Aktuelle Urol 2002; 33(1): 46-52
DOI: 10.1055/s-2002-19978
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Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Eine Universität stellt sich vor: Julius-Maximilians-Universität Würzburg

Presentation of an UniversityG.  Keil1
  • 1Institut für Geschichte der Medizin, Universität Würzburg
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Publication Date:
07 February 2002 (online)

Lapis heizet der stein, und wehst etewenne in den lenden, etewenne in der blâsen. ... Tuot einem menschen der stein alsô wê, daz er niht genetzen mac, so lege er sich ein wîl an den rücke, sô vellet der stein von der rören, und netzet dester baz. ... Duo solt ouch merken, als der stein vollen wehset und herte wirt, daz im [nämlich dem Patienten] ân snîden niemant gehelfen mac ...

Wenn die Würzburger Universität in wenigen Monaten feiern wird, dass sie im Herbst 1402 gegründet wurde, so ist dies berechtigt und unbegründet zugleich. Gewiss nimmt sie mit 600 Jahren von der Anciennität her den sechsten Platz unter den deutschen Universitäten ein und steht nach Heidelberg, Köln und Erfurt in der Bundesrepublik an vierter Stelle. Aber es hat sie - zumindest was die Medizin betrifft - schon lange gegeben, bevor ihr im Herbst 1402 die päpstlichen Privilegien verliehen wurden. Und sie ist nach 1427 für nahezu 148 Jahre (wenn man von der Theologie absieht) kaum noch in Erscheinung getreten.

Die eingangs zitierten Zeilen stammen aus dem „Arzneibuch” Ortolfs von Baierland, das in Kapitel 127 die Urolithiasis abhandelt und als chirurgische Maßnahme die Sectio lateralis empfiehlt. Ortolf verfasste sein Lehrbuch um 1280; das sprachliche Kunstwerk des Würzburger „Chirulogen” gehört zu den meistgelesenen Werken medizinischer Weltliteratur, wurde in mehrere Sprachen übersetzt und behauptete sich in Fachkreisen bis weit in die Neuzeit.

In Würzburg hat man das „Arzneibuch” über vier Jahrhunderte benutzt. Berthold Blumentrost, bedeutendster Fachvertreter in der Residenzstadt nach 1300, scheint das Lehrbuch nicht nur gekannt, sondern auch redigiert zu haben. Berühmt geworden ist der gelehrte Arzt insbesondere durch seine hirntopographische Karte, die das Erinnerungsvermögen in den „Hinterkopf” verlegt. Im Gegensatz zu Ortolf schrieb Blumentrost nicht deutsch, sondern bevorzugte als Autor und Diplomat die lateinische Sprache. Erhalten hat sich von ihm ein „Gifttraktat” sowie ein Vorlesungsmanuskript vom Sommer(semester) 1347: Der in Paris und vermutlich auch in Bologna promovierte Mediziner hielt seine Vorlesungen als Scholastiker am Würzburger Stift Haug. Interessiert an Fragen der Zeugung und Keimentwicklung, bedacht auf aristotelische Stimmigkeit des humoralpathologischen Paradigmas, argumentierte er nach dem Quaestionen-Stil, kommentierte die „Embryologie” sowie „Meteorologie” des Stagiriten, und obwohl er mehrfach auf das Schema der dreigestuften „Verdauung” eingeht, hat er weder die Uropoese noch die Harnsteinbildung berührt. Aber das hatte um 1280 ja schon Ortolf von Baierland getan, der die Harnausscheidung als Filtrationsvorgang beschreibt, und zwar in Kapitel 32 seines „Arzneibuchs”: Diu leber ... sendet ... dem herzen eine âder mit dem besten <bluot>; diu lunge ziuht den schûm des bluotes an sich, diu galle daz heize bluot; dar nâch sammelt sich daz in den âderen zuo den nieren unde seihet dâr durch und wirt zuo haren. Dar nâch sô gêt ez mit kleinen æderlîn alsô ein sweiz in die blâsen.

Selbstverständlich hat der hochmittelalterliche Chiruloge sich auch mit der Nephrologie befasst und ist der Frage nach Ausscheidungsmenge, zirkadianen Schwankungen und physiologischen Harnbeimengungen nachgegangen; er hat auf die pathologischen Veränderungen hingewiesen, sie diagnostisch auszuwerten versucht und hat anhand Kairouaner sowie Salerner Quellen einen Diagnoseschlüssel entworfen, der zeigt, wie unter dem Einfluss von Konstitution, Disposition bzw. Erkrankung der harn gestalt sei und wie er außerdem unter Umwelteinflüssen seine gestaltnisse verändere. Die ärztlichen Praktiker sind Ortolfs uroskopischem Diagnoseschema bis in die Neuzeit gefolgt.

Zur Einrichtung einer fürstbischöflichen Hochschule ist es indessen noch im Mittelalter gekommen: Die Universitätsgründung erfolgte 1402; sie hat der Würzburger Heilkunde allerdings keinen nennenswerten Auftrieb gegeben. Die Medizinische Fakultät war so schwach, dass sie sich nur mittelbar nachweisen lässt. Auf jeden Fall hat zwischen Universitätsgründung 1402 und Wiederbelebung des universitären Unterrichts ab 1561 die Würzburger Medizin nicht jenes akademische Niveau halten können, das sie zu Ortolfs und Blumentrosts Zeiten auswies. In den anderthalb Jahrhunderten ruhender universitärer Funktionen ist die Würzburger Medizin freilich nicht untätig geblieben. Das zeigt die „Würzburger Wundarznei”, ein pharmazeutisches Handbuch für Chirurgen, das um 1490 angelegt und anschließend noch erweitert wurde: Es begreift sich als wundärztliche Pharmakopöe, ordnet die chirurgische Materia medica nach Arzneiformen und zeigt Würzburg im Schnittpunkt oberrheinischer wie moselfränkischer Einflüsse, die ihrerseits Impulse aus Böhmen, Österreich sowie Schwaben aufnahmen und sich obendrein mit der autochthonen Ortolf-Tradition vermischten.

