Balint Journal 2001; 2(4): 109-110
DOI: 10.1055/s-2001-18624
Original

© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Was die Balint-Gruppe für Ärzte und Patienten bedeutet

Die Balint-Tätigkeit in Rumänien - Traum und Realität[1] Albert Veress1 , Réka Veress2
  • 1 Kreiskrankenhaus Miercurea-Ciuc
  • 2 Uni. Tg. Mures
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Publikationsverlauf

Publikationsdatum:
27. November 2001 (online)

Auf der Erde haben immer schon glückliche und unglückliche Menschen gelebt. In einem Lager waren die glücklichen Ärzte. Im anderen standen die unglücklichen Ärzte und unglücklichen Patienten. So dachte ich zumindest, bis eines Tages . . .

Es hat alles in einer Nacht im Jahr 1985 angefangen, als ich einen meiner komischen Träume hatte. Ich redete mit St. Petrus, der mich zur Unterhaltung eingeladen hatte. Wir saßen beide auf einer flauschigen Wolke. Er hatte einen Vollbart mit etwas weißerem Haar auf dem Kopf als ich und wirkte irgendwie alt und faltig im weißen Gewand und mit einem Heiligenschein um den Kopf. Ich saß verwundert bei ihm. Er holte sich ein Stück Manna aus dem Rucksack, guckte mich an und fragte mich, ob ich auch ein Stückchen probieren möchte. Ich probierte es schon, aber unten auf der Erde schmeckt das Roggenbrot auf jeden Fall besser. Gleichmütig beobachtete ich die unten herumlaufende Menschenmenge, er fragte mich nachdenklich: „Was glaubst du, mein Freund, warum trotteln da unten viel mehr glückliche Menschen in der letzten Zeit?” Er hat mich unvorbereitet erwischt. Ich war irgendwie anderer Meinung, weniger zufrieden. Ein gewisses Maß an Zweifel auf meinem Gesicht bemerkend, fuhr er fort: „Heutigentags treffe ich immer mehr glückselige Menschen, die ihren Eintritt auf unsere ewigen Felder erbitten. Habe mich bei denen erkundigt, welcher Zunft sie angehören würden.

Wir sind Balint-Ärzte, sagten die einen. Wir sind Patienten von Balint-Ärzten, sagten die anderen.

Weißt du, mein Freund, dass ich ziemlich bewandert und belesen bin. Trotzdem habe ich noch nie von dieser Menschensorte gehört. Damit ich meiner Unwissenheit ein Ende setze, habe ich eine Gruppe, deren Mitglieder sich als Balint-Ärzte bezeichnet haben, zu einer gemütlichen Tête-à-Tête-Diskussion auf Wolke 77 in unsere Protokolleinrichtung eingeladen.

Du, schwebende Seele, warum bist du als Balint-Arzt glücklicher gewesen? Oje, es ist nicht gleich egal wie du dein Leben geführt hast! Schau mal her, mein guter Herr, mein halbes Leben lang habe ich zu einer besonderen Gruppe gehört, wo ich von persönlichen Angriffen verschont bleiben konnte. Ich habe meine Arbeit hinter einem Schutzschild durchgeführt, ich habe mich einfach wohlgefühlt. Ich konnte mich mit positiven Emotionen und wohltuenden Eindrücken aufladen. Man hat mir zugehört und ich habe den anderen auch zugehört. Ich wurde verstanden und ich habe gelernt, bescheiden, aber nicht demütig zu sein. Ich habe gelernt, meine eigenen Grenzen zu akzeptieren und den falschen Ehrgeiz zu vermeiden. Von den anderen habe ich gelernt, ohne dass ich dabei unbeholfen wirke. Schlicht gesagt: ich bin ein glücklicher Mensch geworden.

Nachher habe ich einen erwachten Patienten gefragt: Na, du Patientenseele, würdest du dich auch für glücklich bezeichnen, da du von einem Balint-Arzt behandelt wurdest?

