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DOI: 10.1055/s-2003-38002
Nachruf auf Prof. Dr. med. Boris Luban-Plozza
Publication History
Publication Date:
20 March 2003 (online)
Prof. Dr. med. Boris Luban-Plozza
Prof. Dr. med. Boris Luban-Plozza ist nach langer schwerer Krankheit und kurzem Spitalaufenthalt in seinem 80. Lebensjahr am 24.12.2002 in Locarno gestorben. Anfang Dezember hatte er noch in Bern einen Vortrag gehalten und sich einen Tag später bei dem Veranstalter (Dr. Dr. A. Ammann) entschuldigt, dass er nicht alles habe sagen können, was er zu sagen gehabt hätte.
Als Sohn russischer Eltern war er in St. Gallen geboren und in Graubünden aufgewachsen. Die Liebe zu den Menschen, zur Medizin und Kunst war ihm wie die Internationalität in die Wiege gelegt. In Genf, Basel und Bern studierte er Medizin, Russisch und Spanisch. Er war bis 1966 wie sein Vater Landarzt im Calancatal in der Südschweiz. Schon dort leitete er 7-mal das „internationale Kolloquium des praktischen Arztes” unter Mitwirkung von Michael Balint, Walter Rudolf Hess, Hans Krayenbühl, Wilhelm Löffler, Jost A. Meerloo. Seit 1966 lebte er mit seiner Frau Wilma und den vier Kindern in Ascona. Die Praxis und Klinik war in Locarno. Von 1992 bis ins letzte Jahr stand er der Klinik und seinen Patienten konsiliarisch zur Seite. Er war Oberstleutnant im Sanitätskorps der Schweizerischen Armee - nicht ohne einen gewissen Stolz, 1962 Delegierter an der Weltkonferenz für Gesundheitserziehung, ein Thema, das ihn bis zu seinem Ende, also über 40 Jahre, begleitet hat. 1966 Habilitation in Rom für Psychiatrie und Aufnahme der Vorlesungstätigkeiten an den Universitäten von Mailand und Heidelberg, seit 1973 war er in Heidelberg Honorarprofessor. In diesen beiden Städten begann er mit den von ihm sog. Junior-Balint-Gruppen, die M. Balint etwas zurückhaltend kommentierte: „Congratulation on your success with the Milanese students. My only advise is: don't be to ambitious and don't push them to hard. It is better to let them develop at their own pace” - ein Rat, den man auch gerne den derzeitigen Reformern des Medizin-Studienganges ins Stammbuch schreiben möchte (und auch ihren Verhinderern!): „Let them develop at their own pace” „lass sie sich nach ihrem eigenen Schrittmaß entwickeln”. M. Balint hatte sich als Psychoanalytiker wohl auch aus Respekt vor den Problemen und Lösungen, die in den Patienten selbst angelegt waren „gegen die apostolische Funktion des Arztes” ausgesprochen, Boris Luban-Plozza hatte eine Gegenposition eingenommen und sich entschieden dafür eingesetzt, dass sich ältere und erfahrene Kollegen jungen Medizinstudenten zuzuwenden hätten und sie nicht mit der Last allein zu lassen, die während eines „menschenfeindlichen Medizinstudiums” und der Begegnung mit einer eher kühl und steril erscheinenden professionalisierten Medizin entsteht.
Von 1979 - 1984 hielt er Vorlesungen an der Medizinisch-Psychologischen Fakultät der Universität Fribourg, 1984 an der University of California (Familienmedizin) ferner an den Universitäten in Seoul und in Manila.
