NOTARZT 2001; 17(6): 186-191
DOI: 10.1055/s-2001-18907
Originalia
© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Notfallmedizin in Bayern - von den Anfängen bis zum heutigen Notarztsystem*

Emergency Medicine in Bavaria - from the Beginnings to the Update Emergency Physician SystemH.  Klingshirn* Vortrag auf dem Symposium: „Notfallmedizin - Rückblick, Wandel, Zukunft” der Klinik für Anaesthesiologie der Universität Würzburg am 5. 5. 2001.
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Publication Date:
06 December 2001 (online)

Vor der Darstellung der Entwicklung der Notfallmedizin in Bayern in den letzten 30 Jahren gestatten Sie mir eine Vorbemerkung: Sie betrifft die Art meines Berichtes. Er könnte rein wissenschaftlicher Natur sein; nüchtern und distanziert; allein auf Fakten und Zahlen beruhend. Ich glaube, ein solcher Beitrag würde dem Anlass des Symposiums* nicht gerecht werden. Die Beschränkung auf eine solche bloße Referentenrolle würde aber auch mir nicht gefallen. Denn während 22 Jahren war ich in verantwortlichen Positionen im Bayerischen Staatsministerium Mitbeteiligter und Mitgestalter des Rettungswesens und in dieser Eigenschaft auch Wegbegleiter und ständiger Gesprächspartner von Professor Sefrin. Mein Beitrag wird deshalb der eines Beteiligten und damit auch subjektiv und gelegentlich auch emotionell sein.

Die Geschichte der Notfallmedizin in Bayern ist - wie es bei geschichtlichen Abläufen meist der Fall ist - das Handeln von Personen. Viele Personen haben auf dieser Bühne des Rettungsdienstes mitgespielt; in Haupt- und Nebenrollen. Einige Darsteller hatten nur Mittelmaß, einzelne waren sogar reine Fehlbesetzungen. Aber dank vieler aufgeschlossener und gutgesinnter Akteure ist es gelungen, die Notfallmedizin als wichtige Säule der gesundheitlichen Vorsorge zu etablieren. Einige aber spielten in diesem Stück, das nun fast seit 30 Jahren über die Bühne geht, eine tragende, eine überaus positive Rolle: Dazu gehörte und gehört derjenige, zu dessen Ehren das Symposium durchgeführt wurde.

Ich möchte dieses Stück in drei Akte einteilen: Der erste umfasst die 70er Jahre, beginnend mit dem Jahr 1973. Es gab damals in der Bundesrepublik mehr als 20 000 Verkehrstote und über 400 000 Verletzte im Jahr. Dies war auch der Anlass dafür, dass sich seinerzeit die Bayerische Staatsregierung entschloss, das Rettungswesen, das bis dahin ausschließlich eine freiwillige humanitäre Aufgabe der Hilfsorganisationen war, rechtlich zu ordnen und damit - ähnlich wie den Brand- und Katastrophenschutz - zu einer öffentlichen Aufgabe zu machen.

Im Gesetz vom 7. 1. 1974 wurden erstmals in der Bundesrepublik die organisatorischen, finanziellen und ausstattungsmäßigen Anforderungen an Notfallrettung und Krankentransport rechtlich fixiert. Die wichtigsten Eckpunkte des Gesetzes waren:

Der Rettungsdienst ist eine öffentliche Aufgabe. Der Rettungsdienst ist eine funktionelle Einheit von Notfallrettung und Krankentransport. Die Aufgabenerfüllung erfolgt überregional; zu diesem Zweck wird das Staatsgebiet - entsprechend der Polizeiorganisation - in 26 Rettungsdienstbereiche aufgeteilt. Die jeweiligen Landkreise und kreisfreien Städte bilden einen Rettungszweckverband, der Aufgabenträger ist. Die Aufgabendurchführung liegt vorrangig bei den Hilfsorganisationen. Die Lenkung aller Einsätze erfolgt über ständig besetzte Leitstellen. Aufbau eines Systems von Rettungswachen dergestalt, dass jeder an einer Straße liegende Einsatzort in der Regel innerhalb einer Fahrzeit von 12 Minuten und in dünner besiedelten Gebieten innerhalb von 15 Minuten erreicht werden kann. Damit wurde erstmals eine Hilfsfrist festgeschrieben. An die Rettungsmittel werden qualitative Mindestanforderungen gestellt. Die Durchführenden des Rettungsdienstes erhalten öffentliche Förderung. Für die Einsätze des Rettungsdienstes werden Benutzungsentgelte erhoben.

