Dtsch Med Wochenschr 2001; 126(49): 1403
DOI: 10.1055/s-2001-18876
CME
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Immunschwäche - Der konkrete Fall

Immune deficiency - The specific caseJ. O. Schröder
  • II. Medizinische Klinik und Poliklinik, Christian-Albrechts-Universität Kiel
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Publication Date:
06 December 2001 (online)

Anamnese: Bei der damals 32-jährigen Patientin fiel erstmals vor 11 Jahren bei vermehrter Infektanfälligkeit eine Hypogammaglobulinämie auf. Es ergaben sich erniedrigte Werte für alle Immunglobulinklassen: IgG 2,47 g/l, IgA 0,31 g/l, IgM 0,25 g/l. Nach Ausschluss einer malignen hämatologischen Erkrankung und anderer Ursachen für einen Antikörpermangel wurde die Diagnose einer common variable immunodeficiency (CVID) gestellt. Die Patientin erhielt in regelmäßigen, etwa monatlichen Abständen 20-30 g einer intravenös applizierbaren Immunglobulinpräparation (über 95% IgG). Über mehrere Jahre war der Krankheitsverlauf weitgehend komplikationslos. Die Patientin litt allerdings an rezidivierenden Sinusitiden, die als Folge des dauerhaften, durch die IgG-Substitution nicht kompensierten IgA-Mangels angesehen wurden.

Untersuchungen: Nach insgesamt 7-jähriger Krankheitsdauer wurde die Patientin erstmals in unserer Klinik vorgestellt. Sie klagte über zunehmenden Husten, Luftnot und Fieber bis 39˚ C. Über beiden Lungen waren grobblasige Rasselgeräusche auskultierbar. Radiologisch fanden sich in den basalen Abschnitten beider Lungen multiple herdförmige, unscharf begrenzte Verschattungen. Bei Verdacht auf eine atypische Pneumonie wurde eine intensive Erregersuche inklusive bronchoalveolärer Lavage durchgeführt. Ein Erregernachweis gelang jedoch nicht.

Therapie und Verlauf:Eine empirische antibiotische Behandlung mit Roxithromycin führte - unter fortlaufender Immunglobulinsubstitution - zur Entfieberung und zur Besserung des Auskultationsbefundes. Der radiologische Befund zeigte dagegen keine sichere Besserung.

Ca. ein halbes Jahr später verschlechterte sich der Zustand der Patientin erheblich. Bei der jetzt stationär durchgeführten Diagnostik waren eine hochgradige hypochrome Anämie sowie eine Splenomegalie mit bis in das kleine Becken reichender Milz die führenden Befunde. Wir entschlossen uns zur Splenektomie, die nach üblicher Vakzinierung komplikationslos durchgeführt werden konnte und für 8 Monate zu einer raschen Besserung der klinischen Situation führte. Eine ausgiebige histologische und immunhistologische Untersuchung der exstirpierten Milz ließ eine »atypische Immunreaktion« in Gestalt kleinknotiger lymphozytärer Infiltrate erkennen, ein malignes Lymphom war jedoch nicht nachweisbar.

Nach einem weiteren Jahr entwickelten sich schwere Diarrhöen. Eine ausgiebige endoskopische Untersuchung ergab zunächst die Diagnose einer Gluten-sensitiven Enteropathie (Sprue). Da die glutenfreie Diät nur eine geringe passagere Besserung erbrachte und eine allgemeine Lymphadenopathie auftrat, wurden erneut Gewebeproben aus dem Gastrointestinaltrakt entnommen. Jetzt konnte die Diagnose eines niedrig malignen B-Zell-Lymphoms des MALT (Mukosa-assoziiertes lymphatisches Gewebe) vom Marginalzonenphänotyp diagnostiziert werden, dem wir rückblickend neben der Enteropathie auch die Anämie, Splenomegalie sowie letztlich auch die pulmonalen Infiltrationen als Manifestationen des malignen Lymphoms bzw. seiner Vorstufen zuordneten. Bei Diagnose einer generalisierten Lymphadenopathie bei MALT-Lymphom erhielt die Patientin zunächst fünf Zyklen einer Chemotherapie mit Mitoxantron, Chlorambucil und Prednisolon. Es wurde eine für ca. 4 Monate stabile Teilremission erreicht. Bei erneutem Rezidiv erfolgten intensivierte Chemotherapien zunächst nach dem Dexa-BEAM-Protokoll und - nach Gewinnung autologer Blutstammzellen - mit hochdosiertem Cyclophosphamid und Ganzkörperbestrahlung sowie anschließender Stammzellsubstitution.

5 Monate nach der intensivierten Behandlung kam es erneut zu einem Rezidiv des malignen Lymphoms. In der Phase einer zunächst nur supportiven Therapie erlitt die Patientin eine Salmonellensepsis, an der sie 11 Jahre nach der Diagnose CVID starb.

Prof. Dr. J. O. Schröder

II. Medizinische Klinik und Poliklinik Christian-Albrechts-Universität Kiel