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DOI: 10.1055/s-2001-18329
Prävention in der ärztlichen Versorgung- Potenziale, Wirksamkeit und Umsetzung
Die Kunst zu heilen kann viele Leiden lindern, doch schöner ist die Kunst, die es versteht, die Krankheit am Entstehen schon zu hindern. Max von Pettenkofer (1818-1901)Publication History
Publication Date:
08 November 2001 (online)
Trotz der bisherigen und noch zu erwartenden therapeutischen Fortschritte steht bei den heute dominierenden chronischen Erkrankungen meistens fest, dass eine Wiederherstellung der Gesundheit nicht zu erwarten ist. Krankheitsorientierte Prävention und »salutogen« orientierte Gesundheitsförderung (s. [Abschnitt »Definitionen«]) werden deshalb als ein wichtiger Ansatz zur Verbesserung der Gesundheit gesehen. Mittel- und langfristiges Ziel ist es, nicht nur die Lebenserwartung zu erhöhen (hier nimmt Deutschland unter den Industrienationen nur eine Mittelstellung ein), sondern vor allem die Qualität der Lebensjahre zu verbessern und altersabhängige Krankheitslasten zu verhindern bzw. hinauszuschieben. Damit könnte gleichzeitig der demographisch bedingte Zusatzversorgungsbedarf bei Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Erkrankungen des Bewegungsapparates, Krebserkrankungen, obstruktiven Lungenerkrankungen sowie Demenz vermindert werden. Die WHO wies bereits in ihrem Weltgesundheitsbericht 1998 darauf hin, dass die Last des demographischen Umbaus nur bewältigt werden kann, wenn mehr in mittel- und langfristige Prävention investiert wird. In Deutschland ließen sich rund 24-30% der derzeitigen Gesundheitsausgaben langfristig durch Prävention vermeiden.
Die Notwendigkeit und Bedeutung der Prävention und Gesundheitsförderung kommt in zwei aktuellen Sachverständigenberichten der Bundesregierung zum Ausdruck. Das am 20. März diesen Jahres vom Sachverständigenrat für die Konzertierte Aktion im Gesundheitswesen vorgestellte neue Gutachten »Bedarfsgerechtigkeit und Wirtschaftlichkeit« befasst sich im ersten von drei Bänden intensiv mit der Krankheitslast sowie den Potenzialen und der Wirksamkeit von Prävention. Auch der zu Beginn 2001 erschienene 3. nationale Altenbericht der Bundesregierung »Altern und Gesellschaft« setzt sich intensiv mit den Möglichkeiten der Prävention und Gesundheitsförderung auseinander.
Politische Zeichen
Auf politischer Ebene wurden mit der Wiedereinführung der primären Prävention im Rahmen des Gesundheitsreformgesetzes 2000 (§ 20 SGB V) deutliche Zeichen für eine Gesundheitsorientierung gesetzt. Ziel der kassenfinanzierten und ausdrücklich an Bedarf, Zielgruppen, Methoden und Zugangswegen ausgerichteten Prävention soll es sein, den allgemeinen Gesundheitszustand zu verbessern und sozial bedingte Ungleichheit von Gesundheitschancen zu vermindern. Mit dem Gesundheitsreformgesetz wurde gleichzeitig die Eigenverantwortung und Kompetenz der Versicherten gestärkt - durch den § 65 b SGB V zur »Förderung von Einrichtungen zur Verbraucher- und Patientenberatung« und die Einführung von Patientenschulungen für chronisch Kranke und ihrer Angehörigen als ergänzende Leistungen der Rehabilitation (§ 43 SGB V).
Den Ärzten kommt als den wichtigsten Ansprechpartnern für die Gesundheit der Patienten eine bedeutende Rolle in der Prävention und Gesundheitsförderung zu. Mit ihrer Hilfe können Risikopersonen identifiziert, über für sie geeignete Präventionsmaßnahmen informiert und zu einer Teilnahme motiviert werden. Diese Beratungstätigkeit erfordert angemessene Kenntnisse über die Potenziale und Wirksamkeit von Präventionsmaßnahmen für definierte Krankheiten und präventive Einrichtungen.
Für die klinische Prävention liegen in Kanada und den USA zielgruppenorientierte Empfehlungen zur Durchführung präventiver Maßnahmen vor, die sich an evidenzbasierte Standards anlehnen. Von der EU wurde im Jahr 2000 ein Bericht der International Union for Health Promotion and Education zur Evidenz der Wirksamkeit von Gesundheitsförderung herausgegeben. Entsprechende Empfehlungen für Deutschland gibt es bislang nicht. Hier will die DMW eine Lücke schließen.
