Pneumologie 2001; 55(12): 543-545
DOI: 10.1055/s-2001-19106
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Pneumokokkenschutzimpfung

Protective Vaccination Against PneumococciT. Schaberg
  • Zentrum für Pneumologie - Diakoniekrankenhaus Rotenburg
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Publication Date:
17 December 2001 (online)

In ihren Impfempfehlungen vom Juli 2001 empfiehlt die ständige Impfkommission am Robert Koch-Institut (STIKO) die Pneumokokkenschutzimpfung als Indikationsimpfung für Personen über 60 Jahre, Kinder, Jugendliche und Erwachsene mit erhöhter gesundheitlicher Gefährdung in Folge einer Grunderkrankung im Sinne eines angeborenen oder erworbenen Immundefektes sowie bei chronischen Krankheiten, worunter auch Krankheiten der Atmungsorgane fallen [1]. Als dritte Indikationsimpfgruppe gelten Frühgeborene vor der 38. Schwangerschaftswoche sowie Kinder mit einem Geburtsgewicht von weniger als 2500 g und Säuglinge bzw. Kinder mit Gedeihstörungen und neurologischen Krankheiten [1].

Der für Erwachsene empfohlene Impfstoff ist der 23-valente Polysaccharid-Impfstoff, der in der Regel als einmalige intramuskuläre Injektion geimpft wird. Eine Wiederholungsimpfung ist frühesten nach 6 Jahren sinnvoll. Bei den Kindern steht neben dem Polysaccharid-Impfstoff eine zweite Protein-konjugierte Vakzine zur Verfügung. Hergestellt wird diese Vakzine insbesondere im Hinblick auf die Verhinderung einer Pneumokokken-bedingten Meningitis. Sie ist aufgrund des Serotypenmusters allerdings auf den amerikanischen Markt ausgerichtet. Ihr Stellenwert in Deutschland ist zur Zeit noch nicht eindeutig geklärt [1].

Die Impfempfehlung der STIKO äußert sich also hinsichtlich eines Personenkreises von 60 und mehr Lebensjahren sowie hinsichtlich des Personenkreises mit chronischen Erkrankungen der Atmungsorgane eindeutig. Für beide Personengruppen wird die Pneumokokkenschutzimpfung mit der 23-valenten Polysaccharid-Vakzine empfohlen [1].

Trotz dieser eindeutigen Empfehlung ist der Stellenwert der Pneumokokkenschutzimpfung nach wie vor umstritten. Ursächlich hierfür ist vor allem das Fehlen großer randomisierter plazebo-kontrollierter Studien. Im Gegensatz zu der Influenza-Schutzimpfung, bei der eine Fülle von Daten die Wirksamkeit eindrucksvoll sowohl bei älteren Menschen als auch bei Patienten mit chronischen Lungenkrankheiten gezeigt haben [2] [3] [4] [5], sind die zur Verfügung stehenden Daten zur Beurteilung der Effektivität der Pneumokokkenschutzimpfung eher mager.

Relativ unumstritten ist, dass die bisher durchgeführten, überwiegend als Fallkontrollstudien konzipierten Studien gezeigt haben, dass die Pneumokokkenschutzimpfung zu einer Reduktion schwerer Verläufe bakteriämisch verlaufender Pneumokokkeninfektionen führt [6] [7]. Unklar ist hingegen, inwieweit die Schutzwirkung der Impfung einen Nutzen über die Verhinderung dieses insgesamt nicht sehr häufigen Krankheitsbildes hat.

In jüngster Zeit haben insbesondere 3 Studien Anlass für eine erneute Diskussion ergeben.

Es handelt sich einmal um eine Studie, bei der HIV-infizierte Erwachsene in Uganda untersucht worden sind [8]. In dieser doppelblinden randomisierten plazebo-kontrollierten Studie, die im Jahre 2000 im Lancet veröffentlicht worden ist, wurden 1.392 Personen im Alter von 31 +/- 7 Jahren untersucht [8]. 697 erhielten den 23-valenten Pneumokokkenimpfstoff und 695 Personen eine Placeboinjektion. Invasive Pneumokokkenerkrankungen wurden bei 1,4 % der plazebo-behandelten Patienten und bei 2,2 % der mit dem Verum geimpften Patienten beobachtet. Auch hinsichtlich des Zielkriteriums Pneumokokkenerkrankungen insgesamt zeigte sich keine Schutzwirkung, da 2 % der plazebo-behandelten Probanden und 2,9 % der mit dem Impfstoff behandelten Probanden eine Pneumokokkenerkrankung entwickelten.