Für die damaligen Verhältnisse war dieses Gesetz eine bahnbrechende Leistung. Leider wurde jedoch das Gesetzesvorhaben mit einer solchen Eile durchgezogen, dass keine Zeit für die Erörterung von Alternativen und vor allem keine Zeit für die notwendige Vorbereitung seiner Durchführung blieb. So blieben Systemmängel, die sich auch bei späteren Novellierungen nicht mehr rückgängig machen ließen und noch heute unser Rettungswesen negativ beeinflussen; die drei wichtigsten sind:

Den in Rettungszweckverbänden zusammengeschlossenen Landkreisen und kreisfreien Städten obliegt der Rettungsdienst nicht als eigene, sondern nur als staatlich übertragene Aufgabe. Das hatte zur Folge, dass die hiesigen Aufgabenträger, von Ausnahmen abgesehen, lediglich ein „reduziertes Engagement” an den Tag legten und im Grunde das Rettungswesen - anders als in den übrigen Bundesländern - nie als echte Kommunalaufgabe betrachteten. Das Auseinanderfallen von Aufgabenträgerschaft und Finanzierungsverantwortung. Dies ist die Konsequenz des ersten Systemfehlers. Es liegt auf der Hand, dass das Interesse der Zweckverbände an einer wirtschaftlichen Aufgabenerfüllung kaum ausgeprägt ist, da sie an den Kosten des Rettungswesens nicht beteiligt sind. Träger der Rettungsleitstelle ist nicht der kommunale Aufgabenträger, d. h. der Rettungszweckverband, sondern bis auf eine - erst später zugelassene - Ausnahme, in allen Rettungsdienstbereichen das Bayerische Rote Kreuz. Diese Konstruktion verhinderte bis dato die Nutzbarmachung des Notrufs 112 und damit die effiziente Alarmierung; aber auch die Schaffung von integrierten Leitstellen für Rettungsdienst, Feuerwehr und Katastrophenschutz. Des Weiteren wurde durch diese Monopolisierung der Einsatzdisposition bei einem Leistungserbringer der Keim für immer wiederkehrende Irritationen unter den Durchführenden gelegt.

Wer glaubt, das neue Rettungsdienstgesetz, trotz aller Mängel ein echtes Reformwerk, sei damals bei den Beteiligten freudig und einhellig begrüßt worden, der irrt. Da keine Zeit für die notwendige Bewusstseinsbildung blieb, lehnte eine größere Zahl von Landräten das Gesetz schlechthin ab, weil sie argwöhnten, dass auf sie nicht kalkulierbare finanzielle Lasten zukämen. Ähnlich verhielt sich eine Reihe von Kreisverbänden des BRK, da sie mit der Schaffung überregionaler Leitstellen um ihre Befugnisse fürchteten. Das Ganze gipfelte schließlich in einer Normenkontrollklage von vier Landkreisen gegen das Reformwerk, die aber erfolglos blieb.

In dieser aufgeheizten, manchmal sogar vergifteten, Situation trat ich im Herbst 1977 als zuständiger Sachgebietsleiter für den Rettungsdienst mein Amt im Staatsministerium des Innern an. Ich musste feststellen, dass z. B. in weiten Bereichen des Regierungsbezirks Oberbayern das inzwischen über drei Jahre alte Rettungsdienstgesetz überhaupt nicht vollzogen wurde, da sich die Landkreise schlichtweg weigerten, die als Aufgabenträger notwendigen Rettungszweckverbände zu bilden.

Für mich gab es eine dreifache Strategie:

Mit den widerstrebenden Landräten so lange zu verhandeln, bis sich die Einsicht in die Notwendigkeit des Rettungsdienstgesetzes durchsetzt. Schneller Aufbau der Rettungsleitstellen, um so durch Fakten die zögernden Kommunen zum Handeln zu bewegen. Unterstützer und Weggefährten für den langen Weg des Aufbaus des Rettungswesen in Bayern zu gewinnen.

