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DOI: 10.1055/s-2001-16986
Deutsch als Wissenschaftssprache im 20. Jahrhundert
Was spricht dafür, das Deutsche als Sprache der Naturwissenschaften zu erhalten?[*] German as a language of science in the 20th centuryPublikationsverlauf
Publikationsdatum:
10. September 2001 (online)
Forschung wird von Inhalten bestimmt. Aber wie die Inhalte vermittelt werden, hängt nicht zum geringsten Teil von ihrem Transportmedium, der Sprache ab. Der Fortschritt der Themen und Thesen ist evident, die Entwicklung des Wissenschaftsidioms wird hingegen viel weniger intensiv thematisiert. Und doch hat sich hier ein grundlegender Wandel vollzogen. Das Deutsche, Weltsprache der Wissenschaften von der Mitte des 19. bis in das erste Drittel des 20. Jahrhunderts, hat diese Funktion weitgehend verloren und wird nur noch von wenigen Disziplinen zur Veröffentlichung von Forschungsergebnissen genutzt. An seine Stelle ist das Englische getreten und in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts zur absolut führenden Publikations- und Kongresssprache der Wissenschaften aufgestiegen [1]. Die Entwicklung zur akademisch sublimierten modernen Koiné ist dem Englischen ohne eigene wissenschaftspolitische Hegemonialbestrebungen seiner Repräsentanten gelungen. Die Science Community hat sich die Sprachmonokultur selbst verordnet.
Die Vorteile der Anglophonie für die internationale Kommunikation unter Wissenschaftlern sind offensichtlich. Das einheitliche Idiom fördert den Austausch von Ideen und Resultaten, vereinfacht die Diskussion, hilft persönliche und institutionelle Kontakte zu knüpfen und bahnt Karrieren. Wissenschaftlicher Erfolg auf internationalen Podien ist ohne passive und aktive Beherrschung der englischen Wissenschaftssprache undenkbar geworden. Auch im nicht-wissenschaftlichen Umfeld ist das Englische ein Teil der modernen Lebenswelt. Nicht zuletzt deshalb wird es als Medium für den grenzüberschreitenden Meinungsaustausch mit großer Selbstverständlichkeit, ja einer gewissen Sorglosigkeit akzeptiert. Gerade die Naturwissenschaftler problematisieren den Primat des Englischen kaum, sie halten das Sprachthema für nachgerade unergiebig. Für sie hat die Sprache weniger Eigengewicht als für Kulturwissenschaftler. Naturwissenschaftler neigen dazu, in der Sprache ein bloßes Instrument der Vermittlung zu sehen und die Botschaft über den Wortlaut zu stellen; daher wählen sie für Vorträge auch die freie Rede, während sich Geisteswissenschaftler gewöhnlich an ein Manuskript halten. Für den Philologen ist das Thema „Deutsch als Wissenschaftssprache im 20. Jahrhundert” indes unverändert eine Herausforderung, und zwar eine doppelte, geht es doch darum, sowohl die historische Entwicklung zu rekonstruieren als auch zur öffentlichen Reflexion und Aktion im Rahmen einer realistischen Sprachpolitik aufzufordern. Der Sprachforscher akzeptiert den Übergang vom Deutschen zum Englischen nicht ohne weiteres als den Wechsel zu einer bequemen Universalsprache, sondern fragt nach den inneren und äußeren Ursachen für den Rückzug des Deutschen aus der Wissenschaftsvermittlung. Ihn bewegt die Sorge um den Schaden, den die Sprache als Ganzes und das in der Muttersprache verfasste Wissen nehmen können, wenn die nationale Wissenschaftssprache dramatisch an Bedeutung verliert. Er hält es für legitim und geboten, die beteiligten Disziplinen und die Sprachkritik für die absehbaren mittel- und langfristigen Folgen der Entwicklung zu sensibilisieren und auf ihre sprachpolitische Verantwortung hinzuweisen [2]. Die Philologen gehen schließlich sogar das Wagnis ein zu fragen, ob es sinnvoll sei, in den Naturwissenschaften neben der Universalsprache Englisch die jeweilige Nationalsprache zu pflegen - wohl wissend, dass auch eine noch so engagierte Sprachpflege von den Naturwissenschaftlern nur dann akzeptiert werden wird, wenn damit ein Vorteil für die Forschung verbunden ist.
1 Der Text fußt auf den Ergebnissen des internationalen Symposions zum Thema „Deutsch als Wissenschaftssprache im 20. Jahrhundert”, das die Akademie der Wissenschaften und der Literatur, Mainz, am 18./19. Januar 2000 in ihren Räumen durchgeführt hat.
Literatur
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Warum lohnt die Erhaltung des Deutschen als Wissenschaftssprache? . In: Debus F, Kollmann FG, Pörksen U (Hrsg) Deutsch als Wissenschaftssprache im 20. Jahrhundert. Mainz/Stuttgart; Steiner 2000: 45-58 -
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Deutsch als Wissenschaftssprache im östlichen Mitteleuropa. In: Debus F, Kollmann FG, Pörksen U (Hrsg) Deutsch als Wissenschaftssprache im 20. Jahrundert. Mainz/Stuttgart; Steiner 2000: 193-207 -
19 Ehlich K.
18 Thesen zum Deutschen als Wissenschaftssprache für das 21. Jahrhundert. In: Debus F, Kollmann FG, Pörksen U (Hrsg) Deutsch als Wissenschaftssprache im 20. Jahrhundert. Mainz/Stuttgart; Steiner 2000: 273-275 - 20 Pörksen U. Was spricht dafür, das Deutsche als Naturwissenschaftssprache zu erhalten?. Heidelberg; Nova Acta Leopoldina Neue Folge Bd. 87, Nr. 326 2001
1 Der Text fußt auf den Ergebnissen des internationalen Symposions zum Thema „Deutsch als Wissenschaftssprache im 20. Jahrhundert”, das die Akademie der Wissenschaften und der Literatur, Mainz, am 18./19. Januar 2000 in ihren Räumen durchgeführt hat.
Prof. Dr. Uwe Pörksen
Seminar I
Albert-Ludwigs-Universität Freiburg
Deutsches Seminar
Deutsche Sprache und Ältere Literatur
79085 Freiburg
Prof. Dr. Karl-Jürgen Wolf
Prof. Dr. Werner Golder
Freie Universität Berlin
Klinikum Benjamin Franklin
Klinik für Radiologie und Nuklearmedizin
Hindenburgdamm 30
12200 Berlin