Seine überaus stimulierende Initiativkraft spiegelte sich in vielen anregenden Büchern wider, die er gerne, fast ausschließlich zusammen mit anderen herausgab, z. B. mit Enid Balint 9 Bände der Reihe „Patientenbezogene Medizin” im G. Fischer Verlag, z. B. mit W. Pöldinger, dem leider auch im letzten Jahr verstorbenen emeritierten Ordinarius und langjährigen Direktor der Basler psychiatrischen Universitätsklinik (Nachruf im dt. Balint Journal 4/2002) sowie den Kollegen F. Kröger und K. Laederach das Buch „Der psychosomatische Kranke in der Praxis” (6. A. auf Deutsch), dessen Übersetzung ins Englische, Italienische, Französische, Spanische, Portugiesiche, Ungarische, Polnische, Russische, Slowenische, Japanische, Chinesische, Ukrainische und Persische er anregte und durchsetzte - Zeugnis seiner Internationalität, die er sprachgewaltig und geschult durch das Hören mit dem „dritten Ohr” wie kaum ein anderer in einem ganz ursprünglichem „apostolischen Sinne” einzusetzen verstand.
Weitere Schrittmacher waren die Bücher zusammen mit K. Laederach, L. Knaak, H. H. Dickhaut: „Der Arzt als Arznei” 2002 im dt Ärzteverlag in 8. A. (Rezension im dt. Balint Journal 4/2002), mit M. Delli Ponti, H.H. Dickhaut: „Musik und Psyche”, mit D. Ritschl: „Familie: Risiken und Chancen - eine therapeutische Orientierung”, mit einem eigenen knappen Beitrag.
Seine leidenschaftliche Profession aber galt der Jugend, den Medizinstudenten und denen, die in der Pflege tätig waren. Mithilfe seiner Frau Wilma und vielen anderen entwickelte Boris, wie er von fast allen Menschen, denen er begegnete angesprochen werden wollte, in Ascona seit den 70er-Jahren das von der WHO und vom Europarat geförderte „Ascona Modell”. Es liest sich fast wie ein „Who is who” der europäischen Psychosomatik der damaligen Zeit sein „Who ist who” von Persönlichkeiten Universitäts- und anderen bedeutenden und nur scheinbar ganz unbedeutenden Städtchen wie das kleine Fischerdorf Ascona selbst und aus den Ländern Europas in Ost und West und weit darüber hinaus. Um nur einen kleinen Eindruck von dieser vorweggenommenen Globalität zu geben seien einige Namen genannt. Wenn ich andere nicht nenne, so bedeutet es nicht, dass Boris sie ausgeschlossen hätte. Auch ich denke nicht daran. Nehmen Sie die Namensliste jetzt als einen ersten Erinnerungsversuch. Nachnominierungen sind möglich.
An erster Stelle möchte ich A. Haynal nennen, der wie kaum ein anderer das wissenschaftliche Werk M. Balints gesichtet hat. Zu erinnern ist an sein Buch: Die Technikdebatte in der Psychoanalyse - Freud, Ferenczi Balint, Psychosozial Verlag 2000; Felix Labhardt, der langjährige Vizechef der Basler Psychiatrischen Klinik in den 70er-Jahren; Frau Gertrud Hunziker Fromm, Hansjakob Mattern, der große alte Mann der Allgemeinmedizin (Nachruf dt. Balint Journal 3/2001); Georg Weiß und Hugo Solms; Jack Norell, für den M. Balint fast so etwas „wie ein Gott” war, so Jack Norell zu E. R. Petzold bei dem 21. Int. Balint Kongress in Aachen (Nachruf im engl. Balint Journal 2002), Muradif Kulennovic aus Zagreb (Nachruf im dt. Balint Journal 1/2001); Vic Dubois aus Maastricht, Max Halhuber, Thure von Uexküll, Wolfgang Wesiak, Werner Stucke, Arthur Trenkel, Karl Köhle, Wolfram Schüffel, Michael Geyer, Peter Grob, Peter und Barbara Hahn, Maria Kopp, Kasimir Imielski, Uli Egle, Thomas Löw, Volker Köllner, Stephan Schröder, Susanne Bregulla, Florian Bihl, Rafael Renella, Zlata Kralj, Ethe Stubbe, Heide Otten, John Salinsky.