Dieser Weg war steinig, mühsam und von Rückschlägen geprägt. Aber am Ende doch weitgehend erfolgreich. Zu den Weggefährten der so genannten ersten Stunde gehörte der damalige Privatdozent Sefrin. Er klinkte sich engagiert in diesen Aufbauprozess ein und hat den Rettungsdienst ebenfalls zu „seiner Sache” gemacht. Und dies bis heute. Seine große persönliche Leistung bestand damals vor allem in der wissenschaftlichen Betreuung des über fünf Jahre laufenden „Modellversuchs Notfallrettung Unterfranken” der vom Deutschen Verkehrssicherheitsrat initiiert und finanziert sowie von der Bundesanstalt für Straßenwesen gesteuert wurde. Dieses Projekt war für den Aufbau des Rettungsdienstes in Bayern deshalb von größter Bedeutung, weil damit ein positives Bewusstsein für die Notwendigkeit der medizinischen Notfallversorgung geschaffen werden sollte. Denn Aufgabenträger, Krankenkassen und große Teile der Ärzteschaft standen einem institutionalisierten Rettungswesen nach wie vor skeptisch gegenüber.

Unterfranken wurde damals als Modellgebiet gewählt, weil dort der Aufbau der rettungsdienstlichen Infrastruktur am weitesten fortgeschritten war und weil sich der Lehrstuhl von Prof. Weis der Universität zusammen mit Dr. Sefrin als einer der wenigen medizinischen Lehrstühle für die Notfallmedizin in ganz besonderer Weise interessierte und engagierte.

Lassen Sie mich zu den 80er Jahren kommen; die erste Hälfte dieser Dekade war vor allem durch die Etablierung eines flächendeckenden Notarztdienstes gepägt. Am 1. 1. 1974, beim Inkrafttreten des Rettungsdienstgesetzes gab es nur in einigen größeren Städten eine notfallmedizinische Versorgung durch Ärzte. Die sanitätsdienstliche Versorgung am Notfallort und der schnelle Transport ins Krankenhaus standen im Vordergrund. Weder bei den Hilfsorganisationen noch bei der Ärzteschaft in ihrer Gesamtheit bestand damals ein Bewusstsein dafür, dass die adäquate notfallmedizinische Versorgung am Notfallort durch einen dafür besonders ausgebildeten Arzt Priorität haben müsste.

Das damalige Rettungsdienstgesetz regelte den Notarztdienst nicht expressis verbis, ging aber im Prinzip davon aus, dass er durch die Abstellung von Klinikärzten durchgeführt werden sollte. Durch entsprechende Vereinbarung mit geeigneten Kliniken gelang es, die Notarzteinsätze in fünf Jahren fast zu verdoppeln. Wurden 1975 ca. 13 % der Notfälle durch Ärzte am Notfallort versorgt, stieg diese Quote fünf Jahre später auf fast 25 % oder ca. 61 000 Einsätze an. Dennoch war Kennern der Materie klar, dass auf diese Weise eine flächendeckende Versorgung in Bayern, insbesondere in den strukturschwachen Gebieten, nicht zu erreichen wäre.

Es war wie ein Paukenschlag, als der damalige Präsident der Bayerischen Landesärztekammer und Vorsitzender der Kassenärztlichen Vereinigung Bayerns, Prof. Sewering, verkündete, die KVB werde künftig die notärztliche Versorgung übernehmen. Er stützte sich dabei auf § 368 Abs. 3 RVO, wonach die KV den kassenärztlichen Not- und Bereitschaftsdienst sicherzustellen habe. Diese primär berufsständisch motivierte Auslegung der RVO war seinerzeit nicht unbestritten; Bayern ging diesen Weg, da er versprach, auch in dünn besiedelten Gebieten mit einer schwachen Krankenhausinfrastruktur funktionierende notärztliche Systeme aufzubauen. Rückblickend kann festgestellt werden, dass dieser bayerische Sonderweg richtig war; er sollte auch künftig beibehalten werden.

Am 1. 7. 1980 wurde der so genannte Rahmenvertrag zur Regelung des Einsatzes von Ärzten mit Notarztwagen zwischen den Hilfsorganisationen, den Krankenkassenverbänden und der KVB abgeschlossen. Da seine Grundaussagen noch heute die Basis für den Notarztdienst darstellen, seien die wesentlichen Punkte genannt:

Die ärztliche Mitwirkung im Rahmen des Rettungsdienstes wird als Aufgabe der vertragsärztlichen Versorgung angesehen. Es ist Aufgabe der Kassenärztlichen Vereinigung im Rahmen ihres Sicherstellungsauftrages, die erforderlichen Ärzte zur Verfügung zu stellen. Die Kassenärztliche Vereinigung erfüllt diese Aufgabe mit geeigneten Kassen-/Vertragsärzten, beteiligten oder hierzu ermächtigten Ärzten. Die Krankenhausärzte wirken am Notarztdienst als beteiligte oder ermächtigte Ärzte mit.

