Zusammenfassung
Schwer lastet auf jedem Pränatalmediziner das Risiko, für
eine schuldhaft nicht erkannte Schädigung des Kindes, die nach
§ 218 a Abs. 2 StGB eine Abtreibung gerechtfertigt
hätte, zu haften und den Eltern des behindert geborenen Kindes den
gesamten Unterhalts- und Pflegeaufwand ersetzen zu müssen. Drei
höchstrichterliche Urteile aus jüngerer Zeit, in denen es um die
Haftung für übersehene Fehlbildungen (Amelien) ging, haben dies
erneut deutlich gemacht, aber auch gezeigt, wie sorgfältig die Gerichte
prüfen, ob die Voraussetzungen für einen rechtmäßigen
Schwangerschaftsabbruch gegeben gewesen wären. In zwei Fällen wurde
das verneint, wobei es sich in einem Fall um eine eineiige
Zwillingsschwangerschaft handelte. Da hier der Abort nahezu zwangsläufig
auch den gesunden Fetus erfasst hätte, stellte der Bundesgerichtshof an
den Grad der Behinderung des geschädigten Fetus und die Belastbarkeit der
Mutter besonders hohe Anforderungen, die hier verneint wurden. Anders
beurteilte er den dritten Fall, bei dem alle vier Gliedmaßen in
schwerster Weise von Fehlbildungen betroffen waren und von einer psychisch
labilen Konstitution der Mutter mit Suizidgefahr ausgegangen werden musste.
Hier wurde die Haftung der Frauenärztin für ihre schuldhafte
fehlerhafte US-Diagnostik (SSW 20/5) bejaht, wobei das Urteil bemerkenswerte
Ausführungen zur Verteilung der Beweislast und zur Zulässigkeit einer
Spätabtreibung enthält. Obwohl dieses Urteil ganz auf der bisherigen
Linie der Rechtsprechung lag, hat es ein überraschend kritisches Echo
ausgelöst. Die Kritik sollte sich jedoch nicht an die Gerichte, sondern an
den Gesetzgeber wenden, der mit der Ausgestaltung des rechtmäßigen
Schwangerschaftsabbruchs aus medizinisch (-sozialer) Indikation die
Verantwortung für diese Folgen trägt.
Abstract
It is a grave risk for any physician working in prenatal medicine to
be liable for an undiagnosed foetal malformation which would have justified an
abortion according to § 218 a Abs. 2 StGB, making him
responsible for compensation for the complete cost of upkeep and nursing of a
handicapped child. Three recent high court rulings concerning the liability for
overlooked malformations (amelia) have again emphasised this problem and have
also demonstrated how carefully the courts determine whether a legal abortion
would have been justified. In two cases this was denied, one of these cases
representing a monozygotic twin pregnancy. Since an abortion would have almost
certainly terminated the life of the healthy fetus, the
„Bundesgerichtshof“ specified stringent requirements as to the
degree of handicap of the malformed fetus and the degree of additional stress
for the mother, both of which were denied. A third case was judged differently
because all four limbs were severely malformed and the mother was seen to be in
a very unstable psychological state with the possible danger of suicide.
Therefore the gynaecologist was judged to be liable for an incorrect ultrasound
diagnosis (20/5 gestional week). This court ruling contains remarkable comments
regarding the burden of proof and the permission for a late abortion. Although
this ruling is in line with recent jurisdiction, it has yielded a surprisingly
critical response. this criticism should be levelled not towards the courts,
but to the legislative body responsible for the consequences of legalising
abortion on (socio-) medical grounds.
Schlüsselwörter
Fetale Fehlbildungen - Ultraschalldiagnostik - Fehldiagnose - Haftung
Key words
Fetal malformations - ultrasound diagnosis - false diagnosis - liability
Literatur
1 Neue Juristische Wochenschrift. 2002: 886
2 Neue Juristische Wochenschrift. 2002: 2649
3 Neue Juristische Wochenschrift. 2002: 2636
Dr. Harald Franzki
Präsident des OLG a. D.
Leberstraße 47 · 29223 Celle