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DOI: 10.1055/s-2002-36110
Vereinbarung über Verzicht auf Kassenzulassung bei Ausscheiden aus einer Gemeinschaftspraxis
Urteil des Bundesgerichtshofs vom 22.07.2002 - II ZR 265/00Publication History
Publication Date:
13 December 2002 (online)

Problem Können Vereinbarungen in einem Gemeinschaftspraxisvertrag, wonach ein aus der Gemeinschaftspraxis ausscheidender Partner sich verpflichtet, in dem für Neuzulassungen gesperrten Gebiet auf seine Kassenzulassung zugunsten eines Nachfolgers zu verzichten, rechtswirksam getroffen werden? Zum Sachverhalt Der Kläger betrieb mit dem Beklagten eine augenärztliche Gemeinschaftspraxis. Der 12/1997 unterzeichnete Vertrag enthielt eine Klausel, wonach bei Ausscheiden eines Partners der verbleibende Gesellschafter von dem Ausscheidenden verlangen kann, unverzüglich bei der zuständigen Kassenärztlichen Vereinigung (KV) einen Antrag auf Ausschreibung seines vakant werdenden Vertragsarztsitzes zu stellen, um so die weitere Existenz der Gemeinschaftspraxis zu ermöglichen. Der Beklagte schied zum 30.09.1999 aufgrund einer von ihm im März 1999 erklärten Kündigung aus der Gemeinschaftspraxis aus, ohne allerdings einen Antrag auf Ausschreibung seines Kassenarztsitzes zu stellen, wie es der Kläger verlangt hatte. Vielmehr behielt er seine Zulassung als Vertragsarzt und eröffnete in der Nähe der klägerischen Praxis am 01.10.1999 eine Einzelpraxis. Der Kläger begehrte mit seiner Klage die Verurteilung des Beklagten, die Ausschreibung seines Vertragsarztsitzes entsprechend der vertraglichen Vereinbarung zwischen den Parteien bei der zuständigen KV zu beantragen. Entscheidung des Gerichts Der Bundesgerichtshof (BGH) geht davon aus, dass im Falle des freiwilligen Ausscheidens eines Partners aus einer Gemeinschaftspraxis in einem für Neuzulassungen gesperrten Gebiet das durch Art. 12 Abs. 1 Grundgesetz (GG) geschützte Interesse des verbleibenden Partners, die Gemeinschaftspraxis in dem bisherigen Umfang fortzuführen, mit dem ebenfalls durch Art. 12 Abs. 1 GG geschützten Grundrecht des ausscheidenden Arztes auf Berufsfreiheit kollidiert. Die Abwägung der beiderseitigen Interessen muss nach Auffassung des BGH im vorliegenden Fall dazu führen, dem Erhalt der klägerischen Gemeinschaftspraxis Vorzug einzuräumen. Das Gericht sieht hierin keinen Verstoß gegen die Vorschrift des § 138 Abs. 1 BGB, wonach ein Rechtsgeschäft, das gegen die guten Sitten verstößt, nichtig ist. Dies soll jedenfalls dann gelten, wenn der Ausscheidende wegen der relativ kurzen Zeit seiner Mitarbeit die Gemeinschaftspraxis noch nicht entscheidend mitprägen konnte. Praktische Konsequenzen aus dem Urteil Die Entscheidung kommt völlig überraschend. Das Oberlandesgericht (OLG) Stuttgart hatte in einem sorgfältig begründeten Urteil vom 21.02.2001 (MedR 2001, 519 ff.) genau entgegengesetzt entschieden. Erstaunlicherweise hielt es der BGH nicht für notwendig, sich mit der überzeugenden Argumentation des OLG auseinander zu setzen. Er hat Probleme, die sich aus dem Ineinandergreifen von (öffentlich-rechtlichem) Kassenarztrecht und (zivilrechtlichem) Vertragsrecht ergeben, offensichtlich nicht erkannt; ein näheres Eingehen hierauf würde den Rahmen dieses Beitrags sprengen. Wenn der BGH lapidar darauf hinweist, dass der Beklagte eine neue Zulassung in jedem nicht gesperrten Bezirk erlangen könne, bedeutet dies eine völlige Verkennung der tatsächlichen Verhältnisse. Immer häufiger gibt es mehrere konkurrierende Bewerber für einen Vertragsarztsitz. Die Auswahl erfolgt durch den Zulassungsausschuss nach bestimmten, in § 103 Abs. 4 SGB V genannten Kriterien. So kann es im ungünstigen Fall Jahre dauern, bis ein aus einer Gemeinschaftspraxis im gesperrten Gebiet ausscheidender Partner sich eine neue Zulassung gegen Mitbewerber erkämpfen kann. Dass dies zu massiven Eingriffen in die Lebensführung des Betroffenen bis hin zum Verlust seiner wirtschaftlichen Existenz und der seiner Familie führen kann, bedarf keiner weiteren Darlegung. Offen bleibt in dem Urteil, wie der BGH entschieden hätte, wenn die Gemeinschaftspraxis zwischen den Parteien schon lange Zeit bestanden hätte. Dies muss zwangsläufig zu erheblicher Rechtsunsicherheit führen. Es stellt sich die Frage, wie lange eine Gemeinschaftspraxis bestanden haben muss, damit sich die Feststellung treffen lässt, dass der Ausscheidende „die Gemeinschaftspraxis entscheidend mitgeprägt” hat. Was ist, wenn die Gemeinschaftspraxis zwar jahrelang bestanden hat, die Rechtsposition des ausscheidenden Partners in der Gesellschaft jedoch gegenüber dem verbleibenden relativ schwach war, sich vielleicht sogar an der Grenze zum „Scheingesellschafter” bewegte? Fragen über Fragen. Es überrascht nicht, dass gegen das Urteil von dem Beklagten Verfassungsbeschwerde zum Bundesverfassungsgericht eingelegt wurde.
Rechtsanwalt Dr. H.-J. Rieger
Zeppelinstraße 2
76185 Karlsruhe