Welches Niveau die medizinische Praxis im lutheranischen Würzburg hatte, lässt Walther Hermann Ryffs „Große Chirurgie” erahnen, die 1545 herauskam und im Kapitel Von den wunden des understen bauchs auch die schadigung innerlicher vnd eusserlicher glider ... lengst der macht herab beschreibt, was die Behandlung penetrierender Verletzungen des Urogenitalbereichs einbegreift. Im Vordergrund stehn die Extraktion von Projektilen, die Traumatologie der Wunde und das regelmäßige Spülen mit Spritzen (bzw. die Katheterisierung) der verletzten Hohlorgane Blase und Uterus.

Erheblichen Auftrieb verdankt auch die Zahnheilkunde dem wirkungsmächtigen Würzburger Wissensvermittler: 1548 erschien - verlegt bei Johann Myller in Würzburg - Ryffs „Nützlicher bericht / wie man ... den Mundt / die Zän vnd Biller / frisch / rein / sauber / gesund / starck vnd fest erhalte ⟨⟩” -: der Traktat stellt nach der berühmten „Zähne Arznei” das erste stomatologische Werk dar, das je gedruckt wurde.

Als „der Hochgelehrte Gualterus Hermenius Rivius ..., der artzney Doctor”, 1548 starb und im Würzburger Stephanskloster beigesetzt wurde, konnte zu Recht von ihm behauptet werden, dass er „Deutschland durch zahlreiche Bücher bereichert” hatte. In Würzburg wurde der Wiederaufschwung der Universität - motiviert nicht zuletzt durch die Bücherschätze Burkhards von Horneck und Hans Zellers von Trittenheim („Trithemius”) - ab 1561 greifbar, wo es zu Gymnasial-, Kolleg- und Alumnatsgründungen kommt, nachdem Fürstbischof Konrad von Thüngen (1519 - 40) bei entsprechenden Bemühungen noch durch Reformation und Bauernkrieg behindert worden war. 1575 lässt Fürstbischof Julius Echter die Wiedereröffnung der Universität verkünden, 1576 sind in den Grundlagenfächern 200 Hörer inskribiert, im Januar 1575 wird der Bau des Juliusspitals, des weltersten Universitätsklinikums, begonnen, das vier Jahre später seinen Betrieb aufnimmt; sein ärztlicher Direktor, Wilhelm Schefferlein („Opilio”), wird 1581 bestellt und 1591 zum medizinischen Dekan ernannt; die Medizinische Fakultät tritt jedoch erst zwei Jahre später zusammen und nimmt ihren Unterricht frühestens 1593 auf. Nachdem 1582 vier Kollegien bereitgestellt werden konnten, kommt 1607 mit dem Adeligen Seminar der Hochschulausbau zum Abschluss.

Obwohl die Medizinische Fakultät sich verspätet als letzter der vier Fachbereiche rekonstituiert hatte, erhielt sie durch die Verfügbarkeit ihres „großartigen” Krankenhauses und den klinischen Forschungsauftrag seitens des Landesherrn jedoch einen Auftrieb, wie er in der damaligen Zeit unvergleichlich war und wie er ihr innerhalb weniger Jahre bereits einen Spitzenplatz unter den europäischen Konkurrenz-Einrichtungen sicherte: Gegen 1600 schon vermochte die Würzburger Medizinische Fakultät mit ihren Gelehrten angesehenste Leibarzt- und Hochschulstellen des In- und Auslands zu besetzen; ihre in den Grundlagenfächern erzielten Resultate erlangten weithin Bewunderung und veranlassten Papst und Kaiser, beim Werben um Würzburger Mediziner miteinander zu wetteifern, und kein Geringerer als Giovanni Battista della Porta, Begründer der Accademia de' Segreti zu Neapel, verherrlichte in einem Preisgedicht die Würzburger klinischen Forscher und lobte ihre „bewunderungswürdigen” Leistungen. Die Erfolge in der Experimentalphysiologie, in der Epidemiologie, in der Parasitologie im einzelnen aufzählen zu wollen, würde zu weit führen. Erwähnt seien lediglich zwei Niederfranken, die Julius Echter durch geschickte Verhandlungen hatte gewinnen können: Während er Gottfriedt van der Steighe - 1591 aus Nimwegen mitgebracht - bereits 1598 an Kaiser Rudolf II. verlor, der den gewandten Praktiker in die Reichshauptstadt holte und auf eine Prager Leibarztstelle berief, erwies sich die Anstellung des Brabanter Medizinprofessors Adriaen van Ro(o)men („Romanus”) als dauerhafter: Der mathematisch hochbegabte Löwener zog zahlreiche Jungwissenschaftler nach Würzburg und besetzte mit seinen Schülern - unter ihnen der Bamberger Johann Schmidt („Faber”) - höchstdotierte Leibarztstellen und begehrteste Professuren innerhalb und außerhalb Deutschlands; die bei ihm gearbeiteten Thesen bzw. Dissertationen weckten international Bewunderung und behielten ihre Gültigkeit teilweise bis ins 19. Jh.