Es kamen Studentinnen und Studenten, Ärztinnen und Ärzte, Politiker und Botschafter aus vielen Städten und Ländern, aus Aachen, Graz, Heidelberg und Göttingen, aus Basel, Bern, Luzern und Zürich, aus Wien und Innsbruck, aus Lubljana, Posen und Warschau, aus St. Petersburg, Cambridge und Sheffield, aus Uppsala und Maastricht, aus Genf und Bologna, aus Budapest und Sceged, aus Bukarest und Zagreb; aus Afrika, Amerika und Australien, aus Dänemark, Belgien, China, Frankreich, Griechenland, Indien, Italien, Japan, Korea und Luxemburg, Norwegen und Schweden, Estland, Littauen und Lettland. Von ihrer Begeisterung, von der Vielfalt und von der Arbeit in den Balint-Gruppen einschließlich der Modifikationen der klassischen Gruppenarbeit (z. B. Themenzentrierung „Monte-Veritas-Gruppen - Gespräche - mit Experten - Patienten und Familienangehörigen”) lebte das Ascona-Modell.
Boris Luban-Plozza war Ehrenmitglied der Int. Gesellschaft für Kunst, Gestaltung und Therapie (IGKGT), die Wolfgang Jakob, ein anderer „Asconaut” in Ascona, gegründet hatte und das Balint-Dokumentationszentrum sowie den seit 1976 bis heute ebendort alljährlich anlässlich der Ascona-Gespräche an Medizinstudentinnen und -studenten vergebenen internationalen Balint-Preis, (vgl. M. Stubbe und E. R. Petzold (Hrsg) 20 Jahre Balint-Preis Ascona, Schattauer, 1996) sowie von 1990 - 2000 die Balint-Preise für Gesundheits- und Krankenpflege zusammen mit dem Schweizerischen Roten Kreuz.
Vielfältig waren die nationalen und internationalen Ehrungen, die Prof. Dr. med. Dr. hc. mult. Luban-Plozza für sein Lebenswerk erhielt. Als einziger Ausländer erhielt er 1988 vom italienischen Staatspräsidenten die Verdienstmedaille des Gesundheitswesens „für sein pionierhaftes Engagement als akademischer Lehrer und Forscher”, 1989 in den Staaten den „Albert Schweizer International Prize for Humanities, d. h. für seine medizinischen und musiktherapeutischen Leistungen”.
Eine detaillierte Übersicht über alle Ehrungen findet sich in dem Buch: „Beziehungsmedizin auf dem Monte Veritas”, Springer, Wien, 1998. Diesseits aller dieser auch von ihm mitunter so gesehenen Äußerlichkeiten sei auf seine Erinnerungen verwiesen: „Brücken zum Leben”, eine starke Zusammenfassung dessen, was das Leben dieses exzeptionellen Pioniers der Psychosomatischen Medizin ausgezeichnet hat - ein liebenswürdiger und gleichzeitig kritischer Rückblick von einem Freund zusammengestellt, im Schwabe Verlag Basel 2001 herausgeben.
Kurz vor seinem Tode, am Morgen des 24. Dezembers, wachte er in dem o. g. Spital noch einmal aus seinem Koma auf und sagte: „Ich muss auf ein Podium und einen Vortrag halten.”
Die von ihm ins Leben gerufene Stiftung „Psychosomatik und Sozialmedizin” wird sich bemühen, diesen von ihm eingeschlagenen Weg weiterzugehen, einschließlich der Fortführung des Internationalen Balint-Preises für Medizinstudenten, einschließlich der Preise für Kunst, Gestaltung und Therapie, einschließlich des Promotionspreises zusammen mit dem DKPM für Dissertationen, die sich mit den vorgegebenen Themen der Realisierung psychosomatischer und sozialmedizinischer Themen befassen.
Prof. Dr. Ernst Richard Petzold
Klinik für Psychosomatik und Psychotherapeutische Medizin · Medizinische Fakultät RWTH Aachen
Pauwelsstraße 30
52074 Aachen
Email: epetzold@ukaachen.de