Dtsch Med Wochenschr 2002; 127(4): 164
DOI: 10.1055/s-2002-19699
Fragen aus der Praxis
© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Kompressionstherapie nach tiefer Beinvenenthrombose

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Publikationsdatum:
13. August 2002 (online)

Frage: Die lege artis durchgeführte Kompressionstherapie gilt als unverzichtbare Säule der Therapie tiefer Beinvenenthrombosen. Wie ist jedoch zu verfahren, wenn ein postthrombotisches Syndrom mit farbduplexsonographisch und phlebographisch nachgewiesenen fast vollständigen Verschlüssen der tiefen Leitvenen bis in die Beckenetage vorliegt? Der venöse Abfluss erfolgt über Kollateralgefäßnetze einschließlich pudendaler Venen, die nach proximal Anschluss an die V. iliaca comm. gewinnen. Durch frische Thrombosierung in mehreren Kollateralvenen im Oberschenkel- und Leistenbereich ist es zu einer Schwellung und Überwärmung im gesamten Bein gekommen. Dabei gibt die Patientin kaum Beschwerden an. Die Therapie der wenig kooperativen, uneinsichtigen Frau erfolgt körpergewichtsadaptiert mit niedermolekularem Heparin. - Wäre eine Kompressionsbehandlung (wie von anderen Kollegen empfohlen) nicht sogar gefährlich?

Antwort: Die lege artis durchgeführte Kompressionstherapie gilt neben der Antikoagulation als unverzichtbare Säule in der Therapie der tiefen Beinvenenthrombose, denn sie zielt auf die Verbesserung folgender Parameter:

Beschleunigung des venösen Rückflusses durch Kompression sowohl des oberflächlichen als auch des tiefen Venensystems, was durch phlebographische Untersuchungen dokumentiert werden kann. Beseitigung des subkutanen und intrafaszialen Ödems. Kompression der in den tiefen Beinvenen liegenden Thromben. Hierdurch wird ein verbesserter Kontakt der Thrombusmasse mit dem umgebenden Venenendothel erreicht. Organisationsvorgänge können so früher stattfinden, es wird eine raschere Wandadhärenz des Thrombus erzielt.

Alle drei Behandlungsziele führen zu einer Reduktion des Embolierisikos, zu einer deutlichen Reduktion der Entwicklung eines postthrombotischen Syndroms und verhindern, vor allem durch die Beschleunigung der Blutflussgeschwindigkeit im tiefen Venensystem ein weiteres appositionelles Thrombuswachstum.

Ist nun bei einer 2- oder 3-Etagen-Thrombose eine Kompressionstherapie wegen der Verhinderung des venösen Rückflusses durch Kompression der oberflächlichen Venen kontraindiziert?

Hierzu muss gesagt werden, dass bei einer tiefen Mehretagen-Thrombose trotz suffizienter Kompressionstherapie ein venöser Rückstrom erhalten bleibt. Dies kann phlebographisch dokumentiert werden. Dieser Rückstrom vollzieht sich überwiegend über Kollateralvenensysteme, die nicht das oberflächliche Beinvenensystem beinhalten müssen. Außerdem verändert sich trotz Kompressionstherapie bei Erhöhung der venösen Blutrückstromgeschwindigkeit die venöse Abflusssituation trotz Kompressionseffekt auf das Beinvenensystem nicht. Gerade bei Mehretagen-Thrombosen erscheint es wichtig, den venösen Rückstrom aus den oben beschriebenen Gründen zu optimieren, außerdem kann das für den Patienten subjektiv außerordentlich schmerzhafte erhebliche Ödem bei einer Mehretagen-Thrombose relativ kurzfristig suffizient behandelt werden.

Bei der Patientin liegt bereits ein postthrombotisches Syndrom vor, also muss die tiefe Beinvenenthrombose schon länger zurückliegen.

Prophylaxe und Therapie des postthrombotischen Syndroms beruhen auf zwei therapeutischen Optionen gleichzeitig: zum einen auf der vorbeugenden Kompressionstherapie, zum anderen auf der Vermeidung sekundärer Allergisierung. Standard sowohl der Prophylaxe als auch der Therapie des postthrombotischen Syndroms ist die Kompressionstherapie.

Es muss untersucht werden, wie hochgradig das postthrombotische Syndrom ausgebildet ist. Besteht lediglich das klinische Bild der chronisch venösen Insuffizienz mit Beinödemen, finden sich sekundäre Varizen oder lassen sich Hautpigmentierungen oder gar ein Ulcus cruris bereits nachweisen? Je nach Schwere und Ausprägung des postthrombotischen Syndroms muss eine differenzierte Kompressionstherapie durchgeführt werden. Diese beinhalten Wechselverbände, Dauerverbände mit Pflaster- oder Zinkleimbinden, die spezielle lokale Kompressionstherapie beim Ulcus cruris sowie die Verordnung und Kontrolle von Kompressionsstrümpfen. Jede Kompressionstherapie beginnt in der Regel mit einem Verband und endet mit einem Kompressionsstrumpf.

Die einzige Kontraindikation gegen die Durchführung einer Kompressionstherapie neben einer schweren peripheren arteriellen Verschlusskrankheit mit Knöchelarteriendrucken unter 70 mm Hg ist die Phlegmasia coerulea, da hierbei bereits der arterielle Einstrom durch die Ausdehnung der tiefen Thrombose im gesamten Querschnitt kompromittiert ist. In dieser Situation sind ohnehin konservative Therapiemaßnahmen nicht mehr indiziert.

Das Hauptproblem der Kompressionsbehandlung bei Patienten mit und ohne postthrombotischen Syndroms ist, dass die Langzeitcompliance der Kompressionstherapie nicht über 20 % hinausgeht. Hauptursache hierfür sind nicht nur die verständliche Abneigung des Patienten gegen das Tragen von Kompressionsstrümpfen oder Kompressionsverbänden, sondern in erster Linie wohl die unzureichende Information über den Wirkmechanismus der Kompression, unzureichendes Training des Patienten und zu wenig Kontrollen durch den Arzt. Ein weiteres Problem stellt die bei weit über der Hälfte der Patienten mit postthrombotischen Syndrom nachgewiesene sekundäre Allergisierung dar. Hauptursachen hierfür sind die Verwendung und der sorglose Umgang mit der Verschreibung von Externa.

Im hier vorgestellten Fall bei den phlebographisch nachgewiesenen fast vollständigen Verschlüssen der tiefen Leitvenen bis in die Beckenetage muss aus den oben genannten Gründen eine Kompressionstherapie empfohlen werden. Bevor ein Kompressionsstrumpf nach Maß mit 23-35 mm Hg (Kompressionsklasse II-III) verordnet werden kann, sollten zum Abschwellen des Beines Wechselverbände angelegt werden.

Priv.-Doz. E. G. Siegel

Klinikum Ludwigshafen

67063 Ludwigshafen

Dr. A. Bastian
Prof. Dr. U. R. Fölsch

I. Medizinische Klinik der C.A.U. zu Kiel

24105 Kiel