NOTARZT 2003; 19(1): 32-33
DOI: 10.1055/s-2003-37206
Fortbildung
Der toxikologische Notfall
© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Diabetes - oder doch nicht?

F.  Martens1
  • 1Charité, Campus Virchow-Klinikum, Medizinische Fakultät der Humboldt-Universität zu Berlin, Klinik für Nephrologie und internistische Intensivmedizin (Direktor: Prof. Dr. Ulrich Frei), Berlin
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Publication Date:
11 February 2003 (online)

Der Fall

Der Notarzt wird in den Vormittagsstunden unter dem Alarmierungsstichwort „plötzliche Bewusstlosigkeit” in eine Wohnung gerufen, weil ein Mann nach einem Krampfanfall nicht mehr wach wird. Die RTW-Mannschaft vor Ort hat bereits Sauerstoff über eine Maske gegeben und einen Blutdruck von 110/70 mm Hg ermittelt. Der 56-jährige Patient liegt vor seinem Bett auf dem Fußboden. Er hat offensichtlich eingenässt. Es besteht eine leichte Zyanose; pulsoxymetrisch liegt eine Sättigung von 88 % vor. Auf Ansprache erfolgt keine Reaktion, auf leichte Schmerzreize erfolgt ungezielte Abwehr. Weiterhin fällt ein anhaltender Tremor auf. Stehende Hautfalten deuten auf einen Volumenmangel hin.

Die anwesende Ehefrau des Patienten berichtet, dass ihr Mann in den letzten Tagen eine „Blasenentzündung” gehabt habe, weshalb er bis zu zehnmal täglich zur Toilette gegangen sei. Auch habe er über vermehrten Durst geklagt und diesen mit Säften und Mineralwasser gestillt. Ihr Mann sei seit vielen Jahren wegen einer „Nervenkrankheit” berentet. In den letzten Jahren sei auch noch „Zucker” dazugekommen, den er mit Tabletten behandele. Die Überprüfung der verordneten Medikamente ergibt ein Sulfonylharnstoffpräparat, Olanzapintabletten, ein lithiumhaltiges Retardpräparat und Ramipril.

Zwischenzeitlich wurde durch die Rettungsassistenten eine Venenverweilkanüle gelegt und der aktuelle Blutzucker mit 450 mg/dl ermittelt. Die Verdachtsdiagnose des Notarztes lautet daher Coma diabeticum mit Krampfanfall, Volumenmangel und Verdacht auf Aspiration. Über den venösen Zugang verabreicht er großzügig isotonische NaCl-Lösung und begleitet den bewusstseinsgetrübten Patienten, dessen Zyanose sich inzwischen deutlich verringert hat, ohne Intubation in das nächstgelegene Krankenhaus.

Nach Ausschluss einer intrazerebralen Blutung durch CCT wird durch telefonischen Kontakt mit dem Hausarzt bekannt, dass bei dem Patienten seit Jahren eine manisch-depressive Erkrankung mit Schizophrenie vorläge. Ebenso sei ein Diabetes mellitus Typ II bei mäßiger Adipositas bekannt. Seit etwa zwei Wochen habe er dem Patienten einen ACE-Hemmer zur Blutdrucksenkung verabreicht.

Bei der laborchemischen Untersuchung kann der vom Notarzt erhöhte Blutzucker bestätigt werden; die Konzentrationsbestimmung des therapeutisch eingenommenen Lithiums ergibt einen stark erhöhten Wert von 4,1 mmol/l. Gleichzeitig besteht eine Einschränkung der Nierenfunktion mit einem Kreatinin von 3,8 mg/dl. Die Kliniker entschließen sich zur Hämodialysetherapie der offensichtlich vorliegenden Lithiumintoxikation. Nach insgesamt vier Dialysen klart der Patient zunehmend auf. Unter gleichzeitiger Zufuhr isotonischer NaCl-Infusionen normalisiert sich der Wasserhaushalt und die zuvor als überschießend beschriebene Diurese geht allmählich in den Normalbereich zurück. Ein Anhalt für eine „Blasenentzündung” findet sich nicht. Unter Insulinzufuhr lassen sich normale Blutzuckerwerte erzielen.

Priv.-Doz. Dr. Frank Martens

Charité, Campus Virchow-Klinikum · Medizinische Fakultät der Humboldt-Universität zu Berlin · Klinik für Nephrologie und internistische Intensivmedizin

Augustenburger Platz 1

13353 Berlin

Email: frank.martens@charite.de