Psychiatr Prax 2001; 28(6): 255-256
DOI: 10.1055/s-2001-16883
EDITORIAL
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Institutsambulanzen - It was a Long Way to Tipperary

Institutional Outpatient Wards - It was a Long Way to Tipperary
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Publication Date:
31 August 2001 (online)

Der 1. April 2001 wird als denkwürdiges Datum in die deutsche Psychiatriegeschichte eingehen. Nach jahrzehntelangen Auseinandersetzungen zwischen den Kassenärztlichen Vereinigungen, den Krankenkassen, den niedergelassenen Nervenärzten, den Verbänden, den Trägern psychiatrischer Krankenhäuser und psychiatrischer Abteilungen, den psychiatrischen Fachgesellschaften, diversen Standesorganisationen, den Politikern unterschiedlicher Couleur auf Landes- und Bundesebene, um nur die wichtigsten Mitstreiter zu nennen, trat am 1. April dieses Jahres eine Vereinbarung in Kraft, auf die viele schon lange gewartet haben. Ab diesem Zeitpunkt nämlich ist es Psychiatrischen Abteilungen an Allgemeinkrankenhäusern bundesweit erlaubt, Institutsambulanzen einzurichten, sofern die Kliniken selbst eine regionale Pflichtversorgung betreiben. Keine Bedarfsprüfung mehr durch die regionalen Kassenärztlichen Vereinigungen, keine Bittstellerei mehr beim regionalen „Zulassungsausschuss”, keine Sozialgerichte mehr, die ihre Urteile zwar nach geltendem Recht aber blind für die Bedürfnisse der Klientel fällten, nicht mehr die Notwendigkeit auf paralegale Nebengleise auszuweichen, wenn es galt, ärztlich zu handeln, ohne dazu berechtigt zu sein. Die Vernunft hat nach gut 20 Jahren gesiegt, auch wenn ihr durch den Gesetzgeber auf die Sprünge geholfen werden musste.

Als von der Psychiatrie-Enquete-Kommission 1975 eine grundsätzliche Neuordnung des Versorgungssystems gefordert wurde, gehörte hierzu auch der Ausbau ambulanter Dienste. Gerade diese Forderung jedoch stieß auf den erheblichen Widerstand der ärztlichen Standesorganisationen, die hierdurch eine Infragestellung des so genannten „Sicherstellungsauftrags” der niedergelassenen Ärzteschaft und insgeheim den Beginn einer schleichenden „Sozialisierung” des Gesundheitswesens perhorreszierten, mit der Psychiatrie als voranreitendem trojanischen Pferd. Gleichwohl war der politische Druck zur zweiten Hälfte der 70er Jahre noch groß genug und die verheerenden Zustände in der Psychiatrie noch allen Beteiligten so gegenwärtig, dass 1976 eine Bundestagsmehrheit für die Novellierung des damaligen § 386 n der Reichsversicherungsordnung zustande kam. Von da an konnten psychiatrische Krankenhäuser ohne vorhergehende „Bedarfsprüfung” durch die bei den Kassenärztlichen Vereinigungen angesiedelten so genannten Zulassungsausschüsse Institutsambulanzen einrichten, psychiatrische Abteilungen an Allgemeinkrankenhäusern jedoch nicht bzw. nur dann, wenn eine regionale Mangelversorgung nachweisbar war. Kriterien hierfür gab es allerdings keine.

Mit dieser Regelung war nicht nur der Willkür Tür und Tor geöffnet, es kam in der Folgezeit auch zu einem regionalen Wildwuchs von Institutsambulanzen an Abteilungen, je nachdem wer mit wem vor Ort „gut konnte” oder eben auch nicht. Nach der Wiedervereinigung wurde das Chaos noch vergrößert, da es jetzt galt, auch auf die besonderen Verhältnisse in den neuen Ländern Rücksicht zu nehmen oder aber ihnen das „westliche System” einfach überzustülpen.

In diesen Dschungel brachte eine im Auftrag des Bundesgesundheitsministeriums 1996 von H. Haselbeck erstellte Umfrage mehr Licht. Sie sollte folgende Fragen klären:

Wie viel der damals über 100 psychiatrischen Abteilungen an Allgemeinkrankenhäusern verfügen über Institutsambulanzen? Wie viele Abteilungen versuchen die Aufgabe einer Institutsambulanz im Rahmen von persönlichen Ermächtigungsverträgen der jeweiligen Chefärzte wahr zu nehmen? Wie viele psychiatrischen Abteilungen an Allgemeinkrankenhäusern haben kein Interesse an der Einrichtung von Institutsambulanzen? Wie oft konnte die Einrichtung einer Institutsambulanz an einer Abteilung trotz entsprechender Anträge nicht verwirklicht werden?

