Balint Journal 2002; 3(2): 39-43
DOI: 10.1055/s-2002-32384
Aus der Praxis
© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Balint-Gruppenarbeit

Aspekte der SuchtpräventionHeide Otten
  • 1Wienhausen
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Publication Date:
20 June 2002 (online)

Anliegen der Balint-Arbeit

Balint-Gruppen arbeiten als Fallbesprechungsgruppen, die die Analyse der Arzt-Patient-Beziehung in den Mittelpunkt ihres Interesses rücken.

Michael Balint - Arzt, Biochemiker und Psychoanalytiker, Schüler von Sigmund Freud und Sandor Ferenczi - begann in den 30iger Jahren in seiner Heimatstadt Budapest mit mehreren praktischen Ärzten ein „Seminar zum Studium der psychotherapeutischen Möglichkeiten in der täglichen Praxis”. Nach seiner Emigration nach England hielt er in London zusammen mit seiner Frau Enid zunächst Seminare mit Sozialarbeitern, später mit Allgemeinärzten ab. Seine grundlegende Idee war, dass die Krankheit eines Patienten nicht allein als Manifestation eines organischen Defektes betrachtet werden dürfte, sondern auch als möglicher Ausdruck einer Konfliktsituation oder einer Anpassungsschwierigkeit. Diese ganzheitliche Betrachtungsweise wird in den nach ihm benannten Balint-Gruppen aktualisiert.

Er hat seine Gruppen als Trainings- und Forschungsseminare etabliert. Die Ergebnisse seiner Beobachtungen hat er in dem Buch: „Der Arzt, sein Patient und die Krankheit” (M. Balint 1965) niedergeschrieben. Das körperliche Symptom, das der Patient dem Arzt präsentiert, kann als Botschaft verstanden werden, die der Arzt entschlüsseln muss, um die dahinter liegenden unbewussten Konflikte des Patienten aufzudecken und bearbeiten zu können. Hierzu dienen in der Diagnostik das Verständnis von Übertragung, Gegenübertragung und Abwehr.

Damals in London 1950 nach dem Ende des zweiten Weltkriegs wurde M. Balint als Mitarbeiter der Psychiatrischen Tavistock-Klinik gebeten, mit niedergelassenen Allgemeinärzten zu arbeiten, die mit den andrängenden Problemen psychosomatischer Erkrankungen, sowie den Kriegsneurosen nicht ausreichend geschult umgehen konnten. Sie suchten Hilfe bei dem Psychoanalytiker, der ihnen zu einem besseren Verständnis der Störungen verhelfen konnte. Gleichzeitig stellte sich für den Referenten eine Entlastung durch die Gruppenarbeit ein.

Diese Aspekte bestimmen auch die heutige Balint-Gruppenarbeit:

Training des Arztes, psychosomatische Zusammenhänge zu erkennen, Entlastung des Arztes (Psychohygiene) durch ein besseres Verständnis seiner Situation mit dem Patienten durch die Analyse der Übertragungs- und Gegenübertragungsphänomene, sowie der Abwehrreaktionen des Arztes und schließlich die wissenschaftliche Erforschung der Arzt-Patient-Beziehung.

Die Gruppenteilnehmer arbeiten für den Vortragenden, der in freier Rede seine Eindrücke vom Patienten schildert, indem sie in Fantasie und freier Assoziation die Arzt-Patient-Beziehung beleuchten, ihre eigenen durch den Vortrag ausgelösten Gefühle äußern, latente Stimmungen benennen, blinde Flecke des Vortragenden erhellen, Übertragung und Gegenübertragung von Patient und Behandler analysieren. Sie oszillieren zwischen Erleben und Reflektieren. Die Gruppe wirkt als Spiegel. Für den Referenten - der sich das Geschehen in der Gruppe zunächst aus der Distanz betrachtet und nicht eingreift in den Prozess - entsteht ein vielschichtiges Bild seiner Beziehung zum Patienten. Er kann seine eigenen Objektbeziehungsmuster erkennen, die er in der Begegnung mit dem Patienten aktualisiert, er kann eigene bisher teilweise unbewusste Anteile seiner Persönlichkeit, mit denen er die gemeinsame Szene mit dem Patienten gestaltet, wahrnehmen. Und er wird die Persönlichkeitsstruktur des Patienten besser verstehen. Das Ergebnis der Balint-Arbeit ist also, kurzfristig die Klärung und Verbesserung der Arzt-Patient-Beziehung und längerfristig die Verbesserung der beruflichen kommunikativen, sowie der psychosomatischen Kompetenz des Arztes durch eine begrenzte Selbsterfahrung. Dies entspricht dem von Balint formulierten Ziel „einer begrenzten aber doch wesentlichen Wandlung in der Persönlichkeit des Arztes”.

W. König (1999) vergleicht die Balint-Gruppenarbeit in seinem Vortrag „Balint-Gruppenleitung im Spannungsfeld von Strukturieren und Gewähren” mit einer Einzeltherapiesituation, in der der Referent als Patient der Gruppe als Therapeuten mit dem Gruppenleiter als Supervisor gegenüber sitzt. Die Gruppe (Therapeut) reflektiert über das, was der Referent (Patient) erlebt.

„Die Aufgabe des Therapeuten wie der Balint-Gruppe ist es, die in der Gegenübertragung aufkommenden Emotionen zuzulassen, zu benennen und in einen Zusammenhang mit der Situation des Patienten respektive des Referenten zu bringen. Das Faszinierende der Balint-Arbeit ist u. a. dass nicht ein einsamer Therapeut seine Gegenübertragung analysiert, sondern mehrere ihre Gegenübertragungen zusammentragen und austauschen und dass der Supervisor nicht erst nachträglich zugezogen wird, sondern im aktuellen Geschehen anwesend ist und an der Gegenübertragungsarbeit teilnimmt.” So wird es möglich, das ganze Spektrum der in der Beziehung vorhandenen Gefühle zu erleben und zu benennen. Im geschützten Raum der Gruppe und mit einem großzügigen zeitlichen Rahmen von 1œ Stunden pro Sitzung kann der Referent seine Emotionen und eigenen Lebenserfahrungen, seine Beziehungsmuster wahrnehmen und reflektieren. Aber auch die übrigen Gruppenteilnehmer können den Prozess für sich als Selbsterfahrung nutzbar machen, indem sie ihre eigenen Erfahrungen vergleichen und für sich analysieren.

Literatur

Dr. med. Heide Otten

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