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DOI: 10.1055/s-2002-32020
© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York
Von der EURATOM-Norm zu den Novellen der Strahlenschutz- und Röntgenverordnung
From the EURATOM basic safety standards to the new radiation protection and Y-ray ordinancesPublication History
Publication Date:
04 June 2002 (online)

Die Internationale Strahlenschutzkommission ICRP hat in ihren Empfehlungen Nr. 60 aus den Jahren 1990 das Strahlenrisiko höher bewertet, als es sich aus den bisherigen Risikoabschätzungen ergab. Grundlage dafür waren neuere epidemiologische Analysen der Überlebenden von Hiroshima und Nagasaki. Die Europäische Kommission machte 1996 diese Empfehlungen der ICRP zur Grundlage der EURATOM-Grundnorm 96/29 und gab - darauf basierend - im Jahre 1997 auch die EURATOM Medizin-Richtlinie 97/43 heraus. Die Deutsche Bundesregierung war aufgefordert gewesen, die deutschen Regelwerke des Strahlenschutzes bis zum 13. März 2000 der EURATOM Grundnorm von 1996 anzupassen. Dieser Termin wurde - was die Strahlenschutzverordnung betrifft - überschritten, da die Novelle dieser Verordnung erst mit dem 01. 08. 2001 in Kraft trat. Parallel zur Novelle der Strahlenschutzverordnung wurde auch die Novelle der Röntgenverordnung in Angriff genommen. Nicht zuletzt bedingt durch die Verlagerung der Zuständigkeit für die Röntgenverordnung aus dem Bereich des Innenministeriums in das Umweltministerium ergaben sich nicht unerhebliche Verzögerungen. Nun liegt aber auch ein vom Kabinett verabschiedeter Entwurf der Röntgenverordnung vom 13. 03. 02 vor, der voraussichtlich in wenigen Wochen in Kraft treten wird. Als Besonderheit zur Röntgenverordnung ist anzumerken, dass hier auch Artikel enthalten sind, die an der Strahlenschutzverordnung Korrekturen und Änderungen vornehmen.
Wesentliche Vorgaben der EURATOM Grundnorm 96/29, die in deutsches Strahlenschutzrecht umgesetzt werden mussten, sind:
Verwendung des von der ICRP in der Empfehlung Nr. 60 vorgegebenen Berechnungsverfahrens zur Bestimmung der effektiven Dosis (neue Wichtungsfaktoren), Übernahme des Grenzwerts der effektiven Dosis von 1 mSv/a für die Bevölkerung und 20 mSv/a für beruflich exponierte Personen, Überwachung auch nicht beruflich exponierter Personen ab 1 mSv/a, Tätigkeitsverbot für Schwangere im Kontrollbereich erst ab 1 mSv/a, Erfassung von „Arbeiten” bei erhöhter natürlicher Exposition, Neue Definition der Strahlenschutzbereiche (Kontrollbereich ab 6 mSv/a), Nichtanwendung der Grenzwerte für „helfende Personen”.
Die im Vergleich zur bisherigen Strahlenschutzverordnung aus dem Jahr 1989, die 91 Paragraphen umfasste, mit 117 Paragraphen und detaillierteren Regelungen wesentlich umfangreichere neue Strahlenschutzverordnung weist gegenüber der Vorläuferversion die Besonderheit auf, dass sie Teile enthält, die bisher in der Richtlinie Strahlenschutz in der Medizin geregelt waren. Grundlage dafür sind die Vorgaben der Medizinrichtlinie EURATOM 97/43. Im Einzelnen betrifft dies vor allem folgende Punkte:
Rechtfertigung durch individuelle Indikationsstellung, Prüfung von Expositionen zu Forschungszwecken, Einführung von Referenzwerten zur Optimierung, Aktualisierung der Strahlenschutz-Fachkenntnisse, Erstellung von Standardanweisungen, Erarbeitung von Empfehlungen für Überweisungskriterien, Hinzuziehung eines Medizinphysik-Experten, Einführung von „klinischen Kontrollen” (z. B. in Form einer Ärztlichen Stelle).