Als van Roomen einem Ruf ins Ausland gefolgt war, trat Christoph (Schefferlein-)Upilio ⟨!⟩ seine Nachfolge an. Ebensowenig wie die übrigen Professoren war er in der Lage, die durch den Weggang der beiden Niederfranken gerissene Lücke im Würzburger Lehrkörper zu schließen. Für längere Zeit blieb die Leistung der Würzburger Medizinischen Fakultät schwach: In einem Jahrhundert liefert sie weniger Dissertationen, als Adriaen van Roomen allein innerhalb von zehn Jahren betreut hatte. Die meisten Professoren waren nicht in der Lage, Besonderes zu bieten; keiner von ihnen hinterließ ein gedrucktes Werk. Es vergingen Jahre, in denen sich kein einziger Medizinstudent immatrikulierte; die Höchstzahl jährlicher Neueinschreibungen lag nie über fünf. Das Zentrum medizinischer Forschung verlagerte sich in die philosophische Fakultät, die von der Gesellschaft Jesu getragen wurde: Hier lieferte der Orientalist Athanasius Kircher seine bahnbrechenden Untersuchungen zur Seuchenlehre und Parasitologie, hier hat sich der Mathematiker Caspar Schott als einer der ersten Experimentalphysiologen bewährt und richtungweisende Impulse für den Taubstummenunterricht gegeben. Aber schon die Tatsache, dass Kircher und Schott aus Würzburg fliehen mussten, dass sie ihre Studien zu den Naturwissenschaften, ihre Bemühungen um den Einsatz des Mikroskops in Rom fortsetzten und dass mehr als zwanzig Jahre vergingen, ehe Schott nach Würzburg zurückkehrte, erinnert an die Ereignisse des 17. Jahrhunderts, in dem der Dreißigjährige Krieg die gesamtdeutsche Bevölkerung von 16 auf 5 Millionen zurückgehen ließ. Die Verluste an Menschen und Vieh konnten teilweise erst im 19. Jh. wieder ausgeglichen werden.

Im 30jährigen Krieg hausten von 1631 - 34 die Truppen des Schwedenkönigs Gustav Adolf im Würzburger Hochstift. Am 18. Oktober 1631 richteten sie in der Stadt das Marienberger Blutbad an. Caspar Schott fiel in die Hände plündernder Soldateska; der Dom wurde entweiht. Als schwerer Verlust für die Universität erwies sich, dass die Buchbestände Burkhards von Horneck unzugänglich wurden und dass die Julius-Echter-Bibliothek geraubt und nach Schweden überführt wurde: ihre Schätze lagern bis heute in Upsala. Auf diesem Hintergrund werden die hundert Jahre einer schwachen Medizinischen Fakultät verzeihlich. Im Gegensatz zu Würzburg brach der Lehrbetrieb an anderen deutschen Hochschulen - beispielsweise an der bayerischen Landesuniversität Ingolstadt (jetzt München) - ganz zusammen.

Vom 30jährigen Krieg verschont blieben de Reichsteile, die durch bewaffnete Neutralität sich aus dem Kampfgeschehen hatten heraushalten können: vor allem die nördlichen Niederlande. Hier war es die Reichsuniversität Leyden, die sich - mitgeprägt durch den Zuzug der deutschen Landsmannschaft Paduas - zu einem der weltweit führenden Wissenschaftszentren ausbildete. Ihr Einfluss auf das restliche Reich prägte die medizinischen Fakultäten Göttingens und Wiens und wurde im 18. Jh. auch in Würzburg greifbar.

Die Würzburger Universitätsmedizin des 18. Jahrhunderts steht zunächst im Banne der Leydener Universität. Dabei ergab sich die Umorientierung auf das Neue weniger aus der schwachen Universität als durch Anregungen seitens des Landesherren: die Fürstbischöfe sind es gewesen, die das Leydener Vorbild aufgriffen und in ihrer Residenzstadt zu verwirklichen suchten: Johann Gottfried von Guttenberg baute den juliusspitälischen Garten nach Leydener Muster zum Hortus botanicus aus; Philipp Franz von Schönborn erweiterte - nicht ohne erheblichen Aufwand - die Hörsaalkapazität und das anatomische Arbeitszimmer; der durch Johann Philipp von Greiffenklau erstellte Gartenpavillon wurde unter Philipp Franz' Leitung umgestaltet und nach Leydener Vorbild zum Theatrum anatomicum ausgebaut. Und auch der Stellenplan der Fakultät erfuhr eine Erweiterung, indem zu den fünf Professoren 1724 noch ein Prosektor trat, der gleichzeitig als Chirurg tätig war und den Titel eines juliusspitälischen Oberwundarztes führte. Das juliusspitälische Konvikt zur Begabtenförderung setzte zusätzliche Akzente, und sogar eine Studentenmensa wurde geplant.