Ja, barmherziger Herr. Letztlich bin ich bei dir gelandet, es ist aber nicht gleichgültig, wie es mir da unten ging.

Wieso, mein Kind?

Na ja, du willst aber vieles wissen. Mein Freund hat mir empfohlen, mich an einen Balint-Arzt zu wenden, von da an hat sich mein Patientenschicksal plötzlich geändert. In der Sprechstunde wurde mir nicht nur befohlen: „Ausziehen, bitte”, sondern ich wurde gefragt, wie es mir ginge und was ich von meiner Krankheit halte. Ich habe nicht nur ein Rezept erhalten, sondern ein Stückchen Zuwendung wurde mir zuteil. Sein Zuhören hat mir sogar mehr gebracht als alle verschriebenen Pillen. Ich wurde aus dem Krankenhaus entlassen, meine Verwandtschaft sollte sich langsam um meine Beerdigung kümmern, ich habe mich trotzdem irgendwie „geheilt” gefühlt. Ich bin ein anderer Mensch geworden, einer, der besser, verständnisvoller, toleranter, einfach glücklicher ist. Er war ein Arzt, der sogar mit seinen Worten heilen konnte. Wenn ich noch hundert Jahre leben würde, könnte ich mir nur vorstellen sein Patient zu sein.

Das hat mir der himmlische Pförtner erzählt. Beide sind wir nachdenklich geworden. Ich bin eingenickt. Plötzlich hat es geklingelt. Noch duselig im Kopf, stand ich auf und ging zur Tür. Der Postbote hat mir einen Brief per Einschreiben ausgehändigt. Eine Einladung für den Internationalen Balint-Kongress in Budapest im Jahr 1986, eine Jubiläumsveranstaltung an dem 90. Geburtstag von Michael Balint.

Der Traum fing an Wirklichkeit zu werden. Es folgten sechs Monate „Nahkampf” mit den Behörden, für den Pass. Dann endlich die erste Teilnahme an einer großen Balint-Gruppe in einem Konferenzsaal. Fallberichte, geölte Gruppenarbeit, Privatgespräche . . . Schließlich die Rückkehr, das Wiedersehen mit meiner Familie, die mich gespannt erwartet hat. Solcher Empfang gebührt nur einem Unikum, demjenigen, der mal endlich ins Ausland reist und dazu noch an einem Kongress teilzunehmen geschafft hat. Das erste „Interview” hat meine Frau gemacht. „Wie war es? Welche Eindrücke hast du bekommen?”

„Ach, schwer zu sagen . . . wie kann sich einer vorstellen, dass ein Arzt, oder sogar eine ganze Gruppe von Ärzten, die notwendige Zeit hat, um mit einem einzigen Fall sich monatelang zu beschäftigen?”

Hinterher habe ich Balint's Arbeit über die Flashtechnik gelesen: sechs Minuten für einen Patienten!

Wir haben noch lange Zeit an dem Gehörten und Erlebten gekaut und verdaut. Fremden und Kollegen haben wir es erzählt und zusammen darüber nachgedacht. Letztendlich haben wir uns gefragt: warum denn nicht? Was könnten wir verlieren?

Die ersten Treffen haben wir „nach Ohren gespielt” wie die Zigeunermusik. Kleingläubigkeit wäre fehl am Platz gewesen, die ersten Samen haben doch heftig gekeimt und langsam Wurzeln geschlagen. Jetzt weiß ich auch, warum. Wir waren ausgehungert. Nach einer so langen kommunistischen Isolation wollten wir alles wissen, was in der Medizin neu ist. Unser riesiger Hunger hat alles verschlungen. Uns wurde plötzlich bewusst, dass wir das Balint'sche Konzept schon immer ausgeübt haben, ohne darüber etwas zu wissen. In unseren Freundeskreisen, bei Treffen und Feiern haben wir überall „Balint” geübt. Wer kann sich an die Zeit nicht erinnern, als beim Treffen zweier Ärzte nach kurzem, alltäglichem Gespräch der Faden der Diskussion in Richtung schwerlösbarer Fälle geleitet wurde. Wir haben die Fälle besprochen, wo wir gescheitert sind. Das Balint'sche Konzept hat in unserem ärztlichen Denken, tief in uns schlummernd, schon einen Platz gehabt.