Ähnlich ernüchternd waren die Daten hinsichtlich der Pneumoniefrequenz, die 3 % in der placebo-behandelten Gruppe und 5,7 % in der mit dem Impfstoff behandelten Gruppe betrug. Die Mortalität war bei beiden Gruppen gleich und lag in Anbetracht der schwierigen Situation HIV-positiver Patienten in Afrika mit 26 % sehr hoch.

Die Autoren der Uganda-Studie folgerten daher auf der Basis der von ihnen erhobenen Daten folgerichtig, dass die 23-valente Pneumokokken Polysaccharid-Vakzine bei HIV-infizierten Patienten in Uganda nicht effektiv ist [8].

Eine zweite wichtige Studie, die zur Zeit diskutiert wird, ist eine Metaanalyse von Moore und Mitarbeitern, die im vergangenen Jahr im British Medical Council Familiy Practice Journal veröffentlicht worden ist [9]. Diese Studie hat allerdings den wesentlichen Nachteil, dass die verschiedenen in Studien geprüften Pneumokokken-Vakzinen (9-valente Vakzine, 11-valente Vakzine und 23-valente Vakzine) subsumiert worden sind. In der Summe kommen die Autoren zu der Ansicht, dass die untersuchten Vakzine-Typen keine so relevante Effektivität haben, dass eine generelle Vakzination größerer Gruppen gerechtfertigt ist [9].

Von besonderem Interesse ist im Zusammenhang mit der Bewertung der Pneumokokken-Vakzine vor allem aber die im Lancet im März des Jahres veröffentlichte Untersuchung von Christenson und Mitarbeitern [10]. In dieser prospektiven Studie wurden 259.627 Personen aus dem Großraum Stockholm, die älter als 65 Jahre waren, aufgefordert, an einem Impfprogramm gegen Influenza und Pneumokokken-Infektion teilzunehmen. Insgesamt entschlossen sich 100.242 Personen die angebotenen Impfungen durchführen zu lassen. Die verbleibenden 159.385 Personen, die nicht geimpft worden sind, dienten als Vergleichskollektiv. Verwendet wurde die 23-valente Polysaccharid-Vakzine sowie der 1998 empfohlene trivalente Influenzaimpfstoff nach den Empfehlungen der Weltgesundheitsorganisation [10]. 76.177 Personen erhielten beide Vakzine, 23.224 nur die Influenza-Vakzine und 841 nur die 23-valente Polysaccharid-Pneumokokken-Vakzine. Als Endpunkte diente die Anzahl der Krankenhauseinweisungen unter den Diagnosen Influenza mit oder ohne Pneumonie, Pneumonie, Pneumokokkenpneumonie und invasive Pneumokokkeninfektion. Darüber hinaus erfolgte eine Analyse der Entlassungsdiagnosen sowie einer Analyse der Gesamttodesfallrate in beiden Gruppen. Die Veröffentlichung im Lancet stellt die Analyse der genannten Endpunkte während der ersten 6 Monate der Studie vom Dezember 1998 bis zum 31. Mai 1999 dar [10].

In der Tab. [1] sind die Gründe für die Krankenhauseinweisung in diesem Zeitraum für die geimpfte und die ungeimpfte Population aufgeführt. Die Daten zeigen deutlich, dass eine Einweisung mit der Diagnose Influenza mit oder ohne Pneumonie, Pneumonie, Pneumokokkenpneumonie oder invasive Pneumokokkeninfektion im ungeimpften Kollektiv in der Regel doppelt bis dreimal höher war.