Trotz all diesen Förderungsversuchen blieb die Medizinische Fakultät weiterhin unter Fremdbestimmung. Die Maßnahmen wurden von außen an sie herangetragen; zu irgendwelcher Eigendynamik war das Kollegium nicht in der Lage. So nimmt es nicht wunder, dass unter den zahlreichen mainfränkischen Vertretern der Aufklärungsmedizin nur ein einziger herausragt, und diesen einen hat Würzburg in unrühmlicher Weise verulkt: Adam Beringer, Sohn eines Würzburger Medizinprofessors, ist 1695 berufen und in die Medizinische Fakultät aufgenommen worden. Mit dem Ausbau des Botanischen Gartens beauftragt, richtete er beheizte Gewächshäuser ein, unternahm Reisen nach Holland, holte sich Pflanzen von Boerhaave aus Leyden, erfasste die Bestände in gedruckten Katalogen und machte den juliusspitälischen Garten zu einer botanisch führenden, international beachteten Einrichtung. In den 20er Jahren bot der Würzburger botanische Garten annähernd 6000 Pflanzen, und in der weitläufigen, bis zum heutigen Roentgenring ausschwingenden Anlage lustwandelten Würzburger Bürger und begeisterte Fremde zwischen Springquellen und wohlgeordneten Rabatten. Ein besonderes, weithin beachtetes Ereignis war die Blüte des Riesenkaktus Cereus spinosa im Jahre 1717.

Beringer ist geprägt von jener Medizin der Aufklärung, der die Natur in ihrer Formenfülle wie eine Wunderwelt erschien. Aus Freude am Besonderen, Eigenartig-Faszinierenden hatten sich 1652 vier Schweinfurter Ärzte zur Academia naturae curiosorum zusammengeschlossen, die aus Würzburg bald Zuzug erhielt und seit ihrer Breslauer Zeit als kaiserlich-leopoldinische Akademie firmierte. Auch Adam Beringer war von der Faszination durch die Wunder der Natur beseelt und ließ erkennen, dass diese Begeisterung ihn seiner klinischen Tätigkeit und seinem medizinalpolitischen Engagement zu entfremden begann. Besonders angetan hatten es ihm die Versteinerungen des Würzburger Muschelkalks, nach denen er grub und von denen er in feuriger Ergriffenheit zu seinen Studenten sprach. Und derartige Versteinerungen stellten ihm einige Hörer künstlich her, vergruben die falschen Petrifakte auf einer nahen Anhöhe, leiteten den vertrauensseligen Professor zum Grabungsfeld, und der fiel auf den üblen Scherz herein, glaubte an Naturwunder, ließ die Pseudo-Versteinerungen in Kupfer stechen und erzielte mit seinem Buch über die „Lügensteine” internationales Gelächter.

Als Beringer aus der Fakultät ausschied, hatte die Würzburger Universitätsmedizin nichts Nennenswertes mehr zu bieten. Kein Wunder, dass der Unterricht zusammenbrach, dass kein Kommilitone mehr von der Würzburger Hochschulmedizin etwas wissen wollte, dass die Professoren üblicherweise im Kaffeehaus anzutreffen waren und dass die Fakultät im berüchtigten Hexenprozess von 1748 für Besessenheit plädierte. Ein Gutachten, das der Fürstbischof 1758 anforderte, bestätigte den Niedergang der Hochschulmedizin in bedrückender Weise.

Dabei hatte es an bildungspolitischen Maßnahmen nicht gefehlt, und die Landesregierung war nach Kräften bemüht gewesen, die medizinisch-naturkundlichen Fächer aus deren Leistungstief herauszuführen: Sie schuf Instrumente der Begabtenförderung, richtete ein Konvikt ein, plante eine Mensa, erneuerte die Universitätsbibliothek (1726), erweiterte den Stellenplan, berief angesehene Gelehrte und stellte großzügig Reisestipendien zur Verfügung; dem weithin bekannten Mineralienkabinett Bonavita Blanks gewährte sie ihre Unterstützung. Erfolge blieben jedoch aus, so dass der Landesherr begann, um den Fortbestand der Medizinischen Fakultät zu bangen.

Die Voraussetzungen für das Überwinden der Krise erwuchsen der Fakultät indessen nicht von außen, sondern von innen: Der Anstoß zur Wiederaufnahme medizinischen Unterrichts ging bezeichnenderweise von einer Handvoll Studenten aus, die um 1760 in Würzburg zusammentrafen und die sich nicht scheuten, mehrfach beim Rektor vorstellig zu werden, um die erforderlichen Unterrichtsveranstaltungen zu erzwingen. Unter ihnen waren Persönlichkeiten, die als spätere Würzburger Hochschullehrer jene Entwicklung in die Fakultät trugen, die den Übergang ins 19. Jahrhundert einleitete. Meinolf Wilhelm, der erfahrene Kliniker, hat sich zwar im Kampf mit den Institutionen verschlissen und starb 1794, ein Jahr nachdem es ihm gelungen war, die erste Assistenzarztstelle durchzusetzen; aber Karl Kaspar von Siebold, dem leistungsstarken Moselfranken, war es vergönnt, in beinahe fünf Jahrzehnten seines Wirkens (1760 - 1807) die Würzburger Fakultät neu zu prägen und das Schicksal der gesamten Universität mitzubestimmen. Er ist es gewesen, der vom Juliusspital aus die Reformen bewirkte, indem er Berufsordnungen neu gestaltete, das Medizinalrecht änderte; indem er vier neue Kliniken einrichtete, zusätzliche Ordinariate schuf, ein erstes theoretisches Institut erbaute (1788), den ersten modernen Operationssaal gestaltete; indem er pathologisch forschte; indem er hochmotivierte Operationszöglinge - darunter seine vier Söhne - um sich scharte: Wie leistungsfähig das Würzburger Universitätsklinikum unter Karl Kaspar von Siebolds Aegide war, hat sich 1796 (vor grade zweihundert Jahren) gezeigt, als der deutsche Oberkommandierende Erzherzog Karl in der Schlacht von Würzburg die Revolutionstruppen besiegt und beim Letzten Hieb den Franzosen einen Vorgeschmack auf Waterloo gegeben hatte: Würzburg - die ganze Stadt ein einziges Lazarett mit Hunderten, ja Tausenden Verwundeter! Und im Zentrum des Ganzen das Juliusspital mit seinen Universitätskliniken höchster Leistungsstufe: ein triumphaler Sieg modernster Therapie über traumatologische Herausforderungen des Krieges! Nicht nur das Hochstift, nicht nur die deutschen Staaten -: ganz Europa war beeindruckt von organisatorischem Können sowie Leistungsstärke der Würzburger Medizin und ihrer Kliniken. Es gab internationale Ehrungen, Auszeichnungen, Orden höchster Klasse und eine Erhebung in den Reichsritterstand für die leitenden Ärzte des Würzburger Klinikums. Die Würzburger Medizin mit ihrem beispielhaften Krankenhaus wurde weltbekannt. Und sechs Jahre später war es das Juliusspital, das der Universität das Überleben sicherte:

