Dtsch Med Wochenschr 2001; 126(51/52): 1479-1480
DOI: 10.1055/s-2001-19211
Fragen aus der Praxis
© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Screening bei hereditärem Pankreaskarzinom

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Publication Date:
20 December 2001 (online)

Frage: Wie in einer Übersichtdiagnostik und Staging des Pankreaskarzinoms im Jahre 2001 in Ihrer Wochenschrift ersichtlich, existieren für das Auftreten des Pankreaskarzinoms auch hereditäre Faktoren.

Eine 68-jährige Patientin mit einer Perniziosa und sonst unauffälligem Befund (insbesondere keine chronische Pankreatitis) weist eine 63-jährige Schwester auf, die aus völliger Gesundheit heraus an einem Pankreaskarzinoms erkrankte und verstarb. Ebenso erkrankte die 61-jährige Mutter an einem Pankreaskarzinom, der Vater am Magenkarzinom, beide sind ebenfalls verstorben. - Welche Möglichkeiten existieren, um das Pankreaskarzinomrisiko bei dieser Patientin abzuschätzen, welche Kontrollen wären sinnvoll?

Antwort: Obwohl umfangreiche Studien zu den Risikofaktoren für die Entstehung eines duktalen Pankreaskarzinoms (chronische Pankreatitis, Diabetes mellitus, Alkohol, fettreiche Diät, Kaffee, aromatische Amine) durchgeführt wurden, galt der Nikotinkonsum lange Zeit als einziger sicherer Risikofaktor [1] [2] . Bis Ende der 80er-Jahre gab es nur vereinzelt Berichte über eine familiäre Häufung des Pankreaskarzinoms [3] [4]. Die Bedeutung hereditärer Faktoren wurde durch eine Fall-Kontroll-Studie [5] untermauert, in der sich bei Patienten mit Pankreaskarzinom signifikant häufiger ein naher Verwandter mit Pankreaskarzinom fand (7,8 %) als bei gesunden Kontrollprobanden (0,6 %). Heute geht man davon aus, das bei bis zu 10 % der Patienten mit einem Pankreaskarzinom - wie im geschilderten Fall - hereditäre Faktoren eine Rolle spielen und dass beispielsweise das Risiko für ein Pankreaskarzinom für einen Patienten mit drei weiteren an einem Pankreaskarzinom erkrankten Verwandten ersten Grades 60× erhöht ist [6].

Im Gegensatz zu sporadischen Pankreaskarzinomen [7] wurden bisher bei Patienten mit familiären Pankreaskarzinomen keine Keimbahnmutationen im K-ras-Onkogen oder im DPC4-(MADH4)-Gen identifiziert. In manchen Pankreaskarzinom-Familien werden gehäuft auch Melanome und Mammakarzinome gefunden, und dieses Tumorspektrum impliziert, dass in diesen Familien Keimbahnmutationen in den bekannten Tumorsuppressorgenen p16 (CDKN2A) [8] [9] bzw. BRCA2 vorliegen könnten [10] [11]. Die Kombination von p16- und K-ras-Mutationen ist als »Molekulare Diagnose« für das Pankreaskarzinom bezeichnet worden [12]. Jedoch lassen die Literaturdaten weder für p16 noch für BRCA2 eine definitive Aussage über die Penetranz des Pankreaskarzinoms in Familien mit p16- oder BRCA2-Mutationen zu, noch kann das wahrscheinliche Erkrankungsalter abgesehen und das erweiterte Tumorspektrum, das mit diesen Mutationen assoziiert ist, beurteilt werden.

Neben dieser familiären Häufung von Pankreaskarzinomen, deren Ursache noch weitgehend unbekannt ist, gibt es einige erbliche Erkrankungen, die zur Entwicklung eines Pankreaskarzinoms prädisponieren. Hierzu zählen die hereditäre Pankreatitis, das hereditäre nicht-polypöse Kolonkarzinom (HNPCC), das Peutz-Jeghers-Syndrom (Mutationen im STK11-Gen), die Ataxia teleangiectatica und das Li-Fraumeni-Syndrom (Mammakarzinom, Weichteilsarkome und andere Neoplasmen).

Bei der hereditären chronischen Pankreatitis, einer autosomal-dominanten Erkrankung mit einer variablen Penetranz von 40 - 80 %, besteht ein kumulatives Karzinomrisiko von 40 - 75 %; bei gleichzeitigem Nikotinkonsum ist das Karzinomrisiko 150 × erhöht [2] [13] [14] . Bei 10 - 20 % der Patienten mit hereditärer Pankreatitis liegen Mutationen im Gen des kationischen Trypsinogens (PRSS1) vor, am häufigsten die autosomal-dominat vererbten Punktmutationen R122H und N29I [15]. Wegen der Schlüsselrolle von Trypsin in der pankreatischen Enzymkaskade wird angenommen, dass diese Mutationen zu einer vermehrten oder verlängerten Trypsinaktivität im Pankreasgewebe und zur nachfolgenden Autodigestion des Organs führen [14]. Bei Patienten mit hereditärem Pankreatitis sind auch Mutationen im Gen des Trypsininhibitors SPINK1 und im Mukoviszidose-Gen CFTR nachgewiesen worden [15], wobei SPINK1-Mutationen keinen Risikofaktor für das Pankreaskarzinom darstellen und das Karzinomrisiko bei Patienten mit CFTR-Mutationen nicht geklärt ist [14]. Obgleich eine große retrospektive Kohorten-Studie von Mukoviszidosepatienten ein erhöhtes Pankreaskarzinomrisiko ergab [16], konnte kürzlich für Träger der häufigen CFTR-Varianten ΔF508 und 5T-Allel kein signifikantes Karzinomrisiko nachgewiesen werden [17].