Tab. 1 Krankenhauseinweisungen zwischen dem 1. 12. 1998 und dem 31. 5. 1999 (modifiziert nach 10) Einweisungs-Diagnose Anzahl (Todesfälle) geimpftn = 100 242 ungeimpftn = 159 385 Influenza 132 (5) 386 (9) Pneumonie 1102 (62) 2468 (236) Pneumokokken Pneumonie 32 (2) 80 (6) Invasive Pneumokokken-Infektion 10 (1) 33 (8)

Bezogen auf die Entlassungsdiagnosen stellen sich die Daten, wie die Tab. [2] ausweist, ähnlich dar. In der Analyse der Todesfälle bezogen auf verschiedene Alterskohorten (65 - 74 Jahre, 75 - 84 Jahre, >85 Jahre) ergab sich ebenfalls ein interessanter Befund. Danach war die Rate der Todesfälle pro Tausend, bedingt durch alle Ursachen in allen vakzinierten Alterskohorten in der Regel nur halb so hoch wie in den unvakzinierten Alterskohorten. In der Summe ergab sich eine Mortalitätsreduktion von 57 % mit einem Vertrauensintervall von 55 - 60 % (p < 0,0001) [10].

Tab. 2 Entlassungsdiagnosen (modifiziert nach 10) Entlassungs-Diagnose Anzahl geimpft ungeimpft Reduktion p Influenza 263 484 46 % <0,0001 Pneumonie 2199 3097 29 % <0,0001 Pneumokokken Pneumonie 64 100 36 % 0,0290 Invasive Pneumokokken-Infektion 20 41 52 % 0,0386

Auf den ersten Blick wirken die dargestellten Daten imposant. Eine Mortalitätsreduktion im geimpften Kollektiv um 50 % und eine Einweisungsreduktion um ebenfalls mindestens 50 % scheinen für sich zu sprechen. Betrachtet man allerdings die Reduktion der Endpunktereignisse in Relation zu den Absolutzahlen, muss man Zweifels ohne konstatieren, dass die prozentual hohen Reduktionsraten die Situation günstiger erscheinen lassen als wenn man die Fallzahlreduktion in Relation zu den großen Gesamtkollektiven betrachtet.

Auf diesen Kritikpunkt geht in einem Rundschreiben des Bundes Deutscher Internisten Ausgabe 8/9 des Jahres 2001 F. Meyer vom Institut für Klinische Pharmakologie in der Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg ein [11]. In seiner Übersicht errechnet Meyer die sog. number-needed-to-treat Werte (NNT-Wert) für die Impfung. Er kommt dabei zu dem Ergebnis, dass zur Verhinderung einer Einweisung wegen Influenza 452 Personen geimpft werden müssen, zur Verhinderung einer Einweisung wegen Lungenentzündung 111 Patienten, zur Verhinderung einer Pneumokokkenpneumonie 2770 Patienten und zur Verhinderung einer invasiven Pneumokokkenerkrankung 4762 Patienten.

Hinsichtlich der Mortalitätsreduktion betragen die entsprechenden NNT-Werte für die 65 - 75 Jahre alten Patienten 139, für die 75 - 84 Jahre alten Patienten 50 und für die mehr als 85 Jahre alten Patienten 20 [11]. Im Zusammenhang mit einer Übersicht über die in Uganda durchgeführte Studie sowie die Metaanalyse von Moore und Mitarbeitern schlussfolgert Meyer, dass es bisher keinen Beleg dafür gibt, dass eine Pneumokokkenschutzimpfung in definierten Risikopopulationen sinnvoll ist.

Zweifelsohne bleibt die Bewertung der Effektivität der Pneumokokkenschutzimpfung auch nach der Stockholm-Studie schwierig. Dies gilt sicherlich auch, wenn man berücksichtigt, dass die Kritik von Meyer an der Stockholmer Studie dem Projekt in manchen Bereichen nicht voll gerecht wird, da er in seiner Analyse nicht berücksichtigt, dass die Studie lediglich einen 6-monatigen Beobachtungszeitraum dokumentiert. Somit bezieht sich auch der NNT-Wert, der errechnet wird, auf diesen Zeitraum. Bezogen auf die langfristige Wirkung der Pneumokokkenschutzimpfung von mindestens 6 Jahren ergeben sich hinsichtlich der Absolutzahlen aber vermutlich deutlich günstigere Werte. Es ist daher zu erwarten, dass nach einer Analyse der Daten über einen längeren Zeitraum auch die NNT-Werte günstiger ausfallen werden. Unabhängig von dieser noch durchzuführenden Analyse bleibt allerdings kritisch anzumerken, dass die Stockholmer Studie durch die gemeinsame Betrachtung der Influenza-Schutzimpfung und der Pneumokokkenschutzimpfung keine gute Analyse darüber zulässt, wie groß der Beitrag der einzelnen Schutzimpfungen zu den erreichten Ergebnissen ist. Summarisch kann man vermuten, dass der größte Teil der beschriebenen Morbiditäts- und Mortalitätsreduktion der Influenza-Schutzimpfung zugeschrieben werden muss. Dies steht im Einklang zu den beeindruckenden Daten, die insbesondere in der Arbeitsgruppe um Karen Nichol in den Vereinigten Staaten erhoben worden sind [2] [3] [4] [5].

