Gesundheitswesen 2002; 64(12): 633-638
DOI: 10.1055/s-2002-36458
Originalarbeit
© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Kommunale Gesundheitsziele aus Sicht von Bürgern und Experten. Ergebnisse zweier Befragungen im Ennepe-Ruhr-Kreis

Communal Health Targets as Seen By the Population and By Experts. Two Inquiries in the Ennepe-Ruhr DistrictH. J. Boschek1 , K. J. Kügler1
  • 1Kreisgesundheitsamt Ennepe-Ruhr (Leiter: Dr. med. Dipl.-Phys. H. J. Boschek)
Further Information

Publication History

Publication Date:
07 January 2003 (online)

Zusammenfassung

Einleitung: Die kommunale Gesundheitsplanung ist wesentlich auf den Konsens der Akteure und die Unterstützung durch Politik und Öffentlichkeit angewiesen. Für die Koordination ist es daher wichtig, die gemeinsamen Vorstellungen und die Prioritäten der Partner zu berücksichtigen. Das Ziel der Studie war es, den gemeinsamen Nenner zwischen Bevölkerungserwartungen und Expertenvorstellungen zu erfassen, um sie in die Arbeitsplanung und bei der Entwicklung kommunaler Gesundheitsziele einzubeziehen.

Material und Methoden: 1 181 repräsentativ ausgewählte Bürger/-innen aus dem Ennepe-Ruhr-Kreis wurden über ein standardisiertes Telefoninterview zu ihren Erwartungen an die kommunale Gesundheitspolitik befragt. Parallel dazu wurde eine Fragebogenaktion bei den Mitgliedern der Kommunalen Gesundheitskonferenz (n = 28) durchgeführt. Hier wurden die gesundheitspolitischen Prioritäten und wesentliche Rahmenbedingungen für eine erfolgreiche Zusammenarbeit im kommunalen Rahmen erhoben.

Ergebnisse: Die NRW-Gesundheitsziele sind in der Bevölkerung überwiegend nicht bekannt. Als sehr wichtig werden die konkreten Ziele „Krebs bekämpfen” (75 %) sowie „Drogen/Sucht bekämpfen” (53,1 %) und „Reduktion von Herz-Kreislauf-Erkrankungen” (52,7 %) bewertet. Aus Bürgersicht sind die Themen Pflegequalität und die zunehmende Einschränkung vertragsärztlicher Leistungen bedeutsam. Allgemeine Aspekte wie „Mehr Patientenaufklärung” bzw. „Mehr Bürgernähe” werden als weniger wichtig beurteilt. Die Experten dagegen halten unter den NRW-Gesundheitszielen planerische und strukturelle Elemente für besonders bedeutsam. So finden sich die „Rahmenbedingungen zur Förderung der Gesundheit”, „Bürgernahe Dienste” und die „Verbesserung der primären Gesundheitsversorgung” an erster Stelle unter den Antworten.

Diskussion: Für die Entwicklung der Arbeitsplanung in der kommunalen Gesundheitsplanung stellt die Umfrage eine wertvolle Basis dar. Auffällig sind die Diskrepanzen zwischen den Erwartungen der Bevölkerung, die sich vor allem auf konkrete Probleme richten, und den Einschätzungen der Fachleute, die sich stärker an strukturellen Fragen orientieren. Alter und Pflege sowie Leistungen der primären Gesundheitsversorgung finden sich bei beiden Gruppen als wichtige Themen. Aufgabe der Koordination wird es sein, die differenten Vorstellungen in einen kommunalpolitischen Prozess zu integrieren. Die wissenschaftlichen Modellvorstellungen von kommunaler Gesundheitsplanung werden diskutiert.

Abstract

Introduction: Health planning at the community level depends largely on the consensus of participants and the support by local politicians and the public. For a successful coordination it is important to integrate the common opinions and priorities of the partners. The aim of the project was to determine the common priorities of the general public and local health experts. The results should be the basis for the development of local health planning.