Selbstverständlich hatte die Alma Julia eine angesehene Juristische Fakultät vorzuweisen. Im wesentlichen ist es jedoch das Juliusspital gewesen, das der Hochschule die Auflösung des Hochstifts zu überstehen half: Juliusspital und Medizinische Fakultät bildeten eine Symbiose: Dass die Universität die Aufteilung des Herzogtums Franken überdauerte, dass sie der Nichtigkeitserklärung von 1802 trotzte und nicht wie ihre Konkurrentinnen Bamberg und Altdorf aufgelöst wurde, verdankt sie dem Aufschwung ihres Klinikums und der Tatsache, dass sie das Juliusspital als ihr Attribut ausweisen konnte: Eine Hochschule zu schließen, die ein derart berühmtes Universitätsklinikum vorweisen konnte, erschien selbst dem kurbayerischen Hof in München als ein Ding der Unmöglichkeit.

Die Würzburger Medizinische Fakultät war mit Glanz und herausragenden Neuerungen ins 19. Jahrhundert getreten. Neben dem weltersten Operationssaal bot es die fachliche Verselbständigung einer operativen Gynäkologie, die Eröffnung der ersten Universitäts-Frauenklinik, die Etablierung der Psychiatrie in einer eigenen Klinik, die das no-restraint bei Irren praktizierte (lange bevor man in Paris daran dachte); vom Juliusspital aus war der Hebammenunterricht akademisiert worden, hatte man mit dem Einführen einer Kranken-Pflichtversicherung begonnen, hatte man die Chirurgie an die Universität rückgegliedert; im juliusspitälischen Garten konnte man ein theoretisches Institut bewundern, das mit seinen hochmodernen Anbauten Würzburg in die vorderste Front des wissenschaftlichen Zweckbaus rückte und täglich zahlreiche Schaulustige anlockte. Und selbstverständlich wurde von den Würzburger Chirurgen und Frauenärzten auch die Urologie gepflegt. Das reicht vom Absetzen des „penis carcinomatosis” über Behandlung und Pathologie eitriger Prostatitis bis zum „glücklich verrichteten Steinschnitte”, den Karl Kaspar von Siebold trotz erfolgreich praktizierter Symphysiotomie (1778) konventionell vom Beckenboden aus anging (Abb. [1]): Der Patient ist fixiert in gespreizter Hochstellung auf einem Operationstisch nach Poot/Hawkins(/Stromayr); der Operateur benutzt das zweischneidige Messer zur Sectio lateralis; das Operationsbild von 1785 zeigt außerdem einen Assistenten, der den Hodensack anhebt, und einen zweiten, der den Katheter bereithält. - Karl Kaspar von Siebold beherrschte das Verfahren so gut, dass er sich nicht scheute, am selben Patienten nach erneuter Konkrementbildung den Eingriff zu wiederholen. Er ging vor nach der „neuen Manier mit der großen Geräthschaft”, bei der die Inzision perineal über der Führungsfurche eines längsgekerbten Katheters erfolgte. Nicht all seine urologischen Operationen sind ihm geglückt; bei hypospadischer Fistel hatte er unterhalb der Fistel die Harnröhre durch einen Längsschnitt eröffnet, ohne die Stenose dadurch beheben zu können: Das prächtig in Kupfer gestochene Sektionspräparat demonstriert eine urethrale Invagination als stenosebedingende Ursache und zeigt die vom Harnstau aufgetriebenen Harnleiter sowie einseitig ein erweitertes Nierenbecken (1795) (Abb. [2]).

Nachdem zwei von Siebolds Söhnen in Würzburg als Professoren operativer Fächer gestorben waren (1798; 1816) und die übrigen beiden wegberufen waren (1815) bzw. auswärts eine Anstellung gefunden hatten, verlor die Würzburger Hochschule den Charakter einer Familienuniversität und hörte auf, als „Academia Sieboldiana” in Erscheinung zu treten.

