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DOI: 10.1055/s-2001-18874
Was dürfen Ärzte auf dem Praxisschild ankündigen?
Publication History
Publication Date:
06 December 2001 (online)
Rechtsanwälten wurde bereits 1997 durch die Berufsordnung im Zuge der Lockerung des Werbeverbots erlaubt, Tätigkeitsschwerpunkte als Teilbereich ihrer Berufstätigkeit auf dem Praxisschild und in sonstigen Verlautbarungen anzugeben. Für Ärzte war im Gegensatz hierzu die Rechtsprechung hinsichtlich des Werbeverbots trotz der auch hier zunehmenden Liberalisierungstendenz bisher zurückhaltend. Die Gefahr der Irreführung der Bevölkerung durch Ankündigung von Qualifikationen, die nicht in einem förmlichen Weiterbildungsgang erworben wurden, sondern auf Selbsteinschätzung beruhen, wurde als zu groß angesehen. Zum Teil wurde argumentiert, dass die sehr weitgehende Lockerung des anwaltlichen Werbeverbots auf das Werberecht der Ärzte nicht übertragbar sei, weil »die durch das Werbeverbot der Ärzte geschützten Interessen der Volksgesundheit und des Schutzes vor Beeinflussung und Verunsicherung durch Werbemethoden ... eine andere und erheblich gewichtigere Bedeutung [hätten] als das durch das anwaltliche Werbeverbot betroffene Verhältnis zwischen einem Anwalt und den Rechtsuchenden« (OLG Hamburg, Urteil vom 07.11.1996, Medizinrecht [MedR] 15 [1997], 177, 179).
Zulässigkeit der Ankündigung von Tätigkeitsschwerpunkten durch Zahnärzte
Diese Rechtsansicht ist seit einem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 23.07.2001 - 1 BvR 873/00 u. 1 BvR 874/00 - obsolet. Gegenstand dieser Entscheidung waren zwei Verfassungsbeschwerden von Zahnärzten, die auf ihrem Praxisschild auf den Tätigkeitsschwerpunkt »Implantologie« hingewiesen hatten und deshalb vom zahnärztlichen Berufsgericht wegen Verstoßes gegen das berufsrechtliche Werbeverbot zu Geldbußen verurteilt wurden. Das Bundesverfassungsgericht sah hierin eine Verletzung des Grundrechts der Berufsfreiheit (Art. 12 Abs. 1 GG). Es hält den Hinweis auf eine tatsächlich erfolgte Spezialisierung auf dem Praxisschild prinzipiell für erlaubt, sofern der Zahnarzt in dem betreffenden Teilbereich der Zahnheilkunde über besondere theoretische Kenntnisse und praktische Erfahrungen verfügt und in diesem Bereich nachhaltig tätig ist. Gleichzeitig wird jedoch betont, dass eine sachgerechte Überwachung durch die Zahnärztekammern im Rahmen der ihnen übertragenen Qualitätssicherung zwangsläufig mit gewissen Einschränkungen der Berufsausübungsfreiheit der Zahnärzte verbunden ist.
Das Bundesverfassungsgericht schließt eine Verwechslungsgefahr mit den Gebietsbezeichnungen nach der zahnärztlichen Weiterbildungsordnung und damit die Gefahr einer Irreführung des Publikums aus mit der Begründung, durch die Verwendung des Zusatzes »Tätigkeitsschwerpunkt« werde schon deutlich gemacht, dass es sich um einen Tätigkeitsschwerpunkt handele und nicht um eine Gebietsbezeichnung im Sinne der Weiterbildungsordnung.
Das Bundesverfassungsgericht geht in seiner Entscheidung vom 23.07.2001 sogar noch einen Schritt weiter, indem es nicht unterscheidet zwischen Tätigkeitsschwerpunkten und anderen speziellen Leistungsangeboten. Die Vorgaben des Gerichts für die Zulässigkeit einer Ankündigung gelten daher für beide Formen der Spezialisierung. Das heißt, auch ein Zahnarzt, der eine besondere Leistung unterhalb eines Tätigkeitsschwerpunkts anbietet, muss in dem betreffenden Teilbereich über besondere theoretische Kenntnisse und praktische Erfahrungen verfügen und in diesem Bereich nachhaltig tätig sein. Hinzu kommen muss ferner, dass sich die betreffende Therapie »tatsächlich herausgebildet hat«, und ein berechtigtes Interesse der Bevölkerung an Information besteht.
Ist das Werberecht der Zahnärzte auf das der Ärzte übertragbar?