Auf dieser Grundlage wurde eine landesweite Bedarfsplanung gemacht; wobei anfänglich die Handlungsmaxime fast ausschließlich bei der KVB lag. Nur allmählich gelang es, den staatlichen Standpunkt und die erforderlichen notfallmedizinischen Aspekte einzubringen. Drei Gesichtspunkte spielten aus staatlicher Sicht eine bedeutsame Rolle:

Die flächendeckende Versorgung unter Einschluss der bereits beteiligten Krankenhäuser. Eine klare Regelung der Rechtstellung der beteiligten Krankenhausärzte. Die inhaltliche Ausfüllung des Begriffes „geeignete” Ärzte.

In Verfolgung dieser Zielsetzungen fand sich in Prof. Sefrin ein engagierter Mitstreiter. Als schon damals anerkannter Notfallmediziner nahm er eine wichtige Brückenfunktion zur Landesärztekammer und zur Kassenärztlichen Vereinigung ein. Während der damalige KVB-Vorsitzende lediglich von so genannten „Blaulichtärzten” sprach, deren fachliche Qualifikation durch die erteilte Approbation grundsätzlich als nachgewiesen gelte, ging es Sefrin um

einen klar strukturierten und organisierten Notarztdienst; die eindeutig geregelte Rechtstellung der im Notarzt tätigen Ärzte einschließlich ihrer Vergütung und ihres Versicherungsschutzes; ein fachliches Anforderungsprofil.

Die mit der Etablierung des Notarztdienstes Bayern verbundenen Herausforderungen hat die Gründung der Arbeitsgemeinschaft der in Bayern tätigen Notärzte, kurz agbn, initiiert. Sie fand 1981 hier in Würzburg statt. Die agbn war im Übrigen die erste derartige Arbeitsgemeinschaft in der Bundesrepublik Deutschland.

Die von Sefrin gegründete und seit 20 Jahren geleitete agbn wurde sehr bald zum Motor, Katalysator und Initiator für alle Fragen der Notfallmedizin in Bayern und darüber hinaus. Als legitime Vertreterin der bayerischen Notärzte hatte sie maßgebenden Einfluss und Gestaltungsmöglichkeit als es darum ging

die fachlichen Anforderungen für die Tätigkeit als Notarzt zu formulieren; die Fortbildungsveranstaltungen für den Fachkundenachweis zu organisieren und durchzuführen; die Einsatzbedingungen für die Notärzte festzulegen.

Es war ein Durchbruch in Sachen notärztlicher Qualifikation als im Herbst 1983 der Vorstand der Bundesärztekammer den so genannten Fachkundenachweis beschlossen hatte, der dann in Bayern mit 1-jähriger Verspätung eingeführt wurde. Die ersten Fortbildungskurse liefen 1985 an. Der Fachkundenachweis ist heute ärztlicher Standard und notwendige Voraussetzung für die Mitwirkung am Notarztdienst.

Die zweite Hälfte der 80er Jahre war durch folgende zwei Schwerpunkte bestimmt:

Schaffung eines gesetzlichen Berufsbildes für das nichtärztliche Rettungsdienstpersonal. Änderung des Personenbeförderungsgesetzes wegen der Zunahme privater Leistungsanbieter.

Während die Organisation und die Ausstattung des Rettungsdienstes sich immer weiter verbesserte, hielt die Ausbildung des nichtärztlichen Personals damit nicht Schritt. Zwischen dem medizinisch-technischen Fortschritt einerseits und der fachlichen Qualifikation andererseits entstand eine immer größere Diskrepanz. Man darf nicht vergessen, dass das so genannte 520-Stunden-Ausbildungsprogramm nur als Übergangslösung für das anfangs der 70er Jahre gescheiterte Bundesgesetz gedacht war. Der Pragmatismus oder besser gesagt die Unvollkommenheit dieses Programms zeigte sich vor allem darin, dass die Ausbildung über Jahre hingestreckt werden konnte, weil man sie auch den Ehrenamtlichen ermöglichen wollte. Obwohl für jeden offenkundig war, dass es auf Dauer mit diesem 520-Stunden-Programm nicht weitergehen konnte, gab es vor allem beim Deutschen Roten Kreuz nicht unerhebliche Widerstände gegen die Schaffung eines gesetzlichen Berufsbildes. Man fürchtete vor allem, dass Ehrenamtliche nicht mehr in der Notfallrettung mitwirken könnten. Ich erinnere mich in diesem Zusammenhang noch gut an den Rettungskongress des DRK 1982 in Bremen, als es in dieser Frage zu einer so heftigen Polemik gekommen war, dass der seinerzeitige Bundesarzt des DRK, Prof. Ahnefeld, von diesem Amt zurückgetreten ist.