Von der bayerischen Staatsregierung zurückhaltend und erst ab den 1830er Jahren gefördert, versuchte die Universität, unter Ägide der Medizinischen Fakultät die Einbußen zu kompensieren, die sie durch den Verlust ihrer Stellung als Landesuniversität erlitten hatte, wobei sie insbesondere auf hohe Hörerfrequenz und entsprechende Hörergelder setzte. Zunächst war es der Physiologe Ignaz Döllinger, der mit seinen Studien zur Vergleichenden Anatomie und seinen Forschungen zur Keimentwicklung zahlreiche Studenten nach Würzburg holte und weitreichende Impulse setzte: Zu seinen Schülern zählen Lorenz Ockenfuß („Oken”), der die „Bildung des Darmkanals” beschrieb; Christian Pander, der mit seinen Untersuchungen zur Keimblattentwicklung erfolgreich war; Karl Ernst von Baer, der 1827 in Königsberg das Säugetierei entdeckte und 1845 beobachtete, dass die Kernteilung der Zellteilung vorausgeht -: zahlreiche von seinen Anregungen hat Theodor Boveri Ende des Jahrhunderts wieder aufgegriffen.

Zu den Schülern Döllingers gehört auch Johann Lukas Schönlein, der als wortgewaltiger Kliniker den größten Lehrerfolg aller Würzburger Professoren erzielte; zeitweise waren allein bei ihm 600 Hörer inskribiert (und das zu einer Zeit, wo alle sieben preußischen Universitäten insgesamt nicht mehr als 7000 Studenten auf sich vereinten): der hervorragende Diagnostiker hatte sich der naturhistorischen Betrachtungsweise angeschlossen, was ihn zum ontologischen Krankheitsbegriff führte und Kleinstlebewesen als Krankheitserreger entdecken ließ (Achorion schoenleinii, 1839). Die Studenten begeisterte er vor allem mit seiner Krankheitssystematik.

Nachdem Schönlein infolge der Juli-Revolution 1832 an Zürich verlorengegangen war, ist die Universität von 1837 - 83 - über ein halbes Jahrhundert - durch Franz von Rinecker geführt worden, der als genialer Wissenschaftsorganisator die Geschicke nicht nur der Medizinischen Fakultät, sondern der ganzen Hochschule bestimmte (Bibliotheksreform 1850; Berufung des Lexikographen und Altgermanisten Matthias Lexer 1868, der sein bis heute grundlegendes mittelhochdeutsches Wörterbuch ab 1869 erscheinen ließ). Rinecker sind die Berufungen von Kölliker und Virchow zu verdanken, er holte von Recklinghausen nach Würzburg, setzte in der Frauenheilkunde auf die Prager Schule (Kiwisch, Scanzoni), baute die Poliklinik aus und eröffnete die welterste Universitäts-Kinderklinik; mit Johann Joseph von Scherer, dem Begründer der Klinischen Chemie, war er befreundet. Der Nervenheilkunde verhalf er zu ihrem ersten Ordinariat (⟨1854⟩ 1862) und erwirkte ihre Anerkennung als akademisches Prüfungsfach (1862); zu seinen psychiatrischen Schülern zählen Emil Kraepelin, Hubert Grashey, Conrad Rieger und Hermann Emminghaus; zu seinen klinischen Schülern gehören Alois Geigel, Adolf Kußmaul sowie der seinerzeit führende Pädiater Carl Gerhardt. Mit Rudolf Virchow, Franz von Leydig und Albert Kölliker hat Rinecker das neue biologische Paradigma, die „Cellularpathologie” (1856), entworfen und das Konzept der Molekularbiologie angedacht (1855); dem Chirurgen Cajetan von Textor hat er assistiert.

Und bei Textor ist von Rinecker unweigerlich auch mit der Urologie konfrontiert worden, denn mit den Harnkonkrementen und deren Zertrümmerung bzw. Extraktion hat sich der Würzburger Chirurg von 1813 bis 1852 - über vierzig Jahre seines Lebens - befasst: sei es, dass er sie nach der Gruithuisenschen Methode zu perforieren suchte; sei es, dass er sie mit dem Hawkinschen Gorgeret zu zerteilen trachtete; sei es, dass er bei „einem ungewöhnlich großen Blasensteine ... <die> sectio rectovesicalis” anwandte; sei es, dass er die physiologische Kontraktibilität der Blase in lithotriptischer Hinsicht zu nutzen erwog. Und natürlich hat er sich auch mit jenen Stein(fragment)en auseinandergesetzt, die er „nach gemachter Operation der Lithotomie ... nicht auffinden” konnte. Insgesamt weist sein Schriftenverzeichnis sieben urologische Titel aus, die etwa ein Zehntel des gesamten Oeuvres ausmachen und von denen zwei als Monographien selbständig erschienen sind.

Im Würzburg des 19. Jahrhunderts ist das Cortische Organ entdeckt worden, haben Johann Georg und Bernhard Heine die operative Orthopädie entwickelt (Monthyon-Preise 1835/36 und 1838), wurden - lange vor Paris - durch Anton Müller die Irren von ihren Ketten befreit. Es wurde die Spezialisierung vorangetrieben, und man hat zahlreiche Fächer erstmal durch Professuren bzw. Lehrstühle ausgewiesen: die Zahnheilkunde (1809), die Pathologie (1817/45), die Physiologie (1803), die Orthopädie (1844), die Psychiatrie (1854/62) und die Geschichte der Medizin (1896).

