personen um den Faktor 14.
Literatur
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- 14 Wolfe M M, Lichtenstein D R, Singh G. Gastrointestinal toxicity of nonsteroidal antiinflammatory drugs. N Engl J Med. 1999; 340 1888-1899
Korrespondenz
Dr. Ulrich Töx
Klinik IV für Innere Medizin Klinikum
der Universität zu Köln
50924 Köln
Email: ulrich.toex@uni-koeln.de