Während die Organisationen in der Frage der fachlichen Qualifikation des Rettungsdienstpersonals weitgehend auf der Stelle traten, waren es der Verband der Rettungssanitäter unter maßgebender Mitwirkung von Dr. Gorgass und auch die Gewerkschaften, die nicht mehr aufhörten, eine bundesgesetzliche Regelung zu fordern.

In der vom Bund-Länderausschuss Rettungswesen eingesetzten Arbeitsgruppe erarbeiteten wir ein Eckpunktepapier, das weitgehend Grundlage für das spätere Bundesgesetz wurde. Als 1989 das Gesetz über den Beruf des Rettungsassistenten in Kraft trat, war ein Durchbruch in einer über 10-jährigen Diskussion erreicht. Letztlich musste dieses Gesetz nicht so sehr gegen den Widerstand der Kostenträger, sondern einzelner maßgebender Funktionsträger der Hilfsorganisationen durchgesetzt werden. Sie hatten es zu verantworten, dass dem im Rettungsdienst tätigen hauptamtlichen Personal das gesetzliche Berufsbild und damit eine fachlich fundierte Ausbildung, die soziale Anerkennung und der berufliche Aufstieg, über Jahre hinaus verweigert wurden.

So wichtig die Schaffung des gesetzlichen Berufsbildes des Rettungsassistenten war, inhaltlich konnte das Gesetz kaum befriedigen, weil - sollte sein Scheitern verhindert werden - auf zu viele Interessen Rücksicht genommen werden musste. Im Einzelnen waren das:

das Selbstverständnis der Hilfsorganisationen als ehrenamtlich verfasste Gemeinschaften; ihre heterogene Personalstruktur bestehend aus Hauptamtlichen, Ehrenamtlichen und Zivildienstleistenden; die Krankenkassen, die in einer Höhergruppierung infolge qualifizierterer Ausbildung eine enorme Kostensteigerung sahen; die Weigerung der meisten Bundesländer, die Ausbildung mitzufinanzieren.

Im Grunde haben wir bis heute nur eine 1-jährige Ausbildung, die mit einer staatlichen Prüfung abschließt; das sich anschließend praktische Ausbildungsjahr ist weitgehend bezahlter Einsatzdienst. Die extensive Übergangsregelung, die nicht nur die hauptamtlich Tätigen, sondern auch fast alle ehrenamtlichen Rettungssanitäter zu Rettungsassistenten überleitete, führte dazu, dass heute 12 Jahre nach Erlass des Rettungsassistentengesetzes erst ca. 20 % des so genannten eingesetzten Personals die gesetzliche Regelqualifikation besitzt. Wenn kein Wunder geschieht, wird es weitere 20 Jahre dauern, bis alle Beschäftigten die geschilderte 2-jährige Ausbildung haben, die bereits bei ihrem Erlass als unzureichend galt.

Der andere Handlungsschwerpunkt der zweiten Hälfte der 80er Jahre betraf die Zunahme privater Leistungsanbieter, zunächst beschränkt auf den Krankentransport, später auch in der Notfallrettung. Drei Faktoren waren es, die diese Entwicklung begünstigten:

Die bestehende Rechtslage, festgelegt im Personenbeförderungsgesetz, die an die Zulassung zum Verkehr mit Krankenkraftwagen lediglich subjektive, von jedermann zu erfüllende Voraussetzungen verlangte. Das für Notfallrettung und Krankentransport in ganz Bayern einheitliche Benutzungsentgelt. Die Veränderungen im Krankenhauswesen. Während früher die über den Tag verteilten Transporte ins Krankenhaus im Vordergrund standen, kulminierten nunmehr die Krankentransporte nach Hause, zur Verlegung oder zur stationären Untersuchung zu bestimmten Zeiten. Auf diese Bedarfsspitzen war die Vorhaltung der Organisationen nicht ausgerichtet. Es fehlte aber auch das Bewusstsein für ein flexibles Reagieren.

