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DOI: 10.1055/s-2002-35792
Antagonisten am Substanz-P-Rezeptor als neue Klasse von Antidepressiva
Substance P-antagonists as a new class of antidepressant drugsPublikationsverlauf
eingereicht: 31.7.2002
akzeptiert: 25.10.2002
Publikationsdatum:
28. November 2002 (online)

Antidepressiva sind Mittel der Wahl zur Behandlung mittelschwerer und schwerer Depressionen. Die bisher etablierten Antidepressiva bergen jedoch nach wie vor eine Reihe von Nachteilen in sich, die eine Weiterentwicklung auf diesem Gebiet notwendig machen. So sprechen nur maximal 60-70 % der behandelten Patienten auf die Pharmakotherapie an. Des weiteren besteht bis zum Eintritt der erwünschten antidepressiven Wirkung eine Latenz von mindestens 7-10 Tagen. Nicht zu vergessen ist ein je nach Substanz unterschiedliches Nebenwirkungsspektrum und die damit verbundene Abbruchquote. Einige der aktuellen Weiterentwicklungen sind in Tab. [1] aufgeführt. Diese betreffen einerseits Veränderungen bereits etablierter Antidepressiva (vor allem der selektiven Serotonin-Wiederaufnahmehemmer [SSRI] und dualen Serotonin- und Noradrenalinwiederaufnahmehemmer) durch chemische Modifikation oder Kombination mit anderen Substanzen, um die Nebenwirkungsrate zu senken, die Ansprechrate zu verbessern und/oder die Latenz bis zum Ansprechen zu verkürzen. Andererseits werden Antidepressiva entwickelt, die einen neuartigen Wirkmechanismus haben. Ein Beispiel für ein Medikament mit einem neuen und paradox erscheinenden Wirkprinzip ist Tianeptin, das im Gegensatz zu den klassischen SSRI die Serotonin-Wiederaufnahme nicht hemmt, sondern steigert. Zwei völlig neuartige Entwicklungen von Antidepressiva, die im Gegensatz zu den klassischen Antidepressiva primär unabhängig vom serotonergen und noradrenergen System wirken, sind Antagonisten am Rezeptor für den Corticotropin-Releasing-Factor (CRF) sowie Antagonisten am Rezeptor für Substanz P (Substanz-P-Rezeptor-Antagonisten [SPA]). Im Folgenden soll auf die Rolle der SPA zur Behandlung depressiver Störungen und ihren Wirkmechanismus genauer eingegangen werden.
SPA wurden ursprünglich entsprechend der Bedeutung von Substanz P (SP) in der Pathophysiologie von Schmerzzuständen als Analgetika entwickelt, waren aber in fast allen klinischen Untersuchungen am Menschen wirkungslos. So zeigte sich beispielsweise keine Wirksamkeit bei der Behandlung von Schmerzsyndromen wie rheumatoider Arthritis, Migräne oder postherpetischer Neuralgie [5] [9] . SPA werden heute auf psychiatrischem Gebiet als Antidepressiva und Anxiolytika entwickelt [5] [8] [9]. Eine Indikation auf nicht-psychiatrischem Gebiet ist die Behandlung von Zytostatika-induziertem Erbrechen durch SPA wie MK-869 [9].
Tab. 1 Weiterentwicklungen und Neuentwicklungen von Antidepressiva. Klasse Bsp.-Präparate Wirkprinzip Enantiomere von SSRI S-Citalopram Geringere Dosis notwendig, geringeres Nebenwirkungs- und Interaktionspotential Duale Serotonin- und Noradrenalinwiederaufnahmehemmer Duloxetin, Milnacipran Hemmung der Serotonin- und Noradrenalinwiederaufnahme Kombination von SSRI mit 5-HT1a-Rezeptor-Antagonisten z. B. Fluoxetin und Pindolol Augmentierende Wirkung von Pindolol Serotonin-Wiederaufnahme-verstärkende Substanzen Tianeptin Steigerung der Serotonin-Wiederaufnahme CRF1A-Antagonisten R-1 219 191, CP-154 526 Antagonisten am Corticotropin-Releasing-Faktor-Rezeptor I Glukokortikoid-Rezeptor-Antagonisten RU 486 (Mifepristone) Antiprogesteron mit zusätzlicher Blockade des Glukokortikoid-Rezeptors SP-Antagonisten MK-869, NKP-609, L-759 274 Antagonisten am Substanz-P-Rezeptor SSRI = Selektive Serotonin-Wiederaufnahmehemmer; CRF = Corticotropin-Releasing-Factor; SP = Substanz P
SP-haltige Neurone und SP-Rezeptoren (Neurokinin-1-Rezeptoren, NK-1-R) finden sich im ZNS in Strukturen wie dem Locus coeruleus, dem Limbischen System (u. a. Hippocampus und Amygdala) sowie dem Hypothalamus [5-7], die an der Regulation von adaptativen Prozessen auf Stress beteiligt sind und bei der Entstehung von Angstreaktionen eine Rolle spielen. Knock-out-Mäuse für den NK-1-R zeigen dementsprechend Störungen der Adaptation an Stress und des emotionalen Verhaltens [1]: So fand sich bei diesen Mäusen eine Veränderung der stressinduzierten Analgesie und eine verminderte Aggressivität bei Territorialansprüchen durch andere Mäuse. Neuere Arbeiten haben gezeigt, dass SP die Stresshormonachse stimulieren kann [4], was die Bedeutung von SP als Stressneurotransmitter unterstreicht.
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Priv.-Doz. Dr. med. Klaus Lieb
Universitätsklinikum Freiburg, Abteilung für
Psychiatrie und Psychotherapie
Hauptstraße 5
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Fax: 0761/2706667
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