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DOI: 10.1055/s-2001-19283
Doctor's doctor oder
Player in the game?
Publikationsverlauf
Publikationsdatum:
21. Dezember 2001 (online)
In Abwandlung der britischen Definition eines Butlers (a gentleman's gentleman) ist der (diagnostische) Radiologe einmal von jemand mit Gespür für berufskulturelle Nuancen als „a doctor's doctor” bezeichnet worden. Damit sollte zunächst wohl ausgedrückt werden, dass der Überweiser oder Kliniker den Radiologen für eine angenehme und wirkungsvolle Tätigkeit durchaus braucht und dafür in gewissem Umfang sogar dankbar ist. Es sollte aber auch verdeutlicht werden, dass dem Radiologen bei der Interaktion zwischen Arzt und Patient nur eine ancilläre Rolle zukomme: Der Butler - wenn auch vom Wesen her bemüht, „seinem” Gentleman das Leben zu erleichtern - tritt gewöhnlich erst nach Aufforderung in Aktion.
Egal, ob es aus Temperaments-, Gewohnheits- oder anderen Gründen manche Radiologen gibt, denen es keinerlei Pein bereitet, auch weiterhin die Rolle des „doctor's doctor” zu spielen: es ist an der Zeit, dass die diagnostische Radiologie eine angemessenere Rolle übernimmt, die des „players in the game”. Wenn wir bei britischen Analogien bleiben: Polo wäre das Bei-Spiel. Da mögen zwar manche regelmäßig mehr vorpreschen als andere, aber Tore geschossen werden nur bei geschlossenem Vorgehen eines Teams von Gleichen. Wie wertvoll Radiologen als Mitspieler sein können, haben unsere Überweiser/Kliniker wohl schon erkannt, nur lassen sie's uns noch zu wenig merken.
Diesen Erkenntnisprozess - und damit unsere eigene, weitere Emanzipation - könnten wir verstärkt vorantreiben, wenn wir uns zunächst einmal an die eigene Nase fassten: Sind wir wirklich durchgängig die kompetenten Partner für unsere Überweiser/Kliniker, für die wir uns selber halten? Gesetzt den Fall, dass unsere Untersuchungsmethodik samt Filmdokumentation nicht zu beanstanden wäre, sind unsere Befundberichte wirklich immer das Papier wert, auf dem sie übermittelt wurden? Wimmelt es da nicht - öfter vielleicht als dem Fach gut tut - von vagen Formulierungen und semantischen Hintertürchen, also Fluchtwegen aus der diagnostischen Verantwortung? Und werden berechtigte differenzialdiagnostische Erwartungen nicht allzu leicht abgespeist mit der bundesweit so beliebten Floskel, es handle sich am ehesten um ...?
Diagnostik und Differenzialdiagnostik aber heißt, sich festlegen: Auf die einzige Diagnose, die aus radiologischer Sicht in Frage kommt (und warum); oder auf eine Reihe von möglichen Diagnosen, in der Reihenfolge ihrer Wahrscheinlichkeit (und warum); oder aber auf ein ehrliches „Ich tappe leider im Dunkeln” (aber folgende radiologische Untersuchung könnte weiterhelfen). Wo evidenzbasiertes Wissen, das seinen Namen verdient, vorhanden ist, sollte es eingebracht werden.
Na schön, werden Sie sagen: Aber sind die Überweiser/Kliniker soviel besser? Wie dürftig ist doch häufig die klinische Information, wie unscharf die Fragestellung! Akzeptiert, die mögen tatsächlich nicht „soviel besser” sein als wir (wahrscheinlich sind sie nur genau so gut oder so schlecht). Fakt ist aber, dass unsere Untersuchungsdaten objektiv vorliegen, also jederzeit kompetent nachbefundet oder mit der Wirklichkeit korreliert werden können. Da kann man/frau schnell einmal ganz alt aussehen, was dann wiederum manchen Überweisern/Klinikern viel Spaß bereitet, weil sie ihr (Vor-)Urteil über „die Radiologen” bestätigt finden.
Angesichts des rapide fortschreitenden Wandels in der diagnostischen Radiologie von der Struktur zur Funktion („Paradigmenwechsel”) lauern aber noch größere Gefahren als nur die, nicht ernst genommen zu werden. Die größte Gefahr ist wohl, dass man uns Radiologen die Voraussetzungen für diese neue diagnostische Ära in einigen Kreisen schlichtweg abspricht („Was wissen die schon von Pathogenese, Pathophysiologie, Molekularbiologie usw?”). Ja, was wissen wir schon davon? Wie viel klinisch relevanten Sachverstand haben wir in Wahrheit? Wir glauben doch immer noch ernsthaft, allen unseren Überweisern befriedigende Antworten auf ihre immer spezielleren Fragen liefern zu können. Bewahren wir so die „Einheit unseres Fachs” und verschaffen wir uns so den Respekt, den wir zu verdienen glauben? Wird es nicht eher dazu kommen, dass sich - zunächst nur in bestimmten klinischen Fächern - Bildgebungsspezialisten herausbilden, die mit der radiologischen Methodik ihres Organbereichs, zumal der immer wichtiger werdenden Funktionsdiagnostik, mindestens so vertraut sind wie wir selbst? Und wenn es denn so käme, wäre das so schlimm für die Patienten? (Andere betrachten die Entwicklung nicht notwendigerweise aus dem gleichen Blickwinkel wie wir).
Wie sollten wir auf eine solche Entwicklung reagieren? Auf keinen Fall mit einer Wagenburg-Mentalität! Erfolgversprechend wäre, so meine ich, wenn wir uns als Mitspieler attraktiver machten und die Bereitschaft zeigten zu enger, unmittelbarer Kooperation. Aufgestellt für die Mannschaft wird nur, wer sich hinreichend profiliert und dadurch unverzichtbar macht. Wer bei beschränkter Zeit möglichst viele oder gar „alle” Bretter bohren will, bohrt zwangsläufig nur dünne. Als Neuroradiologe mit Herkunft aus der Radiologie darf ich mir hier den Hinweis erlauben, dass eine krankheitsorientierte „Subspezialisierung” zwar nicht alle Probleme im Umgang mit Überweisern/Klinikern beseitigt, aber doch überwiegend Vorteile bringt.
Sollen sich doch die Grenzen zwischen Radiologen und Klinikern in einigen Spezialbereichen verwischen, wenn dadurch eine bessere (oder überhaupt weiter bezahlbare) Krankenversorgung oder Gesundheitsforschung entsteht und der wechselseitige Respekt wächst! Wer hindert uns denn daran, uns weiter zu diversifizieren und jeweils eingehende Kenntnisse von den Krankheiten des gewählten Spezialbereichs (oder mehrerer Spezialbereiche) zu erwerben? Der Orthopäde wünscht sich mit Recht einen radiologischen Partner (Mitspieler), der seine Sprache spricht und die - vielleicht mit bildgebenden Verfahren zu lösenden - Probleme seines Fachs versteht. Analoges gilt für den Urologen, den Kardiologen, den Neurologen, den ... Es mag ja auch weiterhin sinnvoll sein, die Flagge der diagnostischen Universalität hochzuhalten, etwa im „niedergelassenen Bereich” oder in kleineren Krankenhäusern - so es die demnächst noch gibt. Den Fortbestand vorhandener und die Entwicklung weiterer Spezialkompetenzen, nötigenfalls sogar die Etablierung zusätzlicher Schwerpunkte, darf das aber nicht beeinträchtigen. Sonst bleiben wir Radiologen auf der Ebene der Doktorspiele stecken - oder werden vom Leben bestraft.
Klaus Sartor