Zusammenfassung
Die vorliegende Untersuchung („Torgau-Studie”) liefert
epidemiologische Informationen für eine Zielpopulation, die bislang noch
kaum ins Blickfeld der Gesundheitsförderung geraten ist, nämlich
für Kinder und Jugendliche aus den ländlichen Regionen
Ostdeutschlands. Durchgeführt wurde eine Totalerhebung, in die
alle 6. bis 10. Klassen aller
Mittelschulen und Gymnasien im Landkreis Torgau-Oschatz (Sachsen) einbezogen
waren. Teilgenommen haben insgesamt 5925 Schüler (Partizipationsrate:
81,3 %) im Alter von 12 bis 16 Jahren. Die Ergebnisse
liefern ein nach Geschlecht, Schultyp und Klassenstufe differenziertes Bild des
jugendlichen Rauchverhaltens und Alkoholkonsums. Was das Rauchen anbelangt, so
zeigte sich unter anderem, dass in der 10. Klasse der Anteil der
„ständigen Raucher” (bzw. täglichen Raucher) in der
Mittelschule bei 41 % und am Gymnasium bei 29 %
liegt. Immerhin 51,9 % der von uns befragten Schüler sehen
sich mit der Tatsache konfrontiert, dass zu Hause wenigstens ein Elternteil
raucht. Zwischen dem Raucherstatus der Eltern und dem ihrer Kinder besteht ein
hochsignifikanter Zusammenhang. Die Analyse der Rauchmotive verdeutlicht das
schrittweise Hineingleiten in die Nikotinabhängigkeit aus psychologischer
Perspektive. Die meisten Jugendlichen (ca. 80 %) wissen um die
Gefährdung der Passivraucher. Mit zunehmendem Alter verliert dieses Wissen
aber durch dissonanzreduzierende Maßnahmen
(„Ist-mir-egal”-Haltung) an subjektiver Bedeutung. Den
Selbstangaben zum Trinkverhalten ist zu entnehmen, dass es unter den
Mädchen auch in der 10. Klasse noch kaum tägliche
Alkoholkonsumentinnen gibt (weniger als 1 %); bei den Jungen
dagegen liegt die Quote der „täglichen Trinker” in der 10.
Klasse bei 8 %. Der Anteil derjenigen, die wöchentlich
wenigstens einmal Alkohol trinken, beträgt in der 10. Klasse
30,6 % (Mädchen: 18,7 %; Jungen:
44,2 %). Mit zunehmender Alkoholerfahrung rücken
spezifischere soziale und emotionale Trinkgründe in den Vordergrund.
- Insgesamt verweisen die Ergebnisse darauf,
dass Maßnahmen zur Prävention des Suchtmittelgebrauchs in den
ländlichen Regionen Ostdeutschlands wenigstens genauso nötig sind wie
anderswo. Es ist Zeit, dass die zumeist in den Städten erprobten
innovativen Ansätze der Suchtprävention auch in den ländlichen
Gegenden (nicht nur Ostdeutschlands) zum Einsatz gebracht und dort auf die
spezifischen Bedingungen abgestimmt werden.
Smoking Behaviour and Alcohol Consumption in Students in Rural
Eastern Germany: Results of a Total Survey
The present investigation (“Torgau Study”) provides
epidemiological information on a target population which in the past has hardly
been in the focus of health promotion activities: the subgroup of children and
adolescents of rural regions in Eastern Germany. A total survey was conducted
that encompassed all classes from grade 6 to 10 of
all schools in the district of Torgau (Saxony).
Together, 5,925 students in the age range 12 to 16 years participated in this
study (participation rate: 81.3 %). The results provide a
differentiated picture of their smoking behavior and alcohol use broken down by
gender, school-type and grade. With respect to smoking the data show that the
prevalence of regular smokers (i. e., daily smokers) in grade 10 is
41 % in the Mittelschule (the
school-type with a stronger vocational orientation) and 29 % in
the Gymnasium (the school-type with a
university-preparatory curriculum). 51.9 % of all students report
that at least one parent smokes. There is a highly significant association
between smoking status of the parents and smoking status of their children. The
analysis of reasons for smoking highlight the stepwise transition into nicotine
dependency from a psychological perspective. Most of the adolescents (about
80 %) know about the dangers of passive smoking. However, with
increasing age this knowledge loses its subjective relevance because
dissonance-reducing strategies are applied (“doesn’t
matter”-attitude). Among girls, even in grade 10, there are almost
no daily alcohol consumers (less than 1 %); among boys in grade
10 the rate of daily alcohol users is about 8 %. The rate of
those 10th graders who consume alcoholic beverages at least once a
week is however 30.6 % (girls: 18.7 %; boys:
44.2 %). The longer the alcohol experience the more specific
become the social and emotional motives for drinking. Altogether, the results
suggest that efforts to prevent substance misuse in the rural regions of
Eastern Germany are as necessary as in other regions. But the time has come
that innovative approaches of drug prevention that are implemented and
evaluated mostly in the bigger cities should also be started in the rural
regions (not only of Eastern Germany), and should be adapted to the specific
conditions there.
Key words
Smoking - Alcohol
Use - Prevalence - Adolescents - Motive
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1 z. B. des Berliner Arbeitskreis Neue Erziehung e.V. (Die
Serie umfasst 46 Elternbriefe, die den Müttern und Vätern nach der
Geburt ihres 1. Kindes zumeist vom örtlichen Jugendamt 8 Jahre lang in
festgelegten Abständen zugeschickt werden.)
2 Im sächsischen Schulsystem sind Hauptschüler und
Realschüler in den Mittelschulen integriert; eigenständige
Hauptschulen gibt es nicht.
8 Bei der Frage nach dem Grund für das Rauchen wurden keine
Mehrfachantworten zugelassen.
5 zu lesen als: 266 der insgesamt 870 Personen dieser Subgruppe
(vgl. Tab. [3b ])
7 Aus Gründen der Übersichtlichkeit wurden zwei Motive
grafisch nicht dargestellt. Für das Motiv „aus Langeweile”
gelten die Prozentwerte 22,5% - 9,1% - 8,3%
- 6,1% - 3,0% (von der 6.-10. Klasse); für
das Motiv „um die Wirklichkeit erträglicher zu machen” die
Prozentwerte 5,0% - 5,7% - 4,4% -
6,5% - 4,4%.
Prof. Dr. Reinhard Fuchs
HTWK Leipzig Fachbereich Sozialwesen
PF 30 00 66
04251 Leipzig
Email: fuchs@sozwes.htwk-leipzig.de