Dtsch Med Wochenschr 2003; 128(13): 689-690
DOI: 10.1055/s-2003-38283
Leserbriefe
© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Validität der Iohexol-Clearance bei chronischer Niereninsuffizienz und normaler Nierenfunktion im Vergleich zur 99mTc-DTPA-Clearance

Aus DMW 3 2003, S. 76-80
Weitere Informationen

Publikationsverlauf

Publikationsdatum:
29. April 2004 (online)

In ihrem Aufsatz „Validität der Iohexol-Clearance bei chronischer Niereninsuffizienz und normaler Nierenfunktion im Vergleich zur 99mTc-DTPA-Clearance“ stellen die Autoren (8) keineswegs überraschend praktisch Übereinstimmung der mit beiden Testsubstanzen erzielten Werte fest, werden doch beide Clearancestoffe von der Niere vergleichbar behandelt. Bei der angewandten Versuchsanordnung handelt es sich aber nur um ein semiquantitatives Verfahren zur Erfassung der glomerulären Filtratrate, und dies auch lediglich bedingt. Um darauf näher Bezug zu nehmen, bedarf es eines theoretischen Fundaments.

Unter der stillschweigenden Annahme, dass sich beide glomerulären Clearancesubstanzen nach Bolus-Injektion in einem Einkammersystem verteilen („Einkompartimentmodell“), wurde aus der jeweiligen zeitlichen Abnahme der Plasmakonzentrationen der Testsubstanzen die glomeruläre Filtratrate errechnet. Voraussetzungen für eine verlässliche Identifizierung der so im so genannten „Slope“-Verfahren (sinkende Plasmaspiegel nach Injektion) gewonnenen „Clearance“-Werte mit der tatsächlichen glomerulären Filtratrate sind Konstanz der Clearance und Konzentrationsgleichgewicht im Verteilungsraum [3], da alle glomerulären Clearancestoffe den Nachteil einer ausgedehnten extravasalen Verteilung haben. Alle vereinfachten Clearancemethoden (anstelle solcher, die sich auf einen Konzentrationsausgleich im Verteilungsvolumen stützen) beruhen auf der Annahme eines exponenziellen Abfalls der Plasmakonzentration in Form einer halblogarithmischen Abfallgeraden oder der so genannten Halbwertszeit [2], was aber nicht zutrifft. Vielmehr erfolgt der Konzentrationsabfall im „Slope“-Verfahren in einer halblogarithmisch gekrümmten Kurve mit Konvexität nach dem Achsenkreuz [3]. Stets ist die renale Clearance (C) einer Substanz nach i. v. Injektion eine Funktion des Verteilungsvolumens (VV) (das nicht erreicht wird), wobei die Abfallkonstante (k) der „Geraden“ den Teil des VV darstellt, der pro Minute geklärt wird: C = k. VV. Folge einer ungleichmäßigen Verteilung der Testsubstanz nach einmaliger oder wiederholter i. v. Injektion ist das Auftreten erheblicher Differenzen zwischen venösem und arteriellem Plasmaspiegel. Bei fallender Plasmakonzentration finden sich im venösen Blut durchschnittlich um 28,7 % höhere Werte für Substanzen, die bei einer Passage durch die Niere ganz oder nahezu vollständig aus dem Plasma entfernt werden (wie p-Aminohippursäure = PAH), und um 7,4 % höhere Spiegel für glomeruläre Clearancestoffe (wie Inulin) als im arteriellen Blut [1]. Die in der Clearanceformel eingesetzte Plasmakonzentration entspricht aber dem arteriellen Wert zum jeweiligen Zeitpunkt.