Die Physiologie der Jahrhundertwende ist vor allem mit herz- und kreislauf-bezogenen Arbeiten hervorgetreten (Bezold-Jarisch-Reflex 1867; Fick'sches Prinzip 1872). Trotz der sinnesphysiologischen Leistungen Max von Freys († 1923) und der physiologisch-chemischen Analysen Dankwart Ackermanns († 1965) sind die innovativen Ergebnisse der Genetik, Diagnostik sowie allgemeinen Biologie jedoch außerhalb der Medizinischen Fakultät erarbeitet worden und mit Namen wie Röntgen (Nobelpreis 1901), Wilhelm Wien (Nobelpreis 1911), Emil Fischer (Nobelpreis 1902), Julius Sachs, Theodor Boveri, Hans Spemann (Nobelpreis 1935) und Klaus von Klitzing (Nobelpreis 1985) verbunden.

Zwischen den Weltkriegen hat sich die Medizinische Fakultät vom Juliusspital gelöst und ist ins großzügig neuerbaute Luitpold-Krankenhaus umgezogen (1924). Sie ist in dieser Zeit durch den Hygieniker Karl Bernhard Lehmann hervorgetreten, der Toleranzwerte im Arbeitsschutz einführte; sie entwickelte durch Ferdinand Flury die Gewerbetoxikologie und konnte durch Fritz König die Osteosynthese als klinisches Verfahren durchsetzen. 1934 wurde an Königs chirurgischer Klinik die Neurochirurgie verselbständigt und Wilhelm Tönnis mit der Leitung der ersten neurochirurgischen Abteilung Deutschlands beauftragt.

1857 hatte die Fakultät ihren Mentor Rinecker getadelt und „für schuldig” befunden, an einer nicht einwilligungsfähigen „Person ... wissenschaftliche Experimente” durchgeführt zu haben. Aus dieser Tradition ergibt sich ihre Haltung in nationalsozialistischer Zeit: Gegen das „Institut für Vererbungswissenschaft und Rasseforschung”, das - als „Rassenpolitisches Amt der Gauleitung Mainfranken” vorgeprägt - ihr 1934 aufgezwungen wurde, hat sie sich jahrelang gewehrt, so dass die unerwünschte Einrichtung erst 1939 eröffnet werden konnte; und schon 1942 gelang es der Fakultät, die rassenpolitischen Aktivitäten durch Berufung des Humangenetikers Günther Just zu kompensieren und das Rasseforschungs-Institut in ein „Erbbiologisches Institut” umzugestalten. - 1939 erfolgte unter Umgehung der universitären Vorschlagsliste nach Intervention der „Kanzlei des Führers” die Berufung des langjährigen Oberarztes Werner Heyde als Ordinarius für Psychiatrie, der unter dem Tarnnamen „Aktion T 4” die Tötung dementer Patienten organisierte. - Diese „geheime Reichssache” wurde 1947 durch den Nürnberger Ärzteprozess publik; Heyde konnte untertauchen und war bis zu seinem Freitod 1959 unter dem Namen Sawade als forensisch-psychiatrischer Gutachter tätig. - Die Wernecker Experimente Georges Schaltenbrands waren zwar schon 1946 Gegenstand eines Verfahrens; durchgeführt an unmündigen Patienten, sind sie aber erst Ende der 90er Jahre in ihren unethischen Dimensionen bekannt geworden.

Durch den Besuch der Royal Airforce am 16. März 1945 wurde die Lazarettstadt Würzburg schwer getroffen: bei Kriegsende waren Stadt und Universität zerstört. Die Medizinische Fakultät musste mit großer Improvisation neu beginnen. Es gelang, dass schon 1945 die Zahl der ambulant Behandelten die 100 000er-Grenze überschritt, und 1946 konnten bereits 1170 Patienten stationär aufgenommen werden. Der neu berufene Chirurg Werner Wachsmuth (1946) begründete einen geregelten Klinikumsbetrieb, und mit der Berufung des emigrierten Internisten und Hypertonie-Forschers Ernst Wollheim (1948) gewann die Fakultät wieder wissenschaftlichen Anschluss. Mit dem Operationsmikroskop Horst Wullsteins (berufen 1955) sowie dessen Tympanoplastik entstanden erneut Leistungen von Weltgeltung. Wullstein gelang es auch, mit seinem neuartigen Kopfklinikum einen organzentrierten Klinikenverbund zu realisieren, der - wie seinerzeit schon das Juliusspital - weltweit Beachtung fand und mit seinem Konzept im (grade im Bau befindlichen) Chirurgischen Zentrum fortwirkt.

Parallel dazu vorangetriebene Pläne, das 1854 unter Kölliker und Virchow im „Kollegienhaus” geschaffene Biozentrum nachzugestalten und unter gemeinsamer Verwaltung alle biologisch-vorklinischen Einrichtungen in eínem Gebäude zu vereinen, wurden vor allem von Ernst Helmreich verfochten, konnten wegen Mittelkürzung 1992 aber nur in rudimentärer Gestalt auf dem Hubland verwirklicht werden: Das entsprechende Gelände war vor 1960 durch Horst Wullstein erworben und zwecks Erweiterung der Medizinischen Fakultät dem Freistaat überlassen worden. Auf jeden Fall begegnet im Biozentrum ein zuerst in Würzburg entwickelter Prototyp fächerübergreifender Forschung.

