Dtsch Med Wochenschr 2001; 126(37): 997
DOI: 10.1055/s-2001-17108
Editorial
© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Immunologie - wachsender klinischer Wert

Immunology, of growing clinical value
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Publication Date:
13 September 2001 (online)

Prof. Dr. D. Kabelitz, Herausgeber

Aus Anlass der Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Immunologie vom 26.-29. September 2001 in Dresden gibt die DMW erstmals ein Schwerpunktheft zum Themengebiet Immunologie heraus. Die Immunologie hat in der zweiten Hälfte des vergangenen Jahrhunderts einen beispiellosen Aufschwung genommen, der nicht zuletzt durch enorme Fortschritte in der Molekular- und Zellbiologie ermöglicht wurde. Bahnbrechende Erkenntnisse insbesondere der letzten 25 Jahre lassen uns heute z. B. sehr genau verstehen, wie die grenzenlose Vielfalt des Antikörper-Repertoires zustande kommt, wie T-Lymphozyten (Fremd)Antigen erkennen, oder welche Rolle lösliche Botenstoffe (Zytokine, Interleukine) in der Regulation der Immunantwort spielen. 1983 wurde das erste Gen für ein Interleukin (Interleukin 2, IL-2) kloniert. Heute kennen wir mehr als 20 Interleukine und eine Vielzahl weiterer (klonierter) löslicher Mediatoren. Die entsprechenden Rezeptoren sind charakterisiert worden, und die molekularen Mechanismen der Signaltransduktion und der intrazellulären Signalverarbeitung werden zunehmend besser verstanden. Es ist auch kaum länger als 25 Jahre her, dass George Köhler und César Milstein die Technik der Herstellung monoklonaler Antikörper entwickelt haben. Monoklonale Antikörper sind seitdem zu unverzichtbaren Werkzeugen der Immunologie geworden, nicht nur für die Forschung, sondern auch für die Diagnostik und zunehmend für die klinische Anwendung.

Die Fortschritte in der Immunologie bringen nicht nur theoretischen Erkenntisgewinn, sondern sie werden klinisch nutzbar. Der erste monoklonale Antikörper zur therapeutischen Anwendung am Menschen (Orthoclone OKT3®, anti-T-Zell Antikörper zur Behandlung von Transplantatabstoßungen) ist bereits 1986 zugelassen worden. Die Zulassung des nächsten therapeutischen monoklonalen Antikörpers ließ zwar bis 1994 auf sich warten, jedoch gibt es heute bereits 12 entsprechende Präparate für so unterschiedliche Indikationsgebiete wie Autoimmunerkrankungen, Organtransplantation oder Tumorerkrankungen. Solche Antikörper oder chimäre Rezeptorproteine können lösliche Botenstoffe (z. B. Tumor-Nekrose-Faktor α, TNF-α) neutralisieren oder durch Bindung an Zelloberflächenmoleküle deren Interaktion mit natürlichen Liganden blockieren (z. B. IL-2-Rezeptor, CD25).

Neben den neuen Strategien zur Immunsuppression oder Immunmodulation mit (monoklonalen) Antikörpern gibt es auch vielversprechende neue Ansätze von »aktiver« Immuntherapie für klinische Situationen, wo das Immunsystem offensichtlich nur ungenügend reagiert. Dies trifft z. B. für die Auseinandersetzung des Immunsystems mit Tumoren zu. Mit der Entdeckung von tumorassoziierten Antigenen, die von spezifischen zytotoxischen T-Lymphozyten erkannt werden, hat Thierry Boon vor 10 Jahren klar gezeigt, dass Tumorzellen prinzipiell durch antigenspezifische T-Lymphozyten eliminiert werden können. Die häufig geringe (und klinisch unwirksame) Aktivierung von T-Lymphozyten durch Tumore beruht u. a. darauf, dass Tumorzellen in der Regel selbst schlechte antigenpräsentierende Zellen sind, weil ihnen kostimulatorische Moleküle fehlen und/oder die erforderliche Expression von so genannten MHC(»major histocompatibility complex«)-Antigenen zu gering ist. Die Erkenntnis, dass die sog. dendritischen Zellen die weitaus potentesten antigenpräsentierenden Zellen des Immunsystems sind, eröffnete neue Perspektiven für die aktive Immunisierung gegen Tumore. Unterschiedliche Protokolle hierzu befinden sich in der klinischen Erprobung, wie z. B. die »Beladung« von dendritischen Zellen mit Tumorantigenen oder die Verschmelzung (Fusionierung) von Tumorzellen und dendritischen Zellen.

Während bei Tumorerkrankungen das strategische Ziel der Immunologie in der Aktivierung einer tumorspezifischen zellulären Immunantwort liegt, so ist umgekehrt die Induktion einer (spenderspezifischen) Nicht-Reaktivität (»Toleranz«) das Ziel bei Organtransplantationen. Das Phänomen der immunologischen Toleranz ist vielschichtig und in vielen Einzelheiten noch nicht verstanden. Klar ist jedoch, dass die heute klinisch eingesetzten Medikamente zur Prophylaxe und/oder Therapie von Abstoßungsreaktionen wie z. B. Ciclosporin zwar sehr wirksam immunsupprimieren, aber keine Toleranz erzeugen. Vieles spricht eher dafür, dass immunologische Toleranz ein aktiver Prozess ist, dem eine kontinuierliche Immunsuppression im Wege steht. Die Induktion einer spenderspezifischen Toleranz nach Organtransplantation ist für die nächsten Jahre zwar noch keine realistische Vision, aber auch keine völlig abwegige Zielvorstellung der Immunologen.

Wir leben in einer aufregenden Zeit. Mit der fast vollständigen Entschlüsselung des humanen Genoms ist die Grundlage geschaffen, alle relevanten Gene des Immunsystems zu charakterisieren. In den nächsten Jahren wird die Transkriptom- und Proteom-Analyse eine Vielzahl neuer molekularer Erkenntnisse zum Immunsystem bringen. Besonders spannend und zugleich befriedigend ist es aber, dass die Erkenntnisse der Immunologie sichtbar zu neuen therapeutischen Optionen bei einer Vielzahl von unterschiedlichsten Erkrankungen führen. Die Beiträge in diesem Schwerpunktheft geben hierzu einen hervorragenden Überblick.

Prof. Dr. Dieter Kabelitz

Institut für Immunologie, Universitätsklinikum Kiel

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