Viszeralchirurgie 2002; 37(1): 1
DOI: 10.1055/s-2002-20332
Editorial
© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Laudatio

LaudatioH.-P.  Bruch
  • 1Klinik für Chirurgie, Medizinische Universität Lübeck
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Publication Date:
26 February 2002 (online)

Fritz Stelzner, geboren 1921 in Oberlohma im Kreis Eger, ist 80 Jahre. Grund genug, innezuhalten und über Leben und Werk eines Mannes nachzudenken, dem ich mich bewusst seit 50 Jahren verbunden weiß, der für mich stets Mentor und mir freundschaftlich zugewandter Ratgeber war und ist.

Im ersten Kapitel seiner Lebenserinnerungen „Lebenswellen, Lebenswogen eines Chirurgen” zitiert Fritz Stelzner Fanconi mit den Worten: „Gewöhnung, Suggestion und Verallgemeinerung schaffen eine nur scheinbare Wahrheit”. Die heteronome Gewöhnung oder Gewohnheit, die uns, wie Wilhelm Schmid sagt, von der Wahl entlastet und dem Individuum die Möglichkeit eröffnet, sich von all dem führen zu lassen, was in Gewohnheiten immer schon entschieden ist, war und ist Fritz Stelzner suspekt. Trägt diese heteronome Gewohnheit doch die Möglichkeit des unwidersprochenen Irrtums in sich - ein Irrtum, der in therapeutische Handlungsanweisungen münden kann. Stelzner hat diese in der operativen Disziplin als „symbolische Chirurgie” apostrophiert.

So nimmt es nicht wunder, dass er sich während seiner gesamten wissenschaftlichen Laufbahn den genuinen anatomischen Grundlagen der chirurgischen Disziplin gewidmet hat. Damit geriet er nicht selten in Konflikt mit ehernen Vorstellungen, die über Jahrzehnte, ja teilweise noch sehr viel länger, in Lehrbüchern der Anatomie und der operativen Disziplinen propagiert wurden. Gegen den Trend der Zeit, der über die Zellorganelle zur Enzymchemie und schließlich zur Molekularbiologie führte, unterzog er die gängigen Vorstellungen der viszeralen Abschlusssysteme und der Grenzlamellen einer eingehenden Prüfung. Er bediente sich dabei der vergleichenden Anatomie, mit deren Hilfe es gelingt, wie er sagt, „die anatomischen Gebilde zu entdecken, die beim Tier manchmal so bizarr auffallen, dass wir sie dann beim Menschen, obwohl verborgen, auch sehen können”. Unser Urahn, der Quastenflosser Latimeria, mit dem unterschiedlich angelegten Schließmuskelsystem des Enddarmes beim männlichen und weiblichen Geschlecht oder der Prachtfink, dessen Zunge den Idealtypus eines Schwellkörpers repräsentiert, seien hier als beeindruckende Beispiele für die Nachhaltigkeit der Aussage genannt. Die akribische Beobachtung anatomischer Strukturen und ihre Aktion während der funktionellen Beanspruchung hat unsere Vorstellungen vom Schluckakt, von den Abschlusssystemen des Intestinaltraktes bis hin zur anatomischen Form und Funktion des Plexus haemorrhoidalis wesentlich beeinflusst. Stelzner hat unsere Sichtweise der anorektalen Fisteln, des Sinus pilonidalis und der abszedierenden und fistelnden Erkrankungen, aber auch des Rektumprolaps, der Beckenbodeninsuffizienz und der analen Inkontinenz wesentlich mit geprägt. Sein ganz besonderer Verdienst aber liegt sicher darin, uns die Grenzlamellen am Hals, im kleinen Becken und im Retroperitoneum aufgezeigt zu haben, die er als Barriere zwischen dem viszeralen und dem somatischen Menschen bezeichnet. Sie begrenzen Verschieberäume und Spalten, durchzogen von zerreißlichen Bindgewebslamellen, die nur winzige Gefäße enthalten und von vegetativen Nerven und Lymphspalten weitgehend gemieden sind. Diese Verschiebeschichten, die sich besonders dem laparoskopisch tätigen Chirurgen unter vielfacher Vergrößerung erschließen, sind von überragender Bedeutung für blutarmes und tumorchirurgisch korrektes Operieren, grenzen sie doch die wichtigen Kompartimente gegeneinander ab.

Die „Viszeralchirurgie” ehrt mit dieser Ausgabe einen begeisternden akademischen Lehrer, einen großen Wissenschaftler und Chirurgen.

Prof. Dr. H.-P. Bruch

Klinik für Chirurgie, Medizinische Universität

Ratzeburger Allee 160

23538 Lübeck

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