Dtsch Med Wochenschr 2001; 126(46): 1306
DOI: 10.1055/s-2001-18477
Pro & Contra
© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Warum die aktive Sterbehilfe nicht legalisiert werden darf

Why euthanasia must not be legalised
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Publication Date:
15 November 2001 (online)

Dürfen oder sollen wir Ärzte unsere Patienten töten, wenn sie es von uns verlangen? Ich meine nein, wobei ich finde, dass die Frage eigentlich falsch gestellt ist. Sollte man nicht lieber fragen, wie wir Ärzte den Leidenden und Sterbenden beistehen müssen, denn das ist die primäre Aufgabe unseres Berufsstandes [1]. Fast alle Menschen haben zurecht Angst vor dem Leiden, vor Schmerzen und vor dem in der Not Alleingelassenwerden [4] . Der Arzt, der das nicht sieht, hat seinen Beruf verfehlt. So bedeutet auch in den meisten Fällen der Ruf nach einer gesetzlichen Regelung für die Aktive Sterbehilfe wohl weniger der Wunsch nach einem selbstbestimmten Todeszeitpunkt, sondern er ist eher Ausdruck der Furcht, andernfalls schrecklich leiden zu müssen oder einer sinnlosen intensivmedizinischen Maschine ausgeliefert zu werden, gegen die es keine Gegenwehr gibt.

Wir Ärzte müssen uns daher fragen, ob wir diesen - ich sage es noch einmal - berechtigten Ängsten die richtigen Konzepte entgegenzusetzen haben. Schon die Kinder, die wissen, dass sie sterben müssen, haben die gleichen Ängste wie die Erwachsenen. »Werde ich beim Sterben alleine sein?« f ragen sie, und wir versprechen ihnen, dass dies nicht geschehen wird. »Tut sterben weh?« wollen sie oft wissen. Die Antwort, dass wir es auch nicht genau wissen aber schon oft neben einem Sterbenden gesessen haben und nie den Eindruck hatten, dass es weh tat, beruhigt sie. »Aber werde ich vorher Schmerzen haben?« fragen sie weiter. Und wir können ihnen getrost antworten, dass wir gute Schmerzmittel zur Verfügung haben und wissen, wie man damit effektiv umgeht. Und wir versprechen ihnen wie am Anfang der Behandlung erneut, dass wir alles tun werden, dass sie nicht leiden müssen und dass wir nie etwas Sinnloses tun. Dazu gehört auch, dass wir sie nicht beatmen, dialysieren oder künstlich ernähren, wenn solche Maßnahmen nur das Leiden verlängern. Und die Kinder haben meistens erfahren, dass sie sich auf unsere Aussagen und Versprechen verlassen können [2].

Ist es nicht das, was unsere Patienten von uns verlangen können und müssen? Natürlich gibt es Einzelfälle, bei denen die verabreichte Schmerzmedikation nicht ausreicht oder wo die entsetzliche Atemnot nur durch eine Beatmung zu beseitigen ist. Und in solchen Fällen müssen und dürfen wir in Kauf nehmen, dass die erhöhte Morphiumdosis oder die Intubation das Sterben beschleunigt. Und so werden wir auch Maßnahmen abbrechen, von denen der Patient keinen Gewinn mehr hat oder das Leiden verlängert wird. Und so planen wir auch schon voraus, welche Maßnahmen wir noch ergreifen wollen, falls eine bedrohliche Situation eintritt [3]. Wir besprechen vorher, ob eine Beatmung im Falle der Ateminsuffizienz noch Sinn macht. Und auch diese Voraussicht erwarten die Kinder von uns, denn wir sollen ja unser Versprechen gegebenenfalls einlösen, dass wir nichts Sinnloses machen werden.

Und dann brauchen wir Ärzte nur eine rechtliche Regelung, nämlich die Sicherheit, dass wir nicht wegen unterlassener Hilfeleistung verurteilt werden können, wenn alles mit dem Ziel getan wurde, das Leiden zu verhindern. Wahrscheinlich werden viele Maßnahmen von Ärzten nur aus Angst vor den juristischen Folgen und nicht im Interesse des Menschen durchgeführt.

Ein altes (altmodisches?) Ärztegelöbnis lautet: Es ist die Aufgabe des Arztes, manchmal zu heilen, häufig zu lindern und immer zu trösten. Darauf sollten sich die Patienten verlassen können. Und dass sie es können, dafür brauchen wir Ärzte in der Tat Konzepte. Die Menschen müssen sich aber auch darauf verlassen können, dass kein Arzt tötet. Und die Gesellschaft sollte nicht unseren Berufsstand zum Erfüllungsgehilfen der Sterbewünsche machen, wobei man sich auch fragen muss, ob es dazu eines Arztes bedarf. Der Scharfrichter hat früher auch kunstvoll getötet.

Ich bin tief davon überzeugt, dass viel weniger Menschen für die aktive Sterbehilfe plädieren werden, wenn sie sich darauf verlassen können, dass die Ärzte Konzepte dafür haben, wie sie ihnen in der Not beistehen. Der Ruf nach Legalisierung der Sterbehilfe ist wohl doch nichts weiter als ein Beleg für die offensichtlich bestehenden und Angst machenden Defizite der Medizin, für die wir Ärzte in der Tat die Verantwortung tragen. Insofern ist unser Berufsstand ohne Zweifel aufgefordert, auf diese Hilferufe zu reagieren.

Literatur

  • 1 Böckle F. Menschenwürdig sterben. Frankfurt In: Honnefelder L., Rager G. (Hrsg.): Ärztliches Urteilen und Handeln. Zur Grundlegung einer medizinischen Ethik 1994: 284-318
  • 2 Niethammer D. Das Sterben der Kinder.  Zeitschr Med Ethik. 1994;  40 213-221
  • 3 Niethammer D. Menschenwürdig sterben aus der Sicht eines Arztes. Piper, München In: Jens W., Küng H. (Hrsg.) Menschenwürdig sterben: ein Plädoyer für Selbstverantwortung 1995: 133-146
  • 4 Nuland S B. Wie wir sterben. Ein Ende in Würde?. Kindler, München 1994

Prof. Dr. med. Dietrich Niethammer

Universitäts-Kinderklinik Tübingen

Abteilung für Kinderheilkunde I

Hoppe-Seyler-Straße 1

72070 Tübingen