Um diesem Umstand abzuhelfen, hat es sich eingeführt, empirische Korrekturfaktoren zu verwenden und Blutproben erst in gewissem zeitlichem Abstand nach der Injektion der Testsubstanz abzunehmen, um einen Konzentrationsausgleich zwischen Plasma und Verteilungsraum zu gewährleisten. Dieser umfasst bei der klassischen glomerulären Clearancesubstanz Inulin neben dem Plasma die leicht diffusible interstitielle Flüssigkeit, also den „physiologisch aktiven“ Anteil des Extrazellulärraums, und eine langsame Verteilungsphase im schlecht vaskularisierten Bindegewebe von Haut, Knochen, Sehnen, Muskulatur und Knorpel [5]. Dort wird zur Herstellung eines Diffusionsgleichgewichts mit dem Plasma eine Zeitspanne von 15 h und mehr bei i. v. Dauerinfusion beansprucht. Wir haben es hier also nicht mit einem „Einkompartimentmodell“, sondern mit Verteilungsabläufen in einem komplexen extrazellulären Dreikammersystem zu tun, deren Charakteristik mit Hilfe einer komplizierten mathematischen Konstruktion 1959 erstmals analysiert werden konnte [6].

Den zeitlichen Ablauf einer solchen Diffusion ins Interstitium zeigen Versuche am Hund, wobei nach i. v. Injektion der Clearancesubstanz p-Aminohippursäure/(PAH) gleichzeitig in Plasma und Augenkammerwasser deren Konzentration gemessen wurde [4]. Danach liegen die PAH-Werte im Plasma zunächst erheblich über denen im Kammerwasser, bis allmählich nach ca. 90 min ein Konzentrationsausgleich punktförmig stattfindet. Später bewegen sich die Plasmawerte stets unter denen des Augenkammerwassers.

Unter diesen Gesichtspunkten ist verständlich, dass die von den Autoren bei Niereninsuffizienz erhobenen „Clearance“-Werte unbrauchbar sind (8) und dass „Slope“-Verfahren nur ein semiquantitatives Maß für die Nierenfunktion sein können. In dieser Beziehung schneidet - aus ganz anderen Gründen - die wesentlich einfachere, vor allem kostengünstigere endogene Kreatininclearance nicht schlechter ab [7]. Auch hierbei tritt mit Verringerung des Filtratvolumens eine zunehmende Diskrepanz zur Inulinclearance als Referenzmethode auf. Die endogene Kreatininclearance eignet sich nach wie vor für routinemäßige Verlaufskontrollen von Nierenerkrankungen als eine den „Slope“-Verfahren ebenbürtige, ökonomisch und personell wenig belastende Technik.

Literatur

  • 1 Brun C, Hilden T, Raaschou F. The significance of the difference in systemic arterial and venous plasma concentrations in renal clearance methods.  J Clin Invest. 1949;  28 144-147
  • 2 Dost F H. Glomerulusfiltration.  Klin Wschr. 1949;  27 257-259
  • 3 Eppler F, Harth O, Kreienberg W, Mertz D P. Die Einstellung des Fließgleichgewichts von Inulin im extracellulären Raum.  Z ges exper Med. 1955;  126 450-459
  • 4 Mertz D P. Eine Vereinfachung der Para-aminohippursäure-Clearance.  Inaug Dis Mainz. 1952; 
  • 5 Mertz D P. Kritische Betrachtungen über das Problem der Körperflüssigkeitsmessung beim Menschen.  Klin Wschr. 1956;  34 887-891
  • 6 Mertz D P, Eppler F. Die Charakteristik von Verteilungsvorgängen in den extracellulären Flüssigkeitsphasen. Spiegelkinese von Inulin.  Klin Wschr. 1959;  37 588-595
  • 7 Schirmeister J, Willmann H, Kiefer H, Hallauer W. Für und wider die Brauchbarkeit der endogenen Kreatininclearance in der funktionellen Nierendiagnostik.  Dtsch Med Wochenschr. 1964;  89 1640-1643
  • 8 Wiendieck E, Hartung R, Fünfstück R, Keil E, Stein G. Validität der Iohexol-Clearance bei chronischer Niereninsuffizienz und normaler Nierenfunktion im Vergleich zur 99mTc-DTPA-Clearance.  Dtsch Med Wochenschr. 2003;  128 76-80

Autor

Prof. Dr. Dieter Paul Mertz

Am Rosenberg 44

79238 Ehrenkirchen