Nach der Wende im Jahr 1989 hatten wir die Möglichkeit, endlich einige wichtige Repräsentanten der Internationalen Balint-Bewegung einzuladen. Wir konnten fast ungehindert ausreisen. Konferenzen in Ungarn, Deutschland und Kroatien waren die ersten Meilensteine unserer Anfangsperiode. An dem Weltkongress in Zagreb 1993 konnten schon 5 von unseren Mitgliedern teilnehmen, wo sie eigene Arbeiten vorgestellt haben. Darüber hinaus wurden drei von unseren Vorschlägen vom Kongress angenommen. Uns wurde schließlich die Bildung einer eigenen Assoziation vorgeschlagen. Unterwegs nach Hause haben die Aufgaben langsam ihre eigenen Konturen bekommen. Am 25. Juli 1993 ist die Rumänische Balint-Gesellschaft mit 29 Gründungsmitgliedern mit Hauptsitz in Miercurea-Ciuc (Seklenburg) zum Leben erweckt worden. Nach weniger als sieben Monaten sind wir dann in Brüssel durch einheitliche Abstimmung in die Internationale Föderation aufgenommen worden. Es folgt eine Periode des Aufblühens. 173 Mitglieder sind bis dato dazugekommen. Neue Gruppen sind entstanden, begabte Gruppenleiter haben ihr organisatorisches Können bewiesen. In 18 Kreisgebieten findet regelmäßig Balint-Arbeit statt. Inzwischen haben 6 Konferenzen, davon 3 mit internationaler Teilnahme, stattgefunden. Weiterhin konnten wir an einer internationalen Konferenz teilnehmen. Drei Weiterbildungskurse für Hausärzte, Psychiater und Psychologen wurden mit Hilfe der Universität Szueged organisiert. Es werden jährlich zwei bis drei Balint-Wochenendseminare veranstaltet. Manche stolzierten mit prominenten Gästen. Die Massenmedien wurden einbezogen. Wir veröffentlichten regelmäßig unsere Artikel in der rumänischen Fachzeitschrift für Psychiatrie. Später ist unser Fachblatt (bis jetzt die sechste Ausgabe) erschienen. Eine kurze „Methodologie” wurde in 1000 Exemplaren gedruckt.

Bei uns kann man inzwischen auch einen Veralterungsprozess beobachten. Man sagt, dass die alten Mitglieder, die 5 Jahre lang eine regelmäßige Teilnahme an Gruppen aufweisen, eine allmähliche Verminderung des Engagements erleben. Es kommen aber immer neue Mitglieder dazu.

Die rumänische Ärztekammer hat inzwischen beschlossen, dass die Balint-Arbeit in dem Weiterbildungsprozess der Hausärzte ein wichtiger Bestandteil ist. Wir erhoffen die Einführung der Psychosomatischen Medizin als Studienfach.

Wer hat noch nicht vom Burn-out-Syndrom gehört? Gerade die Arbeit im Balint'schen Sinn könnte dem entgegenwirken.

Es hilft denjenigen, die hilfsbereit sind.

(Übersetzung: K. & Ch. Kemetzky, 27. 09. 00, Rösrath)

1 Die Arbeit wurde am 25. - 26. Juni 1999 im Rahmen der Nationalen Tagung von Psychiatrie in Polana Brasov vorgestellt.

1 Die Arbeit wurde am 25. - 26. Juni 1999 im Rahmen der Nationalen Tagung von Psychiatrie in Polana Brasov vorgestellt.

Dr. Albert Veress

Po Box 75

4100 Miercurea-Ciuc

Rumänien