Es fragt sich, ob und gegebenenfalls inwieweit sich die in der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts entwickelten Grundsätze auf die Ankündigung von Tätigkeitsschwerpunkten durch Ärzte übertragen lassen. Die Antwort ergibt sich aus folgenden Beispielen:
Wie soll ein Patient sich verhalten, wenn er bei der Suche nach einem Chirotherapeuten auf dem Praxisschild eines Allgemeinarztes, der im Besitz der Zusatzbezeichnung »Chirotherapie« nach der Weiterbildungsordnung ist, liest: »Dr. Schulze, Facharzt für Allgemeinmedizin - Chirotherapie«, und einige hundert Meter weiter auf ein Arztschild stößt mit der Aufschrift: »Dr. Müller, Facharzt für Allgemeinmedizin, Tätigkeitsschwerpunkt Chirotherapie«? Oder: ein Internist führt auf dem Praxisschild die nach der Weiterbildungsordnung erworbene Schwerpunktbezeichnung »Gastroenterologie« vorschriftsmäßig wie folgt: »Dr Maier, Internist - Gastroenterologie«. Ein anderer Internist schreibt auf sein Praxisschild »Tätigkeitsschwerpunkt Gastroenterologie«. Welches ist in den Augen des Patienten der qualifiziertere Arzt? Im Zweifel wird er sich für den letzteren entscheiden, weil er glaubt, dass dieser ganz überwiegend gastroenterologisch tätig ist. Ob hier ein zusätzlicher Hinweis, es handle sich nicht um eine Schwerpunktbezeichnung nach der ärztlichen Weiterbildungsordnung jeden Irrtum ausschließen kann, wie das Bundesverwaltungsgericht in einem Urteil vom 05.04.2001 - BVerwG 3 C 25.00 - in einem Fall, in dem es um die Führung des Zusatzes »Akupunktur« auf dem Praxisschild ging, angenommen hat, erscheint fraglich.
Bereits diese Beispiele zeigen, dass die Anwendung der vom Bundesverfassungsgericht für die Zahnärzte entwickelten Grundsätze auf Ärzte zu einer erheblichen Verunsicherung der Patienten führen würde. Etwas anderes könnte nur dann gelten, wenn der Arzt im Einzelfalle, z. B. durch den Erwerb eines Zertifikats seines Berufsverbandes, gegenüber der Ärztekammer den Nachweis führen kann, dass er an einer den Regeln der Weiterbildungsordnung gleichwertigen Fortbildung teilgenommen hat. Gegen die Praktikabilität eines solchen Verfahrens erscheinen indes Bedenken angebracht, dürfte doch die Festlegung eines allgemeinverbindlichen Maßstabes für die Gleichwertigkeit und die Evaluation einer Fortbildung im konkreten Fall auf praktische Schwierigkeiten stoßen.
Erscheinen öffentliche Ankündigungen, die auf Selbsteinschätzung beruhen, bereits für den zahnärztlichen Bereich, wo es außer der Gebietsbezeichnung »Öffentliches Gesundheitswesen« nur noch die Gebietsbezeichnungen »Kieferorthopädie« und »Oralchirurgie« als einzige nach der Weiterbildungsordnung erwerbbare Zusätze gibt, höchst problematisch, so würde durch die Übertragung der vom Bundesverfassungsgericht für Zahnärzte entwickelten Grundsätze auf den ärztlichen Bereich letztlich die ärztliche Weiterbildungsordnung mit ihren insgesamt 88 Facharzt-, Schwerpunkt- und Zusatzbezeichnungen praktisch unterlaufen. Trotzdem werden künftig mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit Versuche von Ärzten nicht ausbleiben, die vom Bundesverfassungericht in seinem Beschluss vom 23.07.2001 aufgestellten Regeln auch für sich zu beanspruchen.
Bei aller Sympathie für eine zunehmende Lockerung des ärztlichen Werbeverbots angesichts des wachsenden Fortschritts in der Medizin darf man nicht außer Acht lassen, dass das Werbeverbot »Elemente des Verbraucherschutzes« enthält, »die vom Gedanken der Qualitätssicherung mitbestimmt sind« (Bonvie, MedR 12 [1994], 308, 312).
kurzgefasst: Nach einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom Juli 2001 ist vor dem Hintergrund des Grundrechts der Berufsfreiheit Zahnärzten die nicht irreführende Ankündigung eines Tätigkeitsschwerpunkts auf dem Praxisschild erlaubt, sofern der Zahnarzt in dem betreffenden Teilbereich der Zahnheilkunde über besondere theoretische Kenntnisse und praktische Erfahrungen verfügt und in diesem Bereich nachhaltig tätig ist. Die Anwendung dieses Maßstabes auf Ärzte führte letztlich zu einem Unterlaufen der ärztlichen Weiterbildungsordnung mit ihren insgesamt 88 schildfähigen Qualifikationsbezeichnungen und liefe daher dem mit dem berufsrechtlichen Werbeverbot bezweckten »Verbraucherschutz« zuwider. Infolgedessen ist die Angabe von Tätigkeitsschwerpunkten durch Ärzte auf dem Praxisschild grundsätzlich abzulehnen.
Rechtsanwalt
Dr. iur. Hans-Jürgen Rieger
Zeppelinstraße 2
76185 Karlsruhe