Z Gastroenterol 2003; 41: 6-7
DOI: 10.1055/s-2003-37421
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© Karl Demeter Verlag im Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Morbide Adipositas: Pathophysiologie und hormonelle Regulation

A. Schäffler1
  • 1Universitätsklinik für Innere Medizin I, Regensburg
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Publikationsdatum:
11. März 2003 (online)

Das Fettgewebe galt noch bis vor 10 Jahren als ein inerter Energiespeicher mit der einzigen Aufgabe, Energie in Form von Triglyzeriden zu speichern und diese Energie bei Bedarf in Form von freien Fettsäuren (FFA) wieder freizusetzen. Neue Erkenntnisse weisen jedoch eindeutig darauf hin, dass das Fettgewebe vielmehr als ein multifunktionelles endokrines Organ zu werten ist, welches eine Vielzahl von hochaktiven Sekretprodukten synthetisiert. Shimomura prägte hierfür den Begriff „Adipocytokine” (Adiponectin, Resistin, Adipsin, Leptin, TNF-α, C3adesArg, Faktor D, Faktor B, IL-6, PAI-I u. v.m). Über diese Signalmoleküle ist das Fettgewebe in die Mechanismen der Regulation des Energiehaushaltes, von Appetit und Sättigung, des Immunsystems und der Fertilität involviert.

Die Adipostat-Hypothese besagt, dass das Fettgewebe dem ZNS über Signalmoleküle rückkoppelnd Auskunft über den Grad der Energiereserven und des Sättigungszustands gibt. Die Aufklärung dieser Regelkreise wurde erst nach der Beschreibung monogener Adipositasformen im murinen System möglich. Die Beschreibung einzelner defekter Gene (ob/ob, db/db, fa/fa, FAT, Agouti, MC-4-R, POMC) führte zu einem tieferen Verständnis dieser Regulationsmechanismen. Jedoch sind diese Gendefekte im humanen System nur für Raritäten von monogener Adipositas verantwortlich.

Die menschliche Adipositasentstehung geschieht polygen, multifaktoriell und ist nahezu immer Folge einer qualitativen und quantitativen Fehlernährung. Bedrohlich wird die Adipositas im Kontext des metabolischen Syndroms, an dessen Wurzel nicht, wie früher vermutet, die Insulinresistenz steht, sondern eine Dysfunktion speziell des viszeralen Fettgewebes. Hierbei ist zu betonen, dass selbst bei einem normalen BMI eine viszerale Adipositas bestehen kann (kritischer Wert des viszeralen Fettgewebes > 100 cm2).

Die viszerale Adipositas verursacht über adipozytäre Sekretprodukte sämtliche Teilkomponenten des metabolischen Syndroms. So produziert das viszerale Fettgewebe beispielsweise die Komponenten des Renin-Angiotensin-Systems und PAI-I (Plasminogen-Aktivator-Inhibitor-I), den wichtigsten endogenen Inhibitor der Fibrinolyse. Dies lässt Implikationen für die Adipositas-assoziierte Hypertonie und Thrombophilie zu.

Das viszerale Fettgewebe zeichnet sich durch folgende Charakteristika aus: portalvenöse Blutdrainage, höhere metabolische Aktivität, vermehrten per-netto-Trend zur Lipolyse, erhöhte Sensibilität gegenüber der Katecholamin-induzierten Lipolyse, verminderte Sensitivität gegenüber dem ASP-Pathway (Adipsin-Acylation-Stimulating-Protein). Das vermehrte Anfluten von FFA vom viszeralen Fettgewebe zur Leber bewirkt eine hepatische Insulinresistenz über eine Induktion der Glukoneogenese, der Glykogenolyse sowie über ein vermindertes Insulin-Clearing. Zusätzlich werden die apoB- und VLDL-Synthese sowie die Triglyzeridbiosynthese induziert. Die Folgen sind Dyslipidämie und Steatosis hepatis. Erhöhte systemische Konzentrationen von FFA bewirken am Muskel über den Randle-Zyklus eine verminderte oxidative und nicht-oxidative Glukoseutilisation und an der β-Zelle über die Lipotoxizität eine gestörte Insulin-/Proinsulinsekretion. Durch die Expression der Isoform-1 der 11β-Hydroxysteroid-Dehydrogenase besteht im viszeralen Fettgewebe ein lokaler Glukokortikoid-Exzess. Glukokortikoide wiederum beeinflussen die adipozytäre Genfunktion, Genexpression sowie die Adipozytendifferenzierung. Dies führte treffenderweise zu der Bezeichnung „CushingŽs Disease of the Omentum”. In der Tat besitzen Patienten mit viszeraler Adipositas und Patienten mit Cushing-Syndrom ein ähnliches Fettverteilungsmuster.

Interessant und nur auf den ersten Blick verwirrend ist die Tatsache, dass nicht nur die morbide Adipositas, sondern auch das Gegenteil, etwa die lipoatrophischen Syndrome, mit den identischen deletären metabolischen Konsequenzen einhergehen wie Insulinresistenz, Hypertonie und Dyslipidämie. Die entscheidende Frage muss also lauten „Wie viel Fettgewebe braucht der Mensch?”

Die adipozytenspezifischen Sekretproteine Leptin, Adipsin, Adiponectin und Resistin sind bei der Adipositas dysreguliert. Adiponectin, ein Vertreter der C1q/TNF-Superfamilie ist ein neues, viel versprechendes Drug-Target bei der künftigen Therapie des Typ-2-Diabetes. Adiponectin senkt die Blutglukosespiegel insulinunabhängig über eine Verminderung der hepatischen Glukosefreisetzung (Inhibition der glukoneogenetischen Enzyme PEPCK und Glukose-6-Phosphatase). Zudem senkt Adiponectin die Konzentrationen von Triglyzeriden und FFA über eine Induktion der β-Oxidation von Fettsäuren im Muskel (Induktion von CD36, UCP-2 Acyl-CoA-Oxidase). Da Glitazone die Expression von Adiponectin stimulieren, stellt Adiponectin möglicherweise einen Wirkungsvermittler der Glitazone dar. Im Gegenzug hemmen Glitazone die Expression von Resistin, einem putativen Vermittler der adipogenen Insulinresistenz.

Dr. med. A. Schäffler

Universitätsklinik für Innere Medizin I

Franz-Josef-Strauß-Allee 11

93042 Regensburg