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DOI: 10.1055/s-2003-39115
Deutsch-Österreichische Leitlinien zur antiretroviralen Therapie der HIV-Infektion
(Aktualisierung Juli 2002)Antiretroviral therapy of HIV infection. German-Austrian guidelines (July 2002)Publication History
Publication Date:
08 May 2003 (online)
Einleitung
Die Erfolge der antiretroviralen Therapie sind auch nach Erscheinen der letzten Version dieser Richtlinien (Stand Juni 1999) weiterhin klar zu sehen. Die Hemmung der Virusreplikation durch eine antiretrovirale Therapie verhindert die Krankheitsprogression, führt zur Rückbildung HIV-bedingter Symptome und zu einer klinisch relevanten Immunrekonstitution [1-4]. Die Prognose HIV-infizierter Patienten hat sich hierdurch dramatisch verbessert [5]. Gerade die bessere Wirksamkeit der heute verfügbaren antiretroviralen Kombinationstherapien in Kombination mit den Nebenwirkungen dieser Therapien hat jedoch die Diskussion über den idealen Zeitpunkt des Beginns einer Therapie der HIV-Infektion erneut angefacht. Die Zeitspanne einer einmal begonnenen Therapie hat sich wegen der guten Wirksamkeit und der immer unwahrscheinlicher erscheinenden Möglichkeit einer Eradikation des Virus deutlich verlängert. Der „ideale” Zeitpunkt für den Therapiebeginn ist bisher durch keine randomisierte Studie definiert worden und dies wird sich auch in der nahen Zukunft kaum ändern.
Es gibt gute Argumente für einen möglichst frühen Therapiebeginn und gute Argumente für einen möglichst späten, ohne dass für eine der beiden Haltungen eine Evidenz-basierte Entscheidung möglich ist.
Argumente für einen frühen Therapiebeginn sind:
HIV ist eine Infektionskrankheit und eine antiinfektiöse Therapie wird üblicherweise so früh wie möglich eingeleitet; bei lange anhaltender Replikation des HIV könnte für das Immunsystem ein point-of-no-return überschritten werden, von dem aus eine Wiederherstellung des Immunsystems nicht mehr möglich ist; eine lange anhaltende Replikation führt aufgrund des Selektionsdruckes des Immunsystems zu Virusmutationen, so dass eine Vielzahl von Quasispecies entsteht, deren Hemmung durch antivirale Therapie möglicherweise schwieriger ist.
Argumente für einen späten Therapiebeginn sind:
die heutige Therapie ist mit komplizierten und fehleranfälligen Einnahmevorschriften verbunden, Einnahmefehler sind dabei wahrscheinlich und diese können zu einer Unwirksamkeit späterer Therapien führen; die tägliche Medikamenteneinnahme bedeutet eine deutliche körperliche und psychische Belastung, insbesondere bei asymptomatischen Patienten, bei denen sie zu einem stärkeren Krankheitsgefühl und einer deutlichen Minderung der Lebensqualität führen kann; eine klinische Besserung und Immunrekonstitution kann auch noch bei Therapiebeginn in einem weit fortgeschrittenen Stadium der HIV-Erkrankung beobachtet werden; im Gegensatz zu anderen Infektionskrankheiten ist bei der HIV-Infektion derzeit weder eine Eradikation des Erregers möglich noch durch eine Therapie eine diese überdauernde Kontrolle der Virusreplikation induzierbar.
Einigkeit besteht über das Ziel, die Progression einer asymptomatischen HIV-Infektion so lange wie möglich zu verhindern, sowie darüber, eine Therapie zu beginnen, bevor irreversible Schäden des Immunsystems eingetreten sind.
Die hier gegebenen Empfehlungen beruhen auf der Beurteilung von randomisierten kontrollierten Studien mit klinischen Endpunkten (I), randomisierten kontrollierten Studien mit Labormarkern als Endpunkten (II) und der Auswertung von weiteren klinischen, pathophysiologischen und pharmakologischen Daten durch ein Expertengremium (III) (Tab. [1]). Bei den verbleibenden Unsicherheiten, insbesondere über den besten Zeitpunkt des Therapiebeginns, ist auch ein breiter Konsens mit einem möglichen Irrtum behaftet.
Tab. 1 Graduierung von Therapieempfehlungen. Graduierung von Therapie-Empfehlungen I II III Auf der Basis mindestens einer randomisierten Studie mit klinischen Endpunkten* Auf der Basis von Surrogat- marker- Studien Nach Experten- meinung A Eindeutige Empfehlung A I A II A III B Im Allgemeinen ratsam B I B II B III C Vertretbar C I C II C III D Im Allgemeinen abzulehnen D I D II D III E Eindeutige Ablehnung E I E II E III * Klinische Endpunktstudien werden aufgrund der geänderten Zulassungsbedingungen der FDA und EMEA für neue Substanzen nicht mehr durchgeführt.
Randomisierte Studien mit klinischen Endpunkten sind die bevorzugte Basis für Therapieempfehlungen in der Medizin. Aufgrund der hohen Korrelation zwischen den wichtigsten Surro-gatmarkern (Verlauf der HIV-RNA im Plasma, Verlauf der CD4-Lymphozyten) und den klinischen Endpunkten in den Zulassungsstudien der ersten Protease-Inhibitoren Anfang 1996 werden Zulassungsstudien bei der HIV-Infektion nicht mehr als klinische Endpunktstudien sondern in aller Regel als Surrogatmarkerstudien durchgeführt. Diese Zulassungsbedingungen wurden explizit durch die FDA und die EMEA definiert und deshalb werden nur noch ausnahmsweise Studien mit klinischen Endpunkten durchgeführt.
Studien der Evidenzklasse I sind deshalb vor allem ältere Studien, mit bereits überholten Therapieschemata. Dies führt dazu, dass Studien der Evidenzklasse I bei der Formulierung aktueller Empfehlungen zum Teil ein geringeres Gewicht haben als Studien der Evidenzklasse II. Für viele Indikationen zur Therapie der HIV-Infektion ist eine Graduierung als AII die höchsterfüllbare. Viele offene Fragen werden durch randomisierte Studien in der nächsten Zeit nicht bearbeitet werden können: Langzeitstudien sind in einem Feld, das einen derart raschen Wandel in der Therapie erfährt, schwer durchzuführen, dies gilt vor allem für plazebokontrollierte Studien mit klinischen Endpunkten.
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Prof. Dr. N. H. Brockmeyer
Klinik für Dermatologie und Allergologie der
Ruhr Universität
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