Eine genetische Diagnostik der hereditären Pankreatitis ist prinzipiell möglich. Sie wird derzeit empfohlen, wenn entweder Verwandte ersten Grades an einer Pankreatitis oder einem Pankreaskarzinom erkrankt sind oder wenn bei einem Patienten vor dem 45. Lebensjahr ein Pankreaskarzinom oder vor dem 25. Lebensjahr eine chronische oder rezidivierende akute Pankreatitis aufgetreten sind und keine anderen Risikofaktoren (z. B. Alkoholabusus) vorliegen [14] [15]. Die im Fall dargelegte Anamnese spricht jedoch gegen das Vorliegen einer hereditären Pankreatitis, die meist im Kindes- und Jugendalter auftritt.

In Familien mit HNPCC, dem Familienkrebs- oder Lynch-Syndrom, treten aufgrund von Keimbahn-Mutationen in DNA-Reparatur-Genen (v. a. MLH1 und MSH2) mit autosomal-dominantem Erbgang gehäuft syn- und metachrone Karzinome von Kolorektum, Endometrium, Ovar und Magen oder des Urothels auf [19]. Die Erkrankung kann in der Regel durch den Nachweis einer Mikrosatelliteninstabilität oder den immunhistochemischen Nachweis des Verlustes der MLH1- oder MSH2-Expression (im Tumorgewebe) gesichert werden; bei 4 - 26 % der Patienten lässt sich ein direkter Mutationsnachweis auf DNA-Ebene führen. Bei diesem Syndrom wurden auch Pankreaskarzinome beobachtet, die wie die anderen Karzinome eine Mikrosatelliteninstabilität aufwiesen und auf MLH1-Keimbahnmutationen zurückgeführt werden konnten [20]. Aufgrund der in der geschilderten Familie aufgetretenen Karzinomerkrankungen könnte im vorliegenden Fall eine Variante des Lynch-Syndroms vorliegen.

Sinnvolle Früherkennungsprogramme bei erhöhtem Pankreaskarzinomrisiko gibt es leider nicht, da eine Früherkennung des Pankreaskarzinoms durch bildgebende Verfahren derzeit nicht möglich ist. Auch die Bestimmung der K-ras- oder p53 -Mutationen im Pankreassekret oder die Messung von Tumormarkern im Serum stellen keine etablierten Früherkennungsmaßnahmen dar. Es existiert jedoch ein Programm zur Erfassung, genetischen Diagnostik und Beratung von Patienten mit erhöhtem familiären Pankreaskarzinomrisiko an der Universität Marburg, die Nationale Fallsammlung für Familiäre Pankreaskarzinome (Tel.: 06 421 - 2 866 745, E-Mail: fapaca@med.uni-marburg.de), an dem die Patientin teilnehmen sollte. Aufbauend auf den Erkenntnissen dieser Fallsammlung sollen Empfehlungen erarbeitet werden, nach denen nicht erkrankte Mutationsträger einem Krebsfrüherkennungsprogamm zugeführt werden. Den Familien wird angeboten, sich über die eigenen Untersuchungsergebnisse und die eventuell daraus resultierenden Konsequenzen zu informieren. Sollte in einer Familie später eine Keimbahnmutation bzw. ein karzinomassoziierter Haplotyp identifiziert werden, können bisher nicht erkrankte Mutationsträger engmaschig überwacht werden.

In einer Studie [21] zur Frühdiagnose und Behandlung von Pankreasdysplasien bei Patienten mit positiver Familienanamnese, bei denen Endosonographie, ERCP und Spiral-CT durchgeführt sowie die Tumormarker CA 19 - 9 und CEA bestimmt wurden, wurden bei 7 von 14 Patienten aufgrund der klinischen und apparativen Diagnostik Pankreasdyplasien vermutet und in der anschließenden (prophylaktischen) Pankreatektomie bestätigt. Obgleich zum jetzigen Zeitpunkt keine bindenden Empfehlungen zu Kontrollen bei Pan-kreaskarzinomrisiko gegeben werden können [1], würden wir uns dem Vorschlag der American Gastroenterology Association anschließen, die ein Screening 10 Jahre vor dem frühesten Auftreten des Pankreaskarzinoms in der jeweiligen Familie mittels Endosonographie, Spiral-CT und CA19 - 9-Bestimmung (alle 6 - 12 Monate) empfohlen hat [13]. Eine prophylaktische Pankreatektomie, die mit Langzeitfolgen sowie einer erheblichen Morbidität und Mortalität (1 - 5 %) behaftet ist, sollte bei suspekten Befunden in diesen und weitergehenden Untersuchungen sorgfältig erwogen werden [9].

Da die Patientin aufgrund der Familienanamnese und der bestehenden Perniziosa auch ein mindestens 2- bis 3fach erhöhtes Risiko hat, an einem Magenkarzinom zu erkranken [22], sind zusätzlich jährliche Gastroskopien mit Biopsien empfehlenswert. Schließlich sollte die Patientin darüber aufgeklärt werden, dass insbesondere Nikotinkonsum die Manifestation des hereditären Pankreaskarzinoms begünstigt.

Literatur

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Dr. med. Yildiz Yildiz
Univ.-Prof. Dr. med. Siegfried Matern
Dr. med. Frank Lammert

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