In der Summe sprechen zum jetzigen Zeitpunkt einige Daten für einen günstigen Effekt der Pneumokokkenschutzimpfung. So lange jedoch keine großen randomisierten plazebo-kontrollierten Studien vorgelegt werden, wird die Pneumokokkenschutzimpfung immer Gegenstand kontroverser Diskussionen sein. Insofern bleibt die persönliche Entscheidung der Ärztinnen und Ärzte gefordert. Bei dieser sollte berücksichtigt werden, dass unsere Möglichkeiten präventiver Ansätze bei Patienten mit ausgeprägten chronisch-obstruktiven Atemwegserkrankungen ansonsten gering sind, wenn man von der klaren Forderung nach einer Einschränkung des Rauchens einmal absieht.

Aus diesem Grunde mag auch ein mäßiger Effekt der Pneumokokkenschutzimpfung Berechtigung genug sein, diese Impfung chronisch lungenkranken Patienten anzubieten.

Literatur

  • 1 Ständige Impfkommission am Robert Koch-Institut . Impfempfehlungen der Ständigen Impfkommission (STIKO) am Robert Koch-Institut/Stand: Juli 2001.  Epidemiol Bull. 2001;  28/2001 203-218
  • 2 Nichol K L, Margolis K L, Wuorenma J, von Sternberg T. The efficacy and cost effectiveness of vaccination against influenza among elderly persons living in the community.  N Engl J Med. 1994;  331 778-784
  • 3 Nichol K L, Lind A L, Margolis K L. et al . The effectiveness of vaccination against influenza in healthy, working adults.  N Engl J Med. 1995;  333 889-893
  • 4 Nichol K L, Wuorenma J, von Sternberg T. Benefits of influenza vaccination for low-, intermediate-, and high-risk senior citizens.  Arch Intern Med. 1998;  158 1769-1776
  • 5 Nichol K L, Baken L, Nelson A. Relation between influenza vaccination and outpatient visits, hospitalization, and mortality in elderly persons with chronic lung disease.  Ann Intern Med. 1999;  130 397-403
  • 6 Shapiro E D, Berg A T, Austrian R. et al . The protective efficacy of polyvalent pneumococcal polysaccharide vaccine.  N Engl J Med. 1991;  325 1453-1460
  • 7 Butler J C, Breiman R F, Campbe I JF. et al . Pneumococcal polysaccharide vaccine efficacy.  JAMA. 1993;  270 1826-1831
  • 8 French N, Nakiyingi J, Carpenter L M. et al . 23-valent pneumococcal polysaccharide vaccine in HIV-1-infected Uganda adults: double-blind, randomized and placebo-controlled trial.  Lancet. 2000;  355 2106-2111
  • 9 Moore RA; Wiffen P J, Lipinsky B A. Are the pneumococcal polysaccharide vaccines effective? Metaanalysis of the prospective trials.  BMC Fam Pract. 2000;  1 110
  • 10 Christenson B, Lundbergh P, Hedlund J, Örtqvist A. Effects of large-scale intervention with influenza and 23-valent pneumococcal vaccines in adults aged 65 years or older: a prospective study.  Lancet. 2001;  357 1008-1011
  • 11 Meyer F. Pro und Contra Pneumokokkenschutzimpfung.  BDI Rundschreiben. 2001;  8/9 23-26

Prof. Dr. T. Schaberg

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