Mit der nun beginnenden »Serie ... Prävention« sollen die Möglichkeiten der Prävention für weit verbreitete Gesundheitsstörungen und chronische Krankheiten im ärztlichen Alltag aufgezeigt und Hilfestellungen für die Umsetzung in die Praxis gegeben werden. In regelmäßiger Folge werden Risiken, Gesundheitsstörungen und Krankheiten aufgegriffen, die dem Hausarzt und Kliniker täglich begegnen können: Adipositas, Rauchen, Bluthochdruck, Rükkenerkrankungen, Allergien, Osteoporose, Diabetes etc. Zudem werden die Rolle und Verbesserung der hausärztlichen Versorgung, die Beratung in der Praxis und die Rolle der Krankenkassen in der Prävention thematisiert. Dabei stehen folgende Fragen im Mittelpunkt:
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Wie lassen sich in der Zukunft die krankheitsbedingte Minderung von Lebensqualität und verlorene Lebensjahre am wirksamsten verringern?
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Wie können (sozial schwache) Risikopersonen erreicht werden?
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Welche äußeren und verhaltensabhängigen Risiken und Belastungen des Patienten können reduziert werden?
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Welche persönlichen Ressourcen des Patienten können gestärkt werden?
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Welche Einrichtungen bieten Informationen und Maßnahmen zur Prävention an?
Der Auswahl und Darstellung der einzelnen Krankheiten bzw. Gesundheitsstörungen liegen die vom Sachverständigenrat aufgestellten Priorisierungskriterien zugrunde, nach denen eine Maßnahme für die gesamte Bevölkerung oder einer Risikogruppe empfohlen werden kann (Sachverständigenrat 1994, 1995):
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Die zu vermeidende Gesundheitsstörung soll in einer auf die Bevölkerungsgruppe(n) und die Fragestellung bezogen angemessenen Häufigkeit vorliegen.
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Sie soll medizinisch relevant sein.
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Sie soll auch volkswirtschaftlich bedeutend sein.
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Die Präventionsmaßnahme der zu vermeidenden Krankheit soll wirksam sein und ihr ohne unvertretbare bzw. unerwünschte Risiken vorbeugen.
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Die Intervention sollte den individuellen und kulturellen Werten entsprechen.
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Die Aufwendungen für die vorgesehene Maßnahme sollen angemessen sein (akzeptable Nutzen-Kosten-Relation).
Der Sachverständigenrat hat auf die Latenz zwischen Anfall der Präventionskosten und Einsparung bei Krankheitskosten hingewiesen, die eine Vorfinanzierung erforderlich machen kann. Die rein ökonomische Betrachtung sollte heute Bestandteil eines jeden Vorschlages für eine Präventionsmaßnahme sein. Hierbei müssen nicht nur die Kosten, z. B. der gesetzlichen Krankenversicherung, sondern auch Eigenleistungen und evtl. Arbeitsunfähigkeit berechnet werden, ebenso wie die Erträge, die sich aus eingesparten Behandlungskosten und Produktivitätszuwachs berechnen. Ein Beispiel für die Anwendung der Priorisierungskriterien zeigt der [Abschnitt »Jodprophylaxe«].
Wir erhoffen uns von dieser Artikelserie Hinweise auf eine Optimierung der Umsetzung im Sinne von Qualitätsmanagement, Vorschläge für die Finanzierung, Klärung der Zuständigkeit und Koordination von Aktivitäten. Die Festlegung von Zielen für Gesundheitsförderung und Prävention wird erst durch eine aktive Beteiligung der Bevölkerung bzw. von Zielgruppen erfolgversprechend. Aufklärung der Nutzer und die Mitwirkung aller Beteiligten im Gesundheitswesen sind unverzichtbar.
In der nächsten Folge lesen Sie: Adipositas
Prof. Dr. Dr. h. c. Peter C. Scriba, München
Prof. Dr. Friedrich W. Schwartz, Hannover
Dr. Ulla Walter, Hannover
Fachliche Betreuung der »Serie ... Prävention«:
Prof. Dr. Dr. h. c. Peter C. Scriba
Medizinische Klinik / Klinikum Innenstadt
der Universität München
Ziemssenstr. 1
80336 München
Prof. Dr. Friedrich W. Schwartz
Medizinische Hochschule Hannover
Abteilung für Epidemiologie, Sozialmedizin und Gesundheitsforschung
Carl-Neuberg-Str. 1
30623 Hannover