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DOI: 10.1055/s-2002-30683
Zum Tode von Caspar Kulenkampff
On the Death of Caspar KulenkampffPublication History
Publication Date:
21 May 2002 (online)
Als Kulenkampff am Rande der 25-Jahr-Feier zur Psychiatrie-Enquete gefragt wurde, ob er denn mit dem bisherigen Ergebnis der Psychiatriereform in Deutschland persönlich zufrieden sei, meinte er: Im Großen und Ganzen ja, allerdings hätte man schon in den 70er Jahren die eine oder andere Anstalt besser sofort geschlossen, als sie aufwändig zu restaurieren. Die dazu notwendige „Nervenkraft für den Systemwechsel”, wie die Frankfurter Allgemeine Zeitung am 22. 11. 2000 anlässlich des mit der Feier einhergehenden Kongresses „25 Jahre Psychiatrie-Enquete - das nahe Ende der Sonderkrankenhäuser” titelte, habe jedoch damals niemand aufgebracht, auch er selbst nicht.
Wahrscheinlich wäre daran das Unternehmen Psychiatrie-Enquete wegen der sehr unterschiedlichen Interessenlagen der daran Beteiligten auch gescheitert, weil es strukturell auf Konsens und nicht auf Streit angelegt war. Streit zwischen den Krankenhauspsychiatern und den frei praktizierenden Nervenärzten, Streit zwischen den „Psychiatern” und den „Psychotherapeuten”, Streit zwischen den „Anstaltspsychiatern” und der damals noch kleinen Gruppen derjenigen, die die konsequente Einbindung der stationären Versorgung in die Allgemeine Medizin forderten (Stichwort: Abteilungspsychiatrie), Streit um den Erhalt der Sonderrolle der Universitäten oder ihre konsequente Einbeziehung in die regionale Versorgungsverpflichtung, Streit schließlich mit den Landschafts- und Landeswohlfahrtsverbänden der Länder um die Frage der kommunalen oder suprakommunalen Trägerschaft. Hinter all dem stand immer die Frage nach der (langsamen) evolutionären Weiterentwicklung des „bestehenden Systems” oder der, wie es damals hieß, „systemsprengenden” Umgestaltung der bisherigen Versorgungsstrukturen. „Umwandlung” oder „Auflösung”, das war in den 70er und 80er Jahren die Frage, die so manchen unter den damals Jüngeren umtrieb.
Caspar Kulenkampff war zu jener Zeit der einzige Psychiater in der Republik, dem man zutraute, die divergierenden Interessen auszubalancieren und das darin liegende Konfliktpotenzial prospektiv fruchtbar zu machen. Seine beruflichen Voraussetzungen hierfür konnten nicht besser sein.
Nach seiner Habilitation an der Universität Frankfurt (1957) und dem zeitgleich damit einhergehenden Aufbau der ersten Tages- und Nachtklinik in Deutschland, wurde er nach der Emeritierung seines Stiefvaters Zutt kommissarisch zum Klinikchef bestellt, bevor er - beeinflusst von der französischen „psychiatrie de secteur” - 1967 auf den Lehrstuhl nach Düsseldorf berufen wurde. Als Psychiater ist man damit gemeinhin am Ende der Karriereleiter angekommen und kann die Annehmlichkeiten des damit verbundenen Lebens genießen. Nicht so Kulenkampff. Nach '68 war auch die Psychiatrie in Bewegung geraten und Kulenkampff setzte sich, ohne zu zögern, an ihre Spitze. Kaum Ordinarius geworden, wechselte er 1970 in die Politik und wurde Leiter der Abteilung Gesundheitspflege des Landschaftsverbandes Rheinland. Jetzt unterstanden ihm alle rheinischen Großkliniken, die er in den zwölf Jahren seiner Amtszeit nach Kräften verkleinerte und reformierte. Der unter seiner Federführung erstellte „Rahmenplan zur Versorgung psychisch Kranker und geistig Behinderter im Rheinland” war die Folie, auf die in den Jahren 1971 - 1975 die Psychiatrie-Enquete für die gesamte Bundesrepublik geschrieben wurde.
Dass Kulenkampff 1971 Vorsitzender der Enquete-Kommission wurde, war politisch sowie psychiatrie-politisch unstrittig und ein Glücksfall für unser Fach. Zusammen mit dem im Jahre 2000 verstorbenen CDU-Bundestagsabgeordneten Walter Picard und Heinz Häfner, dem früheren Direktor des Zentralinstituts in Mannheim, hatte Kulenkampff die Strategie zur Erstellung der Psychiatrie-Enquete Ende der 60er Jahre „ausgeheckt” (Häfner) und von da an das Projekt zielstrebig vorangetrieben. Als das voluminöse Papier 1975 der Bundesregierung übergeben und anschließend im Parlament diskutiert wurde, war die praktische Psychiatriereform schon lange auf den Weg gebracht und durch vielfältige außerparlamentarische Initiativen abgesichert worden. Die davon wichtigste war und ist zweifellos die „Aktion Psychisch Kranke”, deren Vorsitzender damals Walter Picard war, während Kulenkampff bis zu seinem Ausscheiden aus dem Vorstand im Jahre 1992 der Motor und das Herz des Ganzen blieb.
Dabei waren große Worte oder Gesten nicht seine Sache. Sein Engagement blieb immer handfest und konkret, und ganz auf das persönliche Schicksal psychisch kranker Menschen bezogen. Deswegen auch wurde ihm 1992 das Bundesverdienstkreuz erster Klasse verliehen und im Dezember 2001 der Ehrenvorsitz der „Aktion Psychisch Kranke” angetragen.
Am Ende seines Lebens stellte er rückblickend fest, er habe den von ihm schon früh gewollten Mentalitätswandel von einer in den 50er Jahren vorgefundenen kustodialen zu einer personenbezogenen und therapeutischen Prinzipien verpflichteten Psychiatrie ein wenig mit vorangebracht. Caspar Kulenkampff hat mehr als dies getan. Ohne ihn wären wir heute noch weit entfernt von diesem Ziel. Am Karfreitag, dem 29. März 2002, ist Kulenkampff im Alter von 81 Jahren in seinem Haus in Hamburg verstorben.
Für die Herausgeber:
Manfred Bauer, Offenbach