Bayern war es, das mit einer Bundesratsinitiative versuchte, im Personenbeförderungsgesetz - ähnlich wie bei der Zulassung von Taxen - eine Art Bedarfsprüfung einzuführen. Dies scheiterte im Bundestag aufgrund des Votums der Bundesregierung, die eine solche Regelung als wettbewerbsfeindlich ansah. Für sie bedeutete mehr Private mehr Wettbewerb und damit Kostensenkung. Da für die Notfallrettung, die ausschließlich vorhaltebezogen organisiert sein muss, um jeden Bürger, gleich wo er lebt, die gleichen Rettungschancen zu eröffnen, dieses Votum nicht nachvollziehbar war, gab sich Bayern mit diesem Scheitern nicht zufrieden und beschloss eine erneute Bundesratsinitiative. Ihr Ziel war es, das Personenbeförderungsgesetz so zu ändern, dass künftig die Länder und nicht der Bund für die Zulassung zum Verkehr mit Krankenkraftwagen zuständig sein sollten. Damit hatten sie es in der Hand, selbst zu regeln, ob sie eine Bedarfssteuerung einführen wollten oder nicht.

Bei aller Bescheidenheit bin ich auf diese letztlich erfolgreiche Initiative noch heute stolz, weil es erstmals gelang, den Bund zum Verzicht auf eine von ihm bisher wahrgenommene Gesetzgebungskompetenz zu bewegen. Unbeschadet des sachlichen Inhalts war es ein verfassungspolitischer Erfolg, der einen überzeugten Föderalisten besonders freut. Da nunmehr nach einer 2-Jahres-Frist das bisher einschlägige Bundesrecht außer Kraft trat, mussten die Länder ihre Rettungsdienstgesetze erheblich ändern und eine Regelung über die Zulassung zum Verkehr mit Krankenkraftwagen aufnehmen. In Bayern erfolgte dies durch das Rettungsdienstgesetz vom 10. 8. 1990, das am 1. 1. 1991 in Kraft trat.

Damit bin ich jetzt bei den 90er Jahren angelangt. Lassen Sie mich kurz die wichtigsten Essenzials dieses Gesetzes nennen:

Regelung der Zulassung des Verkehrs mit Krankenkraftwagen verbunden mit der Einführung einer Art Verträglichkeitsprüfung. Verankerung des so genannten Separationsmodells, d. h. private Unternehmer bieten ihre Leistungen außerhalb des öffentlichen Rettungsdienstes an. Umfassende Regelung des Notarztdienstes unter Berücksichtigung der bisherigen „KV-Strukturen”. Verankerung des Leitenden Notarztes. Regelung der fachlichen Anorderungen an das im Rettungsdienst tätige nichtärztliche Personal. RTW und NAW müssen mindestens mit einem Rettungsassistenten und KTW mit mindestens einem Rettungssanitäter besetzt sein.

Die Tatsache, dass das Gesetz einstimmig vom Bayerischen Landtag verabschiedet wurde, darf nicht zu der Annahme führen, es wäre unumstritten gewesen. Schärfster Kritiker war der damalige Präsident des Bayerischen Roten Kreuzes. Ihm ging es im Wesentlichen um die Schaffung einer, verfassungsrechtlich problematischen, objektiven Zulassungsschranke für private Leistungsanbieter, mit dem Ziel, sie faktisch weitgehend von der Durchführung von Notfallrettung und Krankentransport auszuschließen. Gleichzeitig verlangte er andererseits, die Hilfsorganisationen von jeglicher staatlicher Genehmigung und Kontrolle des Rettungsdienstes freizustellen. Vehement wehrte er sich gegen die Umsetzung des Rettungsassistentengesetzes in Bezug auf die Besetzung der Fahrzeuge, obwohl ausreichende Übergangsfristen vorgesehen waren.