Kurz zusammengefasst enthält die neue deutsche Strahlenschutzverordnung, die am 01. 08. 2001 in Kraft trat, folgende besonders hervorzuhebende Regelungen:
Grundsatz der Rechtfertigung der Anwendung radioaktiver Stoffe oder ionisierender Strahlen, auch in der Medizin, Verminderung der Dosiswerte für Einzelpersonen der Bevölkerung von 1,5 auf 1 mSv im Kalenderjahr, Verminderung der Dosis strahlenexponierter Personen von 50 auf 20 mSv im Kalenderjahr, aber Beibehaltung der Lebensalterdosis von 400 mSv, Dosisbegrenzungen für Organe und Gewebe, Besondere Grenzwerte zum Schutz des ungeborenen Lebens bei beruflich strahlenexponierten Arbeitnehmerinnen, Notwendigkeit der Hinzuziehung des Medizinphysik-Experten auch im diagnostischen Bereich, Neue Strahlenschutzanforderungen bei Expositionen von Arbeitskräften aus natürlichen Strahlenquellen (so auch beim fliegenden Personal), Schutz der Bevölkerung bei der Beseitigung und Bewertung von Rückständen. Regelmäßige Aktualisierung der Fachkunde im Strahlenschutz, Freigabe radioaktiver Stoffe unter bestimmten Voraussetzungen (dabei darf die effektive Dosis für Einzelpersonen der Bevölkerung 10 mSv nicht überschreiten), Weitgehende Übernahme der Freigrenzenregelung und der Dosiskoeffizienten aus den EURATOM-Regelungen und von ICRP.
Was die ebenfalls erforderliche Novelle der Richtlinie Strahlenschutz in der Medizin betrifft, so liegt ein vom Länderausschuss Strahlenschutz verabschiedeter Entwurf vor, der in wenigen Wochen im gemeinsamen Mitteilungsblatt der Bundesministerien veröffentlicht werden wird. Mit dem Inkrafttreten der Novelle der Röntgenverordnung ist für Juli/August 2002 zu rechnen.
Aus der Novelle der Röntgenverordnung seien abschließend einige Punkte genannt, die die Strahlenschutzverordnung betreffen und in Zusammenhang mit den nachfolgenden Beiträgen von Bedeutung sind, da darin angesprochene kritische Punkte zwischenzeitlich zum Teil geändert wurden.
Ein für den Strahlenschutz in der Medizin relevanter Punkt ist hierbei vor allem der § 82, Abs. 2 (2), nach dem nun außer MTA mit der erforderlichen Fachkunde im Strahlenschutz auch Personen in der beruflichen Ausbildung sowie Personen mit einer abgeschlossenen sonstigen medizinischen Ausbildung (Arzthelferinnen, Pflegekräfte) unter ständiger Aufsicht und Verantwortung eines im Strahlenschutz fachkundigen Arztes tätig werden dürfen.
Zusätzlich wird mit der Novelle der Röntgenverordnung auch eine Änderung der Atomrechtlichen Deckungsvorsorge-Verordnung (§ 15) eingeführt, die zwar an der Festlegung von 500 000 Euro als Schadenssumme pro Proband festhält, jedoch die Gesamthöhe der Deckungsvorsorge für den Fall des Todes oder der dauernden Erwerbsunfähigkeit einer Risikoschätzung zu unterziehen erlaubt (bei großen Studien mit bis zu 500 Probanden ist das Risiko, dass jeder Proband einen Schaden erleidet, unwahrscheinlich).
Die aktuellen Änderungen im deutschen Strahlenschutz-Regelwerk führen für alle in der Nuklearmedizin Beschäftigten (Ärzte, Physiker, MTA, Arzthelferinnen, Pflegekräfte) zu zum Teil erheblichen Änderungen, die im Folgenden unter verschiedenen Aspekten detailliert dargestellt werden.
Prof. Dr. Chr. Reiners
Klinik und Poliklinik für Nuklearmedizin
Josef-Schneider-Str. 2
97080 Würzburg