Suchttherapie 2003; 4(1): 1
DOI: 10.1055/s-2003-38103
Editorial
© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

„Public Health” und ökonomische Studien im Bereich Sucht

Public Health and Economic Studies in AddictionJürgen Rehm, Benedikt Fischer, Ulrich Frick
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Publication Date:
20 March 2003 (online)

In diesem Themenschwerpunkt von Suchttherapie werden vier Studien vorgestellt, die sich zentral mit dem oben genannten Themenkomplex befassen. Benedikt Fischer gibt einen beispielhaften Überblick zum weiten Gebiet von Kostenstudien im Bereich illegaler Drogen. Dabei zeigt sich, dass empirische Kostenforschungsansätze zu illegaler Opiatsucht und -behandlung bereits bis in die Nixon-Ära zurückreichen und viele Aspekte dieses vermeintlich „neuen” Paradigmas schon mehr als 40 Jahre alt sind. Bereits damals wurde begonnen, die Ausmaße des illegalen Drogenproblems ökonomisch zu charakterisieren sowie Interventionen nicht nur in ihrer Wirksamkeit, sondern auch im Hinblick auf ihr Kosten-Nutzen-Verhältnis zu untersuchen. Weiterhin zeigt die Arbeit auf, dass bei illegalen Drogen derzeit zwar viel über Kosten und Ökonomie gesprochen wird, dass aber ein Transfer der empirischen Erkenntnisse und Folgerungen hinsichtlich eines Umbaus des Interventionssystems nach solchen Gesichtspunkten momentan nicht gezogen wird: Nach wie vor entstehen unzweifelhaft die meisten Kosten durch Kriminalität und Strafverfolgung, wohingegen sporadische Änderungen in der Suchthilfe die Gesamtkosten in diesem Bereich nur geringfügig beeinflussen.

Im Beitrag von Jürgen Rehm geht es um eine der heiligen Kühe aller Gesundheitspolitiker: Prävention. Obwohl eine Steigerung der Ausgaben für Prävention fast zu einem Mantra jeglicher gesundheitspolitischen Diskussion mutiert ist und Effektivität oder gar Kosteneffektivität von Präventionsmaßnahmen dabei als selbstverständlich gegeben gilt, erweist sich die empirische Grundlage für solche Aussagen als eher dürftig. Viele Maßnahmen gerade im Bereich der Verhaltensprävention zeigen keine oder nicht intendierte, manchmal sogar nachteilige Effekte. Deshalb wird im Beitrag von Rehm eine strikte Evaluation von präventiven Maßnahmen nach den Richtlinien der „evidence-based medicine” gefordert.

Simone Rey-Riek und ihre KollegInnen gehen dann auf einen speziellen Teilbereich der Prävention ein, nämlich betriebliche Suchtprävention. Ihr Überblick zeigt, dass sich suchtpräventive Maßnahmen im betrieblichen Kontext tatsächlich wirtschaftlich lohnen können. Ausgehend von den Verhältnissen in der Schweiz machen sie einen programmatischen Vorschlag für betriebliche Interventionen, die im Bereich zwischen Primär- und Sekundärprävention ansetzen und sich in mehreren Untersuchungen als effektiv und kostengünstig herausgestellt haben.

Schließlich beleuchten Ulrich Frick und Wulf Rössler einen der größten Kostenfaktoren im Bereich Sucht: die Kosten für Therapien. Ausgehend von den Forderungen der Weltgesundheitsorganisation an Gesundheitssysteme allgemein beleuchten sie verschiedene Formen der Finanzierung und Anreizsysteme in ihrer Wirkung. Auch hier, in einem Kernbereich des neuen Paradigmas, findet sich viel Ideologie und es gibt erstaunlich wenige methodisch saubere Untersuchungen zu den Auswirkungen derzeit heiß diskutierter Finanzierungsfragen wie prospektive vs. retrospektive Zahlungen, Pauschalierungsgrad oder variable vs. fixe Kosten. Die Autoren schließen mit Betrachtungen zu einem konkreten Finanzierungsmodell für stationäre Suchttherapie in der Schweiz, das innovativ verschiedene Elemente zusammenfasst und dessen Auswirkungen für die weitere Diskussion von großem Interesse sein werden.

Insgesamt geben die Studien einen guten Einblick in verschiedene Teilaspekte von Sucht und Ökonomie. Dabei zeigt sich ein roter Faden: Die verschiedenen, derzeit lautstark geforderten Systemänderungen stehen empirisch oft auf wackligen Beinen. Die Ökonomie wurde aber gerade im Suchtbereich ins Spiel gebracht, um bestimmte Alternativen rationaler beurteilen zu können und die Ideologisierung abzubauen, die in der Suchthilfe leider noch deutlich zu spüren ist. Diese Funktion können ökonomische Evaluationen im Prinzip auch erfüllen, nur müssten sie dann in Zukunft methodisch rigoroser und inhaltlich zielgenauer durchgeführt und interpretiert werden. Allein der Verweis auf wirtschaftliche Prinzipien oder Schlüsselbegriffe genügt also sicherlich nicht.