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DOI: 10.1055/s-2003-37462
Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York
Alte und neue Tokolytika - eine aktuelle Diskussion um Nutzen, Nebenwirkungen und Kosten
Old and New Tocolytic Agents - a Current Discussion on Benefit, Side-Effects and CostsPublication History
Publication Date:
25 February 2003 (online)
Während die Frühgeburtenrate in den letzten 20 Jahren nicht gesenkt werden konnte und in Europa nahezu unverändert bei 6 % liegt, ist es in diesem Zeitintervall gelungen, die frühneonatale Mortalität drastisch zu vermindern. Diese erfreuliche Entwicklung ist vor allem unübersehbaren Fortschritten in der Neonatologie zu verdanken und weniger neuen innovativen geburtshilflichen Strategien, da bis heute keine kausalen Therapieoptionen bei drohender Frühgeburt zur Verfügung stehen und infolge deren multifaktorieller Genese wohl auch in Zukunft nur schwer zu entwickeln sein dürften. In diesem Zusammenhang sollte nicht unerwähnt bleiben, dass durch die Selektion von Risikogruppen und die konsequente und rechtzeitige Erkennung einer bakteriellen Vaginose im Rahmen der Schwangerenvorsorge wirksame Präventionsmaßnahmen etabliert wurden, die zumindest bei infektionsassoziierter Frühgeburt viel versprechende Ansätze liefern.
Klinisches „Leitsymptom“ der Frühgeburt sind meist vorzeitige Wehen als Endstrecke einer ätiologisch unterschiedlichen, komplexen biochemischen und biomolekularen Kaskade, die seit mehr als 40 Jahren symptomatisch mit „Tokolytika“ behandelt werden.
Dabei besteht der Eindruck, dass gerade hierzulande das Symptom vorzeitige Wehentätigkeit ohne Beeinflussung der Zervix aus verständlichen und defensiven, aber wahrscheinlich unnötigen Präventionsüberlegungen zu oft und zu lange medikamentös behandelt wird. Nach Keirse führen ca. 50 % aller Fälle mit vorzeitigen Wehen nicht zur Frühgeburt und bedürfen daher keiner medikamentösen Wehenhemmung. Unterstützt wird diese Auffassung durch Ergebnisse aus plazebokontrollierten Vergleichsstudien, nach denen 50 - 70 % der Schwangeren, die mit Plazebo behandelt werden, in Terminnähe entbunden werden. Andererseits ist zu berücksichtigen, dass das spontane Sistieren vorzeitiger Wehen die Bewertung der tokolytischen Effizienz in plazebokontrollierten Vergleichsstudien erheblich erschwert, eine Beobachtung, die in jüngster Zeit Zweifel an der klinischen Aussagekraft plazebokontrollierter Untersuchungen haben aufkommen lassen.
Begriffe wie „false labour“ und „true labour“ machen die Notwendigkeit deutlich, international einheitliche Kriterien zu definieren, die bei vorzeitiger Wehentätigkeit tatsächlich mit der Gefahr einer Frühgeburt verbunden sind. Einigkeit besteht darin, dass neben regelmäßigen Wehen (z. B. alle 5 - 8 Minuten) immer auch eine Verkürzung und/oder Eröffnung der Zervix diagnostisch richtungsweisend sein sollten. Gerade die oft fehlende Präzision in der Definition „preterm labour (PTL)“ schränkt die Aussagekraft von Metaanalysen ein, die zumeist Studien mit uneinheitlichen diesbezüglichen Kriterien einschließen.
Schätzungsweise sind nur 1 % aller Schwangeren tatsächlich Kandidaten für eine Tokolyse, nach Villar sind dies 10 - 20 % aller Schwangeren mit Risiken für eine Frühgeburt.
Die Meinung von R. Lamont „The perfect tocolytic agent which is completely safe for both the mother and the fetus and which will inhibit uterine contractions and stop PTL in every case does not exist and the search continues“ spiegelt zutreffend den Stand und das Dilemma jahrzehntelanger Anstrengungen in der Entwicklung neuer Methoden zur medikamentösen Wehenhemmung wider. Diese Bemühungen werden deutlich in einer inzwischen unüberschaubaren Vielzahl randomisierter, kontrollierter Studien, in denen die Effizienz und das Nebenwirkungsprofil von Betaagonisten, Prostaglandin-Synthetase-Hemmern, Magnesiumsulfat, Kalziumkanalblockern und NO-Donatoren zum Teil gegen Plazebo, zum Teil untereinander vergleichend untersucht wurden. Dementsprechend breit ist auch das Spektrum an Tokolytika, das bisher weltweit in praxi zur Anwendung kommt. Dies gilt im Speziellen auch für die seit 1961 klinisch eingesetzten Betaagonisten: Beispielsweise wird in den USA als Standard Magnesiumsulfat zur Behandlung vorzeitiger Wehen eingesetzt, in Deutschland dominiert seit langem die Anwendung von Fenoterol, in anderen europäischen Ländern die von Terbutalin, Hexoprenalin oder Salbutamol.
Prof. Dr. med. W. Rath
Direktor der Frauenklinik für Gynäkologie und Geburtshilfe
Pauwelsstraße 30
52074 Aachen
Email: wrath@ukaachen.de