Material and methods: 1181 representative selected adult inhabitants of the Ennepe-Ruhr district were interviewed by phone about their expectations regarding local health policy. At the same time the members of the local health conference (n = 28) were asked to fill in a questionnaire on the same subjects.

Results: The 10 North Rhine-Westphalian Health targets are largely unknown by the public. The aims ‘Fight against Cancer’ (75 %), ‘Minimising the health effects of drug abuse’ (53 %) and ‘Reduction of heart diseases’ (53 %) were seen as most important. Emphasised were the quality of nursing and declining services of the health care system due to financial problems. General targets like ’More information of patients’ or ‘Strengthening of patient participation’ were considered as less important. By contrast, the health experts stated structural and planning elements as central NRW-Health Targets. Ranked first are the topics ‘Improvement of health promotion’ and ‘Empowerment and quality of health care’.

Discussion: The results of two polls were important for the planning of the work in the local health conference. Remarkable are the discrepancies between the two groups. While the citizens focussed on concrete health problems, the experts, concentrated on structural aspects of the health system. The complex of ‘Old Age and nursing’ and ‘Aspects of/deficits in primary health care’ were important for both groups. The local health coordination is to develop a concrete agenda to integrate these results. The theoretical basis of community health policy is discussed.

Literatur

  • 1 Bergmann K E, Baier W, Meinlschmidt G. (Hrsg) .Gesundheitsziele für Berlin. Wissenschaftliche Grundlagen und epidemiologisch begründete Vorschläge Berlin, New York; de Gruyter 1996
  • 2 Ministerium für Arbeit, Frauen, Gesundheit und Soziales des Landes Sachsen-Anhalt. Gesundheitsziele für Sachsen-Anhalt. Magdeburg, 1998. www.ms.sachsen-anhalt.de/gesundheit. 
  • 3 Ministerium für Frauen, Jugend, Familie und Gesundheit des Landes Nordrhein-Westfalen (Hrsg) .Zehn vorrangige Gesundheitsziele für NRW. Grundlagen für die nordrhein-westfälische Gesundheitspolitik Bielefeld; 2001
  • 4 Franzkowiak P, Sabo P. Die Entwicklung der Gesundheitsförderung in internationalen und nationalen Dokumenten. Franzkowiak P, Sabo P Dokumente der Gesundheitsförderung. Reihe „Blickpunkt Gesundheit” 1 Schwabenheim ad Selz; Verlag Peter Sabo 1993
  • 5 Kühn H, Rosenbrock R. Präventionspolitik und Gesundheitswissenschaften. Eine Problemskizze. Rosenbrock R, Kühn H, Köhler BM Präventionspolitik. Gesellschaftliche Strategien der Gesundheitssicherung Berlin; edition sigma 1994
  • 6 Stender K P. Städte wollen gesund werden, eine Einführung in das Gesunde Städte-Netzwerk der Bundesrepublik Deutschland. Freie und Hansestadt Hamburg Leitbild Gesunde Stadt. Von der Vision zur Wirklichkeit Hamburg; 1995
  • 7 Baier W K, Haberland J, Bergmann K E. „Gesundheitsziele” - Konzepte diesseits von Utopien? Berliner Forschungsverbund Public Health (BFPH) - Teilprojekt „Ziele und Zielindikatoren für den Gesundheitsbereich in Berlin Ost und West”.  Gesundheitswesen. 1995;  57 252-257