Eine wichtige Stärkung deutschen Forschens wurde mit dem Konzept der Sonderforschungsbereiche erzielt. In Würzburg ist der erste 1971 vom Zahnmediziner Fritz Bramstedt gegründet worden (SFB 92 „Biologie der Mundhöhle”). Die schon durch ihn erarbeiteten molekularbiologischen Ergebnisse wurden vor allem durch molekular ausgerichtete Grundlagenfächer aufgegriffen, was zur Einrichtung weiterer Sonderforschungsbereiche führte: SFB 105 „Cytologische Grundlagen der experimentellen Biochemie” (Eberhard Wecker, 1973), SFB 165 „Genexpression in Vertebratenzellen” (Eberhard Wecker, 1984), SFB 172 „Kanzerogene Primärveränderungen” (Dietrich Henschler, 1985), SFB 176 „Signalübertragung und Stofftransport in Membranen” (Ernst Helmreich, 1985), SFB 226 „Wissensorganisierende und wissensvermittelnde Literatur im Mittelalter” (Norbert Richard Wolf/Gundolf Keil, 1984), SFB 355 „Pathophysiologie der Herzinsuffizienz” (Kurt Kochsiek, 1993), SFB 465 „Entwicklung und Manipulation pluripotenter Zellen” (Ulf Rapp, 1996), SFB 479 „Erregervariabilität und Wirtsreaktion bei infektiösen Krankheitsprozessen” (Volker ter Meulen, 1998) und schließlich der SFB 487 „Regulatorische Membranproteine” (Martin Lohse, 2000). Zusammen mit Forschergruppen, Interdisziplinären Zentren, Graduiertenkollegs, Nachwuchsgruppen und dem Akademie-Projekt „Verfasserlexikon” (Kurt Ruh/Gundolf Keil, 1973 - 2003) hat sich die Medizinische Fakultät damit ein deutlich forschungsorientiertes Profil erarbeitet.

Geprägt wurde dieses Profil nicht zuletzt durch die Würzburger Urologie: 1904 konnte Max Hofmeier auf der Würzburger Sitzung der „Fränkischen Gesellschaft für Geburtshülfe und Gynäkologie” durch das Verfahren der Chromozystoskopie erstmals eine ureterale Funktionsstörung (infolge parametraner Infiltration eines Gebärmutterhalskrebses) diagnostizieren; 1938 regte Carl Joseph Gauss seine Mitarbeiter Franz Hoff und Theodor Carl Neff zu den ersten brauchbaren Farbaufnahmen der menschlichen Harnblase an, die Alfred Gütgemann in Bonn zum Weiterführen der endoskopischen Farbphotographie veranlassten; Walter Stöckels bahnbrechende „Gynäkologische Urologie” war im selben Jahr in der Würzburger Universitätsdruckerei hergestellt worden. Eine Abteilung für Gynäkologische Urologie wurde durch Max Burger bereits 1950 eingerichtet und dem Breslauer Chirurgen Horst Kremling übertragen (Extraordinariat 1978), der die afebrile Pyelitis gravidarum beschrieb (1952) und richtungweisende Arbeiten zur Diagnostik und operativen Stressinkontinenz vorlegte; seine vor 13 Jahren in Wien und Baltimore erschienene „Geschichte der gynäkologischen Urologie” zeigt höchstes Niveau und ist bis heute nicht überholt; seine 1977 in Erstauflage erschienene „Gynäkologische Urologie und Nephrologie” wurde in zahlreiche Sprachen übersetzt und behauptete sich anderthalb Jahrzehnte als Marktführer.

Auch Fritz König, der Ernst-von-Bergmann-Schüler, hat sich ab 1904 wiederholt mit Fragen der urologischen Diagnostik, Konkrementbildung, Physiologie und Pathologie befasst, wobei seine „Erfahrungen in der Chirurgie der Harnwege” (1907) eine breite operative Palette aufscheinen lassen. Sein Oberarzt Ernst Seifert ist ihm in dieser Hinsicht gefolgt. Zur Einrichtung einer urologischen Abteilung mit vier Assistenten ist es jedoch erst 1966 unter Werner Wachsmuth gekommen.

Ernst Kern hat diese Abteilung in die Selbständigkeit entlassen, 1971 wurde der neu geschaffene urologische Lehrstuhl mit Hubert Frohmüller besetzt. Die urologische Klinik und Poliklinik mit 3 Operationssälen wird im Dietrich-Gerhardt-Haus des Luitpoldkrankenhauses untergebracht. Als eine der ersten Kliniken setzte sie extrakorporale Stoßwellen zur Steinzertrümmerung ein (ESWL 1984). 1997 folgte auf dem urologischen Lehrstuhl in Würzburg Hubertus Riedmiller, der von 1990 bis 1997 den urologischen Lehrstuhl an der Philipps-Universität Marburg innehatte. Durch ihre operativen Standards hat die Klinik nationale und internationale Anerkennung gefunden, wesentliche Schwerpunkte liegen auf den Gebieten der Uroonkologie, der plastisch-rekonstruktiven Urologie - insbesondere der kontinenten Harnableitung und des Blasenersatzes - sowie auf dem Gebiet der Kinderurologie.

Erwartungsvoll sieht die urologische Klinik mit 18 Ärzten dem für Herbst 2003 geplanten Umzug in den derzeit enstehenden Neubau für die operativen Fächer entgegen.

Abb. 1 K. K. v. Siebold: Patient in Steinschnitt-Lage (1785).

Abb. 2 K. K. v. Siebold: Urethrale Invagination (1795).

Prof. Dr. med. Dr. phil. G. Keil

Institut für Geschichte der Medizin der Universität Würzburg

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