Anästhesiol Intensivmed Notfallmed Schmerzther 2002; 37(12): 712-720
DOI: 10.1055/s-2002-35914
Übersicht
© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

100 Jahre Sauerstofftherapie (1902 - 2002) - Eine medizinhistorische Neubewertung

Teil I: Der lange Weg von der Entdeckung des Sauerstoffs bis zu seinem Durchbruch bei der therapeutischen Anwendung in der Anästhesiologie und RettungsmedizinThe Centennial of Oxygen-Therapy (1902 - 2002) - Reassessing its HistoryPart I: “The Long Way of Oxygen” - From its Discovery to its Implementation as a Rational Therapy in Anaesthesia and Emergency-MedicineM.  Strätling1 , P.  Schmucker1
  • 1Klinik für Anästhesiologie, Medizinische Universität, Lübeck; Direktor: Prof. Dr. med. P. Schmucker
Dieser Beitrag wird von einem Editorial von L. Brandt begleitet
Weitere Informationen

Publikationsverlauf

Publikationsdatum:
05. Dezember 2002 (online)

Zoom Image

Zusammenfassung

Diese zweiteilige Übersichtsarbeit untersucht die Geschichte der inhalativen Sauerstofftherapie und deren Beeinflussung durch die Entwicklung der Anästhesie bzw. der Narkose- und Druckgastechnologie. Zu diesem Zweck wird im hier vorliegenden ersten Teil zunächst die Geschichte des „langen Weges des Sauerstoffs” von seiner erstmaligen Isolierung durch Carl Wilhelm Scheele (1772) und Joseph Priestley (1774) bis zu seinem Durchbruch bei der therapeutischen Anwendung im Verlaufe des 20. Jahrhunderts skizziert. Dabei können wir zeigen, dass neben unklaren physiologischen Vorstellungen und einem daher diffusen Indikationsspektrum vor allem zwei eher technische Probleme für lange Zeit die erfolgreiche Etablierung einer rationalen Sauerstofftherapie verhinderten: Die aufwendige und damit auch kostenintensive Herstellung des Gases sowie mangelhafte Möglichkeiten, Atemgase mit geregeltem Fluss, kontinuierlich und zufriedenstellend dosierbar zu applizieren. Erst im Jahre 1902 gelang es, diese Herstellungs- und Anwendungsprobleme weitgehend zu lösen: Durch die großtechnische Etablierung des „Linde-Luftverflüssigungsverfahrens” zur industriellen Sauerstoffproduktion und die Optimierung der damals verfügbaren Druckgastechnik. Hierbei kam den Druckreduktionsventilen eine besondere Bedeutung zu. Deren Einführung in die allgemein verfügbare Medizintechnik ist auf Entwicklungen der Lübecker Drägerwerke zurückzuführen, wo sie sich zunächst vor allem in den Bereichen Anästhesie- und Rettungsmedizin durchsetzten (z. B. im „Roth-Dräger Narkoseapparat” [1902]). Im Widerspruch zum bisherigen, vorwiegend anglo-amerikanisch geprägten Schrifttum über die Geschichte der Sauerstofftherapie stellen wir vor diesen Hintergründen eine medizin- und wissenschaftshistorische Neubewertung zur Diskussion. Diese nimmt das Jahr 1902 als den auch international entscheidenden „Wendepunkt” hin zu einer tatsächlichen, rationalen Sauerstofftherapie an.

Abstract

This historical survey in two parts analyses the history of inhalative oxygen therapy and its interactions with the history of anaesthesiology. For this purpose, we will start with illustrating “the long way of oxygen” from its first isolation by Carl Wilhelm Scheele (1772) and Joseph Priestley (1774) to its breakthrough for therapeutic application in the 20th century. We will show that the two main factors delaying the successful implementation of a truely rational oxygen therapy were of technical nature: The complicated and costly production of the gas and insufficient means to apply it continuously and with reliable and sufficient dosages to the patients. Both problems could not be satisfactorily solved until 1902. From this year on, however, the “Linde Process” allowed cheap mass-production of oxygen. Simultaneously, various inventions of modern pressure gas technology allowed to solve the application problems. Here, a special significance is to be awarded to pressure reducing valves. These were first introduced into medical technology by Draeger Inc. (Lübeck/Germany) on a significant scale, proving particularly successful in anaesthesia and rescue-devices (e. g. in the „Roth-Draeger Anaesthesia Apparatus” [1902]). Critically discussing earlier research on the history of oxygen therapy, we therefore propose a historical reassessment, accepting the year 1902 as the internationally decisive „turning point” towards the development of modern oxygen therapy.

Crossref Cited-by logo
Zitierungen