Geburtshilfe Frauenheilkd 2001; 61(12): 970-976
DOI: 10.1055/s-2001-19488
Originalarbeit

Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Veränderungen des Beckenbodens in graviditate: Blasenhalstopografie und Muskelfunktionalität. Eine Longitudinalstudie

Changes in the Topography of the Bladder Neck and Pelvic Floor Muscle Functionality During PregnancyR. Lange1 , D. Walther1 , S. Hundertmark2
  • 1 Gynäkologische Gemeinschaftspraxis Dres. Lange/Kiefer, Alzey
  • 2 Zentrum für Urogynäkologie Berlin, Frauenklinik, Universitätsklinikum Benjamin-Franklin, Freie Universität Berlin
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Publication History

Publication Date:
10 January 2002 (online)

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Zusammenfassung

Einleitung

Geburtstrauma und Schwangerschaft sind wichtige pathogenetische Faktoren in der Ätiologie der Stressharninkontinenz. Während zahlreiche Untersuchungen über das Geburtstrauma kontroverse Ergebnisse zeigen, gibt es nur wenige Untersuchungen über die Veränderungen in graviditate, obwohl neuere Arbeiten zeigen konnten, dass die Stressharninkontinenz nicht selten bereits in der Schwangerschaft auftritt. Ziel dieser Arbeit sollte es sein, die topografische Veränderung des Blasenhalses sowie die Funktionalität der Beckenbodenmuskulatur zu untersuchen.

Material und Methode

Bei 38 Schwangeren wurden die Veränderungen des Beckenbodens jeweils in der 10., 20., 30. und 40. Schwangerschaftswoche sowie 6 - 8 Wochen post partum untersucht. Mittels Perinealsonographie wurde die Topografie des Blasenhalses in Ruhe, beim Pressen sowie bei Kontraktion erfasst. Die Funktionalität der Beckenbodenmuskulatur wurde mit dem Introitus-EMG gemessen.

Ergebnisse

Alle Schwangeren dieser Studie zeigten einen signifikanten Deszensus (Dorsokaudalisation) des Blasenhalses im Verlauf der Schwangerschaft sowohl in Ruhe, deutlicher beim Pressen. Der größte Deszensus war vor der Geburt zu beobachten. Nach der Entbindung zeigten einige Frauen eine Progression, andere eine Remission des Deszensus. Das Summationspotenzial des Introitus-EMG sank bereits im ersten Trimenon deutlich ab (p < 0,05) und am stärksten im dritten Trimenon (p = 0,001). Bei den meisten Schwangeren kam es post partum zu einem Wiederanstieg der Werte, die jedoch nicht das Ausgangsniveau erreichten. 11 der Schwangeren gaben eine Stressharninkontinenz an, 6 davon waren bereits ante graviditate inkontinent, darunter eine Nullipara. Drei weitere entwickelten in den ersten 20 Wochen, zwei bis zur 40. SSW eine Inkontinenz. 4 dieser 5 Frauen zeigten entweder einen deutlichen Deszensus oder eine Abnahme der Kontraktilität auf subnormale Werte.

Schlussfolgerung

Bereits im 1. Trimenon der Schwangerschaft kommt es zu einer deutlichen Dystopie des Blasenhalses und einer Abnahme der Funktionalität der Beckenbodenmuskulatur. Die stärksten Veränderungen sind präpartal im 3. Trimenon. Bei einem großen Teil der Schwangeren kommt es im Vergleich zu der präpartalen Situation zu einer Teilremission. Diese Ergebnisse zeigen die Notwendigkeit, diese Veränderungen bereits in graviditate subtil zu diagnostizieren und gezielt zu behandeln, um einer späteren Stressharninkontinenz vorzubeugen.

Abstract

Objective

We studied the topography of the bladder neck and the functionality of the pelvic floor longitudinally during pregnancy.

Methods

Thirty-eight pregnant women were examined in the 10th, 20th, 30th, and 40th weeks of gestation and 4 - 10 weeks after delivery. Perineal ultrasonography was used to image the bladder neck at rest, during Valsalva, and during a pelvic floor contraction. The functionality of the pelvic floor was assessed with electromyography (EMG).

Results

All women had significant descent of the bladder neck over the course of pregnancy. This was seen at rest and, particularly, during straining. The greatest amount of descent was seen before delivery. After delivery descensus progressed in some women and decreased in others. The sum potential of the pelvic floor EMG decreased in the first trimester (P < 0.05) and in the third trimester (P < 0.01). In most women the values increased after delivery, albeit without reaching prepregnancy levels. Eleven of the pregnant women reported stress incontinence; six of these, including one nullipara, reported incontinence before pregnancy including one nullipara). Three further women developed incontinence during the first 20 weeks and two by 40 weeks. Four of these five women showed either marked descensus or decreased pelvic floor contractility.

Conclusions

There are significant changes in the position of the bladder neck and pelvic floor functionality as early as the first trimester. The greatest changes occur in the third trimester. Some, but not all, changes resolve after delivery. It is important to distinguish between impaired muscle function and insufficiency of the connective tissue.