Gerade was das Rettungsdienstpersonal anbetraf, hat man sich viel zu lange mit nur halben Lösungen abgefunden. Die vorrangige Mitwirkung Ehrenamtlicher und nicht die im Interesse der Notfallpatienten notwendige fachliche Eignung stand als apodiktische Forderung viel zu lange im Raum. Aus diesem Grunde verlangte man vom Gesetzgeber, nur solche fachliche Anforderungen an die personelle Besetzung der Rettungsmittel zu stellen, die auch von Ehrenamtlichen erfüllt werden konnten. Auf einen einfachen Nenner gebracht lautete die Devise „so viel ehrenamtliche Kräfte wie möglich und so viele hauptamtliche wie nötig”. Bei allem Respekt vor der Leistung Ehrenamtlicher im Rettungsdienst, für die es nach wie vor erhebliche Mitwirkungsmöglichkeiten gibt und auch geben muss, wollte man einfach nicht einsehen, dass für eine professionell durchgeführte Notfallrettung neben dem Notarzt auch hochqualifiziertes nichtärztliches Personal notwendig ist. Ich möchte nicht verschweigen, dass Prof. Sefrin in dieser Zeit, als stellvertretender Landesarzt des BRK, innerverbandlich an die Grenzen seiner Möglichkeiten stieß. Aufgrund dieser seinerzeitigen mangelnden Professionalität in der hauptamtlichen Führungsebene der größten bayerischen Hilfsorganisation begann Bayern seine bisher führende Stellung und Vorreiterrolle innerhalb der deutschen Länder zumindest zeitweise zu verlieren.

Gegen diese Entwicklung versuchte auch die agbn gegenzusteuern, indem sie 1993 ein umfangreiches Konzept zur Verbesserung der Notfallmedizin in Bayern vorlegte; fokussiert wurden vor allem auf:

die Alarmierung, in dem die Schaffung einer eigenen einheitlichen 3-stelligen Notrufnummer für den Rettungsdienst, analog 110 und 112, gefordert wurde; die Kommunikationsschnittstelle zwischen Leitstelle, Fahrzeug und Krankenhaus; die verstärkte ärztliche Mitsprache; die Einführung von Qualitätssicherung und Effizienzkontrollen.

Um eine entscheidende Strukturschwäche in den Leitstellen zu lösen, finanzierte der Staat in der Folgezeit die Ausstattung aller bayerischen Leitstellen mit Einsatzleitrechner; kurz Projekt „ARLIS” genannt. Damit ist Bayern bis heute das einzige Land in Deutschland, das über eine einheitliche EDV- und Kommunikationsausstattung seiner Leitstellen verfügt. Dagegen scheiterte die Schaffung einer eigenen Notrufnummer für den Rettungsdienst mehrfach in der Innenministerkonferenz, vor allem deshalb, weil die meisten anderen Länder dafür keine Notwendigkeit sahen, da bei ihnen der Rettungsdienst über die Notrufnummer 112 alarmiert wird.

Die 90er waren durch die exorbitante Steigerung der Betriebskosten des Rettungsdienstes geprägt. In der Zeit von 1989 - 1992 stiegen in Bayern diese Kosten - ohne Luft-, Berg- und Wasserrettung - von 164 Mio. DM auf 323 Mio. DM. Mit der Anstellung von nur hauptamtlichem Personal, tarifvertraglicher Arbeitszeitverkürzung und Höhergruppierung waren diese Steigerungen nicht mehr zu erklären. Die Steigerung der Betriebskosten des Rettungsdienstes hatte in erster Linie strukturelle Ursachen, nämlich:

dem Auseinanderfallen von Entscheidungs- und Finanzierungszuständigkeit; dem Selbstkostendeckungsprinzip; dem Fehlen eines modernen betriebswirtschaftlichen Personalmanagements; der fehlenden Kosten- und Leistungsrechnung.

Der Bundesgesundheitsminister nahm nunmehr auch die Kosten des Rettungsdienstes unter die Lupe. Im Gesundheitsstrukturgesetz 1992 wurde ein Kostendeckel festgelegt, damals 3,1 %, der den Kostenträgern verbot, darüber hinausgehende Benutzungsentgelte zu vereinbaren. Da aber in Bayern 1993 die Kostensteigerung nach Angaben der Hilfsorganisation bei 14 % lag, blieb nichts anderes übrig, als eine Gesetzeslücke zu nutzen und die Benutzungsentgelte durch Rechtsverordnung entsprechend der tatsächlichen Gesamthöhe festzulegen. Dass dies zu heftigen Reaktionen seitens des Bundesgesundheitsministers führen musste, lag auf der Hand. Er warf den Hilfsorganisationen unwirtschaftliches Handeln vor und forderte unter Hinweis auf die privaten Leistungsanbieter auch für den Rettungsdienst einen freien Wettbewerb. Schließlich drohte er mit der Einführung von Festbeträgen. Damit war der Rettungsdienst unversehens zu einem verfassungsrechtlichen Streitgegenstand zwischen dem Bund und den Ländern geworden, denn letztere sahen darin einen Eingriff in ihre Gesetzgebungszuständigkeit.

