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DOI: 10.1055/s-2001-16311
Schwangerschaftsabbrüche bei Zwangsarbeiterinnen im Dritten Reich
Die Stellungnahme des zeitgenössischen Klinikdirektors H. EymerPublikationsverlauf
Publikationsdatum:
31. Dezember 2001 (online)
Die Frage »Geht die ständige Berufung auf die nächst höhere Instanz (Arzt - Bezirksärzteführer - Reichserlass) nicht an der Realität der eigenen Verantwortung vorbei?« wurde im Hinblick auf Schwangerschaftsabbrüche bei Zwangsarbeiterinnen im Dritten Reich gestellt, blieb aber unbeantwortet [1]. Eine Antwort - nach Lage der Dinge zwangsläufig nur eine individualspezifische Teilantwort - findet sich im Brief von H. Eymer, Direktor der Universitätsfrauenklinik München, an A. Mayer, Direktor der Universitätsfrauenklinik Tübingen, vom 6. März 1944.
»Wegen der Frage Ihrer Ostarbeiterinnen und besonders wegen der Frage der Schwangerschaftsunterbrechungen bei diesen Frauen habe ich mich gleich nach Erhalt Ihres Briefes an Stadler gewandt, der ja in diesen Sachen zuständig ist.
Die Schwangerschaftsunterbrechungsfrage der Ostarbeiterinnen ist ja nicht nur eine Platzfrage, sondern diese Unterbrechungen sind für uns im höchsten Maße widerlich, da ja hier keine Art von Indikation, wie wir sie gelten lassen, vorliegt, besonders für uns, die wir schon in früheren Zeiten der Frage der Schwangerschaftsunterbrechung im höchsten Maße skeptisch gegenüberstanden. Es ist nun ein Erlaß herausgekommen, der nicht verkündigt wurde, den mir aber Stadler persönlich vorlas, wonach die Kliniken nicht verpflichtet sind, solche Schwangerschaftsunterbrechungen durchzuführen; sie sollen vielmehr von dazu geeigneten Ärzten (vielleicht russischen Ärzten) in den Lagern irgendwo vorgenommen werden. Wir machen hier auch tatsächlich derartige Unterbrechungen nicht mehr. Stadler, den ich ja sehr gut kenne, hat mir geraten, Ihnen mitzuteilen, Sie möchten die Freundlichkeit haben, sich in dieser Angelegenheit direkt an ihn zu wenden. Bitte kommen Sie dabei aber nicht auf alles, was ich Ihnen geschrieben habe, zurück, sondern teilen Sie einfach mit, dass Sie eine so große Anzahl von Schwangerschaftsunterbrechungen bei Ostarbeiterinnen zu machen hätten, daß Ihnen dies untragbar erschiene und daß Ihnen diese Unterbrechungen auch den Platz wegnähmen für Gebärende, die Sie natürlich in allererster Linie für den Unterricht benötigen.
Adresse: Professor Dr. H. Stadler, Leiter der Reichsgutachterstelle für Schwangerschaftsunterbrechung und Unfruchtbarmachung, Reichsärztekammer, München 33, Karlstraße 21. Ich bin überzeugt, daß Stadler sich dann mit Ihrem Gauärzteführer auseinandersetzen und ihm mitteilen wird, daß die von ihm gemachten Vorschriften nicht in jeder Beziehung Geltung haben. Ich hoffe, daß Sie auf diese Weise für Ihre Klinik und Ihr Gewissen etwas Günstiges erreichen.
Mit den besten Grüßen, auch von meiner Frau, bin ich Ihr stets ergebenster gez. Eymer«
In der I. Frauenklinik der Universität München ließ ein »Ärztekollegium 2000« kürzlich einen Gedenkstein »Gegen das Vergessen« errichten. Auch der oben aufgeführte Brief, den Eymer in einer Zeit schrieb, in der schon die Grußformel am Briefende ein Politikum war [2] , sollte nicht vergessen werden, wenn von Ärzten die Rede ist, die nicht als Helden und Märtyrer in die Geschichte eingingen.
Literatur
- 1 Link G. Schwangerschaftsabbrüche bei Zwangsarbeiterinnen im Dritten Reich. Dtsch med Wschr. 2001; 126 218-219
- 2 Kuss E. Ein Klinikdirektor in politischer Bedrängnis. Der Direktor der I. Frauenklinik der Universität München, Professor Dr. Heinrich Eymer, »subject of investigation« der Militärregierung und »Betroffener« im Spruchkammerverfahren, jetzt im Zwielicht der »Vergangenheitsbewältigung«. Shaker Verlag, Aachen, 1999; Würzburger medizinhistorische Mitteilungen Shaker Verlag, Aachen 1999 2001 19: 283-388; (jeweils Tab. 3a, Legende)