  • 8 v. d. Knesebeck O, Badura B, Zamora P. et al . Evaluation einer gesundheitspolitischen Intervention auf kommunaler Ebene - Das Modellprojekt „Ortsnahe Koordinierung der gesundheitlichen und sozialen Versorgung” in Nordrhein-Westfalen.  Gesundheitswesen. 2001;  63 35-41
  • 9 Müller P. Kommunale Gesundheitspolitik. Koordinieren statt Verwalten. Aufgaben- und Organisationsentwicklung im Öffentlichen Gesundheitsdienst am Beispiel Berlins Lage; Jacobs 2002
  • 10 Gesetz zur Stärkung der Leistungsfähigkeit der Kreise, Städte und Gemeinden . Artikel 3 Gesetz über den Öffentlichen Gesundheitsdienst des Landes Nordrhein-Westfalen (ÖGDG/NW).  Gesetz und Verordnungsblatt für das Land Nordrhein-Westfalen. 1997;  58 431-436
  • 11 Boschek H J, Kügler K J. Kommunale Gesundheitspolitik als Forschungsfeld von Public Health und Sozialwissenschaften.  Gesundheitswesen. 2001;  63 (Sonderheft 1) S63-S67
  • 12 Frey J H, Kunz G, Lüschen G. Telefonumfragen in der Sozialforschung. Methoden, Techniken, Befragungspraxis Opladen; Westdeutscher Verlag 1990
  • 13 Schräder W F. Gesundheitsziele der Bürger und Leitbilder des akademisch-administrativen Komplexes. Geene R, Luber E Gesundheitsziele. Planung in der Gesundheitspolitik Frankfurt a.M; Mabuse 2000: 35-38
  • 14 Spatz J. Gesundheitsziele: Bürokratisierung der Gesundheits-Politik. Geene R, Luber E Gesundheitsziele. Planung in der Gesundheitspolitik Frankfurt a.M; Mabuse 2000: 39-47
  • 15 Rosenbrock R. Public Health als soziale Innovation.  Gesundheitswesen. 1995;  57 140-144
  • 16 Welteke R. Ansätze zur Einbeziehung von Landesgesundheitszielen in die Kommunalpolitik. Kellermann K, Konegen N, Staeck F Aktivierender Staat und aktive Bürger. Plädoyer für eine integrative Gesundheitspolitik Frankfurt a. M; Mabuse 2001
  • 17 Sendler H. Gemeinsame Zielfindung im arbeitsteiligen Gesundheitswesen - Erfahrungen in NRW mit dem System der Gesundheitskonferenzen.  Gesundheitswesen. 1998;  60 456-462
  • 18 KPMG/FOGS . Evaluation des ÖGDG-NRW. Zwischenbericht 2000.  Hamburg/Köln. 2001; 
  • 19 PMG/FOGS . Evaluation des ÖGDG-NRW. Zweiter Zwischenbericht.  Hamburg/Köln. 2002; 
  • 20 Trojan A. Kommunale Gesundheitspolitik. Wollmann H, Roth R. Kommunalpolitik Politisches Handeln in den Gemeinden Opladen; Leske+Budrich 1995: 780-800
  • 21 Welteke R, Brand H. Gesundheitsziele und Gesundheitsberichterstattung - Bedeutung einer gesundheitsberichterstatterischen Basis für Gesundheitsziele.  Gesundheitswesen. 1999;  61 340-345
  • 22 Schmiedhofer M. Gute Ziele, steinige Wege. Geene R, Luber E Gesundheitsziele. Planung in der Gesundheitspolitik Frankfurt a.M; Mabuse 2000: 27-29
  • 23 Boschek H J, Kügler K J, Lindenberg E. et al . Gesundheitsbericht Chronische Wunden im Ennepe-Ruhr-Kreis.  Schwelm. 2002 (im Druck); 
  • 24 Boschek H J, Kügler K J. Umfragen als Instrumente der Gesundheitsberichterstattung. (in Vorbereitung). 
  • 25 Glaser-Möller N, Korte. Was der Mensch so braucht: Informations- und Datenquellen. In: Akademie für öffentliches Gesundheitswesen in Düsseldorf (Hrsg). Hamburger Projektgruppe Gesundheitsberichterstattung in der Behörde Arbeit, Gesundheit und Soziales der Freien und Hansestadt Hamburg. Praxishandbuch Gesundheitsberichterstattung. Schriftenreihe Band 18. Düsseldorf.  1998; 

Dr. med. Dipl.-Phys. H. J. Boschek

Kreisgesundheitsamt Ennepe-Ruhr

Postfach 420

58317 Schwelm