Die weitere Kostenentwicklung und das Versagen des so genannten Separationsmodells des Jahres 1990 in Bezug auf die Privaten machten rasches staatliches Handeln unabdingbar. So kam 1997 ein neues Rettungsdienstgesetz zustande, das zwar auch von Kompromissen geprägt ist, aber in wesentlichen Punkten endlich Neuland betrat:

In der Notfallrettung gibt es keinen Dualismus mehr zwischen öffentlichem Rettungsdienst und privaten Unternehmern. Es wird für diesen Bereich ein Verwaltungsmonopol begründet. Die privaten Unternehmer werden, soweit sie dafür die Voraussetzungen erfüllen, in dieses System integriert. Die von den Hilfsorganisationen in einer Art rechtlichen Grauzone durchgeführten privaten Sonderfahrdienste werden beseitigt. Die Intensivtransporte werden einer gesetzlichen Regelung zugeführt. Die Position der Kostenträger wird durch Einführung eines Schiedsstellensystems gestärkt. Qualitätssicherung und das Qualitätsmanagement werden gesetzlich verankert. Der Ärztliche Leiter Rettungsdienst wird zur Erprobung eingeführt.

Damit bin ich praktisch bei der Gegenwart angekommen. Hier sehe ich positive Entwicklungen.

Die heutigen Verantwortlichen in der Führung der größten bayerischen Hilfsorganisationen stehen den medizinischen und betriebswirtschaftlichen Belangen des Rettungsdienstes weit aufgeschlossener als in der Vergangenheit gegenüber. Dafür gebührt ihnen Anerkennung aber auch Ermutigung, diesen Weg fortzusetzen. Die medizinischen Fakultäten beginnen sich in der Notfallmedizin stärker zu engagieren. Insoweit hat der Lehrstuhl in Würzburg Partner bekommen. Zu nennen sind der „Arbeitskreis Notfallmedizin und Rettungswesen (ANR)” sowie das TQM-Zentrum an der Ludwig-Maximilians-Universität in München, das Rettungszentrum an der Universität in Regensburg und die wissenschaftlichen Arbeiten am Institut für Anästhesiologie der Universität Erlangen. Die sehr erfolgreiche Erprobungsphase des „Ärztlichen Leiters Rettungsdienst” wird dazu führen, dass künftig in allen Rettungsdienstbereichen die ärztliche Führungsverantwortung verankert werden wird. Die Schaffung von Qualitätsmanagementstrukturen auf allen Ebenen des Rettungsdienstes. Die Zunahme des individuellen Fortbildungsstrebens des nichtärztlichen Rettungsdienstpersonals.

Insgesamt gesehen, ist davon auszugehen, dass in Zukunft der Rettungsdienst viel stärker ärztlich geprägt sein wird als in der Vergangenheit. Das Gros des nichtärztlichen Personals, das nicht selten allein gelassen wurde, ist dankbar für diese Entwicklung. Und was mir am wichtigsten erscheint, der Notfallpatient - der eigentlich die Hauptperson sein sollte - wird wieder stärker in den Mittelpunkt treten.

Als Professor Sefrin sich vor fast 30 Jahren der Notfallmedizin verschrieben hat, wusste er nicht, wie sich dieses damals noch kleine Pflänzchen Rettungsdienst, das im Laufe der Zeit oftmals von Wind und Wetter gebeutelt wurde, entwickeln würde. Heute ist die Notfallmedizin die dritte, nicht mehr wegzudenkende Säule der Medizin neben der stationären und ambulanten Versorgung. Dass es dazu gekommen ist, ist - ohne das Verdienst anderer Notfallmediziner zu schmälern - seinem unermüdlichen Engagement, aber auch seiner Überzeugungskraft zu verdanken. Als Wegbegleiter über mehr als zwei Jahrzehnte hinweg möchte ich Ihnen dafür Dank sagen, aber Sie gleichzeitig bitten: Machen Sie weiter, die Notfallmedizin braucht Sie.

Ministerialdirigent a. D. Dr. Heinrich Klingshirn

Bindingstraße 8

82131 Stockdorf