Die Umfrage ergab, dass lediglich 37 % der psychiatrischen Abteilungen über eine Institutsambulanz verfügen, 63 % dagegen nicht, obwohl alle befragten Abteilungen bis auf zwei eine regionale Pflichtversorgung wahrnahmen und insofern das gleiche Aufgabenspektrum hatten wie die psychiatrischen Krankenhäuser. Auf Dauer gesehen ließ sich diese Rechtsunsicherheit und Rechtungleichheit nicht aufrechterhalten, das zuständige Bundesgesundheitsministerium und letztlich auch das Parlament konnten davor die Augen nicht länger verschließen. Folgerichtig kam es zur Verabschiedung eines im Vorfeld heftig umstrittenen Gesetzes in Form des § 118 SGB V, in dem es heißt: „Allgemeinkrankenhäuser mit selbständigen, fachärztlich geleiteten psychiatrischen Abteilungen mit regionaler Versorgungsverpflichtung sind zur psychiatrischen und psychotherapeutischen Behandlung … ermächtigt. Die Spitzenverbände der Krankenkassen gemeinsam und einheitlich mit der Deutschen Krankenhausgesellschaft und der Kassenärztlichen Bundesvereinigung legen in einem Vertrag die Gruppe psychisch Kranker fest, die wegen ihrer Art, Schwere oder Dauer ihrer Erkrankung der ambulanten Behandlung (durch Institutsambulanzen) bedürfen.”

Das Gesetz selbst trat am 1. 1. 2000 in Kraft, die hierin angekündigte Vereinbarung der drei Vertragspartner - Krankenkassen, Deutsche Krankenhausgesellschaft und Kassenärztliche Bundesvereinigung - gilt ab 1. 4. 2001. Hierin ist festgelegt, dass dann, wenn psychiatrische Abteilungen an Allgemeinkrankenhäusern, Kinder- und Jugendpsychiatrische Abteilungen und psychiatrische Universitätskliniken eine regionale Versorgungsverpflichtung übernommen haben, sie eine Institutsambulanz ab 1. 4. 2001 ohne Bedarfsprüfung einrichten dürfen, also auch insofern den psychiatrischen Fachkrankenhäusern gleichgestellt sind. In § 3 der Vereinbarung werden die Patientengruppen definiert, in den weiteren Paragraphen Zugangswege und die Leistungsinhalte. Klar ist dabei, dass die Inanspruchnahme der Institutsambulanzen nicht an die Überweisung durch einen niedergelassenen Arzt gebunden ist und klar ist auch, dass es keine Fallzahlbegrenzung pro Quartal gibt. Jetzt geht es darum, auf regionaler Ebene mit den Krankenkassen Fallpauschalen auszuhandeln, wobei Orientierungspunkte die gegenwärtig bereits existierenden Vereinbarungen sein können: Sie reichen von DM 250,- bis über DM 600,- pro Quartal pro Fall. Relativ geringe Beträge im Vergleich zu den Fallkosten für ein bis zwei Tage stationärer Behandlung.

Die Möglichkeit der Einrichtung von Institutsambulanzen an Krankenhäusern mit regionaler Pflichtversorgung ist ein großer Schritt zur Verbesserung der ambulanten Versorgung gerade der chronisch psychisch Kranken. Die dadurch begünstigten Krankenhäuser können zufrieden sein, wenn es ihnen gelingt, die neuen Strukturen auch mit Leben zu erfüllen. Die niedergelassenen Kollegen aber, die nach wie vor die Hauptlast der ambulanten Versorgung tragen, müssen nicht befürchten, dass ihnen dadurch das „Wasser abgegraben” wird. Zum einen deswegen nicht, weil die Leistungen der Institutsambulanzen unmittelbar von den Krankenkassen vergütet werden und somit das Budget der Vertragsärzte nicht belastet. Zum anderen aber zeigt die Erfahrung in jenen Regionen, in denen seit vielen Jahren Institutsambulanzen an Allgemeinkrankenhäusern bestehen, dass sich im Laufe der Zeit ein partnerschaftliches Verhältnis entwickelt hat, das getragen ist vom Respekt vor der Leistung des jeweils anderen. Aus dem jetzt mit Hilfe des neu gefassten § 118 SGB V beigelegten Dissens der „verfeindeten Brüder” könnte sehr wohl eine gemeinsame Sache werden, wenn es darum geht, ein möglichst gutes und allen Patienten gerecht werdendes integriertes regionales Versorgungsangebot zu entwickeln. Darin sind Kliniken wie auch niedergelassene Nervenärzte wichtige „Bausteine”, aber beide sind nicht mehr die alleinigen Protagonisten auf der Bühne. Das ist gut so und daran werden sich alle gewöhnen müssen. Auch wenn es manchmal nicht leicht fällt.